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Tanz

Getanzte Sünden

GAUTHIER DANCE mit THE SEVEN SINS

Bewertung:    



Die Kompagnie von Eric Gauthier mit Sitz am Stuttgarter Theaterhaus wird größer und größer und größer. Heißt das, dass sie auch besser wird? Sagen wir es so: Mit einem größeren Ensemble erweitern sich die Möglichkeiten von Konzepten und Choreographien. Ob das ein Gewinn ist, darüber kann man streiten. Der Preis, der dafür bezahlt werden musste, ist ein allmählicher Verlust der Unkonventionalität der Anfangsjahre. Das experimentelle Stadium, der Mut zur Unvollkommenheit wurde mehr und mehr abgelöst durch Routine, von der auch die habituellen launigen Reden Gauthiers vor jeder Vorstellung nicht ablenken können.

Der jüngste Abend heißt The Seven Sins. Mit dem gleichnamigen Ballett zum Libretto von Bertolt Brecht und zur genialen Musik von Kurt Weill hat das nichts zu tun. So gesehen grenzt der Titel an fahrlässige Irreführung. Der gut vernetzte Gauthier hat sieben Choreographen, die er, wie er in seiner Eröffnung erklärt, für die weltweit besten hält, eingeladen, je eine Todsünde zu inszenieren. Seine Auswahl muss man akzeptieren, seine subjektive Bewertung nicht. Anne Teresa De Keersmaeker etwa oder Florentina Holzinger hätten in dieser Runde keine schlechte Figur gemacht. Gauthiers Wahl fiel auf Sidi Larbi Cherkaoui, Aszure Barton, Marcos Morau, Marco Goecke, Hofesh Shechter, Sasha Waltz und Sharon Eyal. Mit bloßen Illustrationen der Sünden war nicht zu rechnen. Erstaunlich aber ist, dass es wohl nicht aufgefallen wäre, wenn die einzelnen Choreographien, mit Ausnahme jener von Sasha Waltz für den Zorn, einer anderen als der tatsächlich benannten Sünde zugeordnet worden wären. Es waren schöne Einfälle im Geist der zeitgenössischen Tendenzen, aber dass sich die Choreographen allzu sehr in die Hausaufgabe vertieft hätten, kann man nicht behaupten. Man muss im Tanz kein Thema vorgeben, aber wenn man es tut, ist Beliebigkeit – nun ja: eine Todsünde.

Die Mehrheit von ihnen arbeitete lieber mit dem inzwischen, wie gesagt, ansehnlichen Ensemble als mit Solisten, und in der Tat sind es die Parallelfiguren, Übereinstimmungen und Abweichungen, was an diesem Abend den größten Reiz ausmacht. Sie haben allerdings einen Nebeneffekt. Alfred Hrdlicka hat an Piet Mondrian kritisiert, dass dieser den Menschen aus der bildenden Kunst entfernt habe. Man muss Hrdlickas Abneigung nicht teilen. Seine Beobachtung lässt sich kaum widerlegen. Es hat den Anschein, dass der Mensch auch aus dem Tanz verschwindet. Zum Ballett hat immer schon, mehr als zum Theater, die Künstlichkeit gehört. Aber im klassischen Ballett waren menschliche Züge – Zuneigung, Anziehung, Begehren, Ablehnung – immer an zentraler Stelle zu erkennen. Bei vielen heutigen Choreographien, so auch bei The Seven Sins, gewinnt man den Eindruck, dass Automaten auf der Bühne agieren, computergenerierte Artefakte oder Wesen aus einer anderen Welt. Das kann attraktiv sein, in der Häufung aber erschöpft es sich. Was sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verändert hat, kann man ermessen, wenn man an die große Pina Bausch zurück denkt. In ihren Tanztheaterstücken sind bei aller Stilisierung immer Individuen auszumachen. Wollen wir wirklich auf sie verzichten? Welche Bedeutung haben Todsünden noch, wenn es niemanden gibt, der sie begehen kann?




GAUTHIER DANCE mit Greed von Sidi Larbi Cherkaoui - aus The Seven Sins
Foto (C) Jeanette Bak

Thomas Rothschild – 7. Juni 2022
ID 13660
THE SEVEN SINS (Theaterhaus Stuttgart, 06.06.022)
Uraufführungen von Aszure Barton, Sidi Larbi Cherkaoui, Sharon Eyal, Marco Goecke, Marcos Morau, Hofesh Shechter und Sasha Waltz

Künstlerische Leitung: Eric Gauthier
Ballettmeister: Cesar Locsin und Luis Eduardo Sayago
Mit: Bruna Andrade, Joaquin Angelucci, Louiza Avraam, Nora Brown, Andrew Cummings, Anneleen Dedroog, Barbara Melo Freire, Luca Pannacci, Garazi Perez Oloriz, Jonathan Reimann, Mark Sampson, Gaetano Signorelli, Izabela Szylinska, Sidney Elizabeth Turtschi, Shawn Wu und Shori Yamamoto
Produktionsleitung: Inga Kunz
Künstlerische Koordination Kostüme: Gudrun Schretzmeier
Company Coach: Egon Madsen
GAUTHIER DANCE
Premiere war am 26. März 2022.
Weitere Termine: 07., 07., 24., 25.06.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.theaterhaus.com/theaterhaus/index.php?id=1,2,208


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