Nebulös
STAHLTIER von Albert Ostermaier
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Plakatmotiv: Renaissance-Theater Berlin
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Bewertung:
Das Stahltier (1934) ist ein sog. Industriefilm von Willy Zielke (1902-1989), den die Deutsche Reichsbahn anlässlich des 100. Jahrestages der ersten deutschen Eisenbahn in Auftrag gab. Sein Autor galt zur damaligen Zeit als eines der hoffnungsvollsten Filmemachertalente - sein expressionistischer Stil mit verkanteter Kamera und rasanten Schnitten blieb auch der in dieser Zeit berühmten wie berüchtigten diensthabenden Reichsfilmerin Leni Riefenstahl (1902-2003) nicht verborgen; sie bewunderte und fürchtete das künstlerische Talent ihres gleichaltrigen Kollegen; und um ihn, was seine Karriere betroffen haben könnte, nicht allzu weit bzw. allzu hoch kommen zu lassen, zog sie ihn beizeiten zu sich ran, d.h. sie versorgte ihn mit Kamera- und Schnittaufträgen für ihre anstehenden sog. Olympia-Filme. Als es in dem Zusammenhang zu künstlerischen Differenzen zwischen den beiden kam, brach ihr Kontakt; und Riefenstahl - was eine allerdings nicht eindeutig belegbare Vermutung nahelegte - ließ den Konkurrenten für schizophren erklären, was dessen Einweisung in die Psychiatrie inkl. seine Sterilisation zur Folge hatte, und alles das (angeblich) in kalkuliertem Zusammenwirken mit dem Reichspropagandaführer Goebbels... Wenige Jahre vor Kriegsende und dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes hätte sie ihn aus der Klapse wieder "befreit", damit er ihr als Schnittmeister bei ihrem letzten Spielfilm Tiefland zur Verfügung stehen sollte; so oder so ähnlich schloss sich dann der Schicksalskreis um Zielke.
"Im Herbst 1945 wurde Zielkes Entmündigung auf seinen Antrag hin aufgehoben. Die Bundesrepublik Deutschland entschädigte ihn im Jahr 1987 für die Zwangssterilisation mit 5.000 DM. Zwei Jahre später starb er im Alter von 86 Jahren." (Quelle: Wikipedia)
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Albert Ostermaier (56) hatte jetzt aus diesem national- wie filmhistorischen Gemisch im Auftrag des Théâtre National du Luxembourg ein einaktiges Stück verfasst, welches dortselbst am 12. März d.J. seine Uraufführung feierte und nunmehr auch im Renaissance-Theater Berlin (dem Kooperationspartner selbiger Produktion) zu sehen und zu hören ist.
Regie führte Frank Hoffmann, die Ausstattung besorgten Christoph Rasche (Bühnenbild) und Jasna Bosnjak, unterlegt wurde es mit Musik von René Nuss, und der Videodesigner Sebastian Pircher verschnipselte unter anderem Filmausschnitte aus Zielkes Das Stahltier [den Film kann man übrigens auf Youtube ungekürzt anschauen] sowie Riefenstahls Olympia als auch Tiefland.
Und Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch spielen resp. sprechen sowohl den Zielke, meistens dann als doppeltes Lottchen also "im Chor", als auch die Riefenstahl und den Goebbels und eine/n vom Irrenanstaltspersonal, wahrscheinlich und in erster Linie die oder den, welche/r den Sterilisationseingriff an Zilke vorgenommen hatte.
Das Ganze zieht sich mehr oder weniger hin, birgt Kopflastiges in sich, langweilt also in der Tat an manchen Stellen - freilich kriege ich die insgesamte Inhumanität und abgründige Widerwärtigkeit der Handlungen der Täter mit, am Ende allerdings fehlt mir der reinweg menschliche Bezug zu Zielke, den ich mangels eines diesbezüglichen Textangebotes von Ostermaier nicht oder nicht ausreichend vermittelt bekomme.
Dennoch bleibt ein Bildungsgewinn, und man ist dankbar schlauer nach Erleben dieser etwas mehr als einstündigen Aufführung.
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Stahltier von Albert Ostermaier - am Renaissance-Theater Berlin | Foto (C) Bohumil Kostohryz
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Andre Sokolowski - 8. April 2024 ID 14691
STAHLTIER (Renaissance-Theater Berlin, 07.04.2024)
Ein Exorzismus in memoriam Willy Zielke
Von Albert Ostermaier
Regie: Frank Hoffmann
Bühne: Christoph Rasche
Kostüme: Jasna Bosnjak
Musik: René Nuss
Dramaturgie: Florian Hirsch
Videodesign: Sebastian Pircher
Mit: Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch
UA im Théâtre National du Luxembourg: 12. März 2024
Berliner Premiere im Renaissance-Theater war am 4. April 2024.
Weitere Termine: 08., 14.-19.05.2024
Eine Koproduktion des Renaissance-Theaters Berlin mit dem Théâtre National du Luxembourg
Weitere Infos siehe auch: https://renaissance-theater.de
https://www.andre-sokolowski.de
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