Wie geht man mit einem
Sonnenuntergang um
Das Nederlands Dans Theater gastierte im Forum am Schlosspark Ludwigsburg
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Bewertung:
Die Tanztheaterszene ist in ständiger Bewegung. Einer Compagnie allerdings ist es gelungen, sich seit mehr als einem halben Jahrhundert im internationalen Maßstab an der Spitze zu halten: dem NEDERLANDS DANS THEATER aus Den Haag. Inzwischen gibt es neben dem Hauptensemble NDT 1 die Junior-Compagnie NDT 2 und die Senioren-Compagnie NDT 3. Jetzt war NDT 1 zu Gast im Ludwigsburger Forum am Schlosspark.
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Auf dem Programm standen drei halbstündige Stücke, zwei deutsche Erstaufführungen, die gerade erst am 3. Februar dieses Jahres ihre Uraufführung in Den Haag erlebt hatten, und das siebzehnjährige Toss of a Dice des dem NDT eng verbundenen Jiří Kylián. Kein bisschen verstaubt, sorgte es für einen fulminanten Anfang. Nach und nach stürzen die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer von der Seite her auf die Bühne und bilden eine Reihe wie zum Gänsemarsch. Dann bewegen sie Arme und Beine synchron, eher zaghaft, zurückhaltend und unerhört suggestiv. Danach wechseln sich Gruppentanz, Soli und Pas de deux ab, dem klassischen Ballett noch verpflichtet und doch ungemein modern. Ein riesiges Mobile von Susumu Shingu aus Plexiglassternen, die an Propeller erinnern, tanzt mit.
Den Abschluss des Abends machte I love you, ghosts von Marco Goecke. Einmal mehr zeigt der Choreograph, nicht überraschend, seine nervös zitternden Figuren mit ihren eckigen, marionettenhaften Hand- und Beinbewegungen. Dabei spart er nicht mit Komik und Anleihen beim Animationsfilm. Die Kompositionen des Argentiniers Alberto Ginastera, des Polen Mieczysław Weinberg und des Finnen Einojuhani Rautavaara, alle drei Altersgenossen und bedeutende Komponisten des 20. Jahrhunderts, werden eingerahmt von der kontrastiv ruhigen Interpretation zweier Folksongs durch Harry Belafonte, die die Zitterpartie zum Stillstand zwingt.
Am diffusesten, wenngleich vom vollen Saal heftig beklatscht, war das Ballett mit dem poetisch-umständlichen Titel How to cope with a sunset when the horizon has been dismantled, für dessen Inszenierung der Programmzettel Marina Mascarell und für dessen Choreographie er die acht Tänzer*innen nennt. Diese kugeln auf dem Boden, auf und zwischen beweglichen weißen Teilen, die an Eisschollen erinnern. Zu einander haben sie kaum Kontakt. Sie vermitteln eher den Eindruck, als befänden sie sich alle auf einem Egotrip. Und auch die Musik lässt keinen Zusammenhang erkennen. Was hat Richard Wagner mit John Cage und György Ligeti, was haben diese mit Jean Sibelius zu tun? Offenbar wurden die Musikstücke ausschließlich nach dem Kriterium ihrer Eignung für bestimmte Tanzfiguren ausgewählt. Sie setzen ein und brechen ab in einer Weise, die dem Hörer viel Duldsamkeit abverlangt. Ein musikalisches Konzept, wie es vielen Balletten zugrunde liegt, mag im Kopf der Inszenatorin bestanden haben. Eingelöst wurde es nicht.
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I love you, ghosts von Marco Goecke mit dem NDT 1 | Foto (C) Rahi Rezvani; Bildquelle: ndt.nl
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Thomas Rothschild – 27. März 2022 ID 13543
Weitere Infos siehe auch: https://www.ndt.nl/
Post an Dr. Thomas Rothschild
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