Neverending burst of breakthrough movements
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Foto: Matthias Baus; Bildquelle: Cover Programmheft Theater Koblenz
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Bewertung:
Sehr beweglich öffnen sich die Körper zu allen Seiten hin. Leicht und fließend koordiniert die Tänzerin ihre Arme und Beine in erstaunlichen Winkeln. Frauen tanzen auf Spitze und tragen Ballettschläppchen. Zwei Männer bewegen sich wie elektrisiert, der eine hängt unterhalb des anderen, Beine und Oberkörper dehnen sich eng aneinander und vis-à-vis. Alle sind schlussendlich nicht Opfer des Frühlings, sondern einer höheren Kraft. Sie strecken sich zur Lebensader hin, in Form eines rötlichen herabhängenden blattlosen Baumes.
Ballettdirektor Steffen Fuchs findet am THEATER KOBLENZ in seiner sinnlichen Choreografie zu Johann Sebastian Bachs Klavierkonzert d-moll BWV 1052 zu einem humoristischen Drive. Die einzelnen Teile der Komposition, dissonante Töne und Triller setzt er mit schwarz-weiße Kostümen, barock verspielt, mit temporeicher Bewegungssprache eindrücklich in Szene. Wiederholungen, Verästelungen und Kontraste in Bachs Musik übersetzt Fuchs choreographisch in dynamische Bewegungslinien, eindrückliche Hebungen und Sprünge und schauspielerische Elemente, wie etwa kurze ausgelassene Ausrufe der Tänzerinnen respektive Tänzer [Namen s.u.].
Es gibt ein berührendes, komisches Solo der Japanerin Ami Watanabe, deren Bewegungen bald von weiteren Tänzerinnen synchron gemeinschaftlich nachvollzogen werden. Die imposante Bewegungsarchitektur geht dabei in die Breite, Weite und Tiefe, wenn etwa das Tanzensemble teils synchron als sich abzeichnende Silhouetten hinter dem weißen Fadenvorhang des Theaters agiert.
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Im längeren Werk des Abends geht es um das Aufbegehren und Strukturen der Rebellion. Zehn Tänzerinnen und Tänzer tragen unterschiedlich gestaltete, extrem bunte Ganzkörpertrikots (inspiriert von den Farbflächen von Katharina Grosse) in einer postapokalyptischen, magentafarbenen Welt. Anders als in der zuvor gezeigten Choreographie werden in Le sacre du printemps keine Soli mehr gezeigt, da hier das Corps de Ballett überwiegend als Masse agiert (ganz im Sinne des Balletttänzers Vaslav Nijinsky bei der Uraufführung). Ihr Bühnenbild mit farbigen Elementen orientiert sich am originalen Bühnenbildentwurf von Nicolas Roerichs für die Uraufführung 1913.
Die eingespielte musikalische, in Ansätzen polytonale Aufnahme von Igor Stravinskys gleichnamigem Tableaux von 1913 setzt mit Fagottklängen im höchsten Register ein. Choreografin Liliana Barros übersetzt schräge, laute, wenig rhythmische Extreme dissonanter Klänge in eine ausdrucksstark-archaische Bewegungssprache. Sie fokussiert ekstatische Ausbrüche jenseits der Zivilisation und zeigt eine Endzeitszenerie nach einer globalen Katastrophe. Das ursprünglich mit der Ballettmusik verbundene tributeinfordernde Opferritual weicht einer unerbittlichen tänzerischen Ensemble-Energie hin zum Exzess.
Inspiriert ist die portugiesische Choreografin in ihrem Debüt am Theater Koblenz u.a. von Walt Disneys Fantasia von 1940, das seine Bilder auch nach Strawinskys Musikvorlage entwickelte. Aggressive, pulsierende, komplexe Rhythmen kulminieren. Auch die choreographischen Szenerien erreichen ihren Höhepunkt, wenn bunte Bodenelemente aufgetürmt werden und das Ensemble eine sich streckende Tänzerin nun gen Baum-Lebensader hochhebt. Eine totale Erschöpfung innerhalb der stampfenden Gewalt der Musik korrespondiert mit Brüchen in der Bewegung, die Emotionen und etwa eine Befreiung oder eine Verbindung mit der Geerdetheit ausdrücken.
Ein eindrücklicher, kurzweiliger und anregender Abend mit neuen Werken zweier begabter Choreografen.
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BWV1052 (re.) und Le Sacre du Printemps (li.) am Theater Koblenz | Foto © Matthias Baus
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Ansgar Skoda - 25. November 2023 ID 14495
BWV 1052 | LE SACRE DU PRINTEMPS (Theater Koblenz, 21.11.2023)
BWV 1052
Choreografie: Steffen Fuchs
Bühne und Kostüme: Sascha Thomsen
Dramaturgie: Anna-Luella Zahner
Licht: Julia Kaindl
Mit: Noah Amann, Dayna Booth, Emanuele Caporale, Alexandra Christian Samartzi, Lucas Corrêa Santos, Arkadiusz Głębocki, Clara Jörgens, Jacob Noble, Léa Périchon, Nene Ogiwara, Samuel Sepúlveda Sanguino, Astrid Tinel, Naomi Uji, Yael Shervashidze und Ami Watanabe
Le sacre du printemps
Choreografie und Kostüme: Liliana Barros
Bühne: Sascha Thomsen
Dramaturgie: Anna-Luella Zahner
Licht: Tanja Rühl
Mit: Noah Amann, Dayna Booth, Emanuele Caporale, Lucas Corrêa Santos, Clara Jörgens, Jacob Noble, Astrid Tinel, Naomi Uji, Yael Shervashidze und Ami Watanabe
Ballettensemble am Theater Koblenz
Premiere war am 21. Oktober 2023.
Weitere Termine: 25., 30.11.2023
Weitere Infos siehe auch: https://theater-koblenz.de
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