Schauspielhaus Bochum
DER BUS NACH DACHAU
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Bewertung:
Ob einem bei Filmen über den Holocaust immer gleich Schindlers Liste einfallen muss, sei mal dahin gestellt. Der Hollywoodstreifen von Regisseur Steven Spielberg aus dem Jahr 1993 über jenen Oskar Schindler, der als deutscher Unternehmer sich erst an der Ausbeutung von jüdischen KZ-Häftlingen bereicherte und dann all das Geld wieder ausgab, um etwa 1.100 Juden vor dem Holocaust zu retten, ist aber mit Sicherheit einer der bekanntesten Filme zum Thema, obwohl sich davor und danach noch unzählige weitere Filmschaffende an der künstlerischen Darstellung des Holocaust abgearbeitet haben. Und wohlweislich nicht nur in Hollywood oder Deutschland. So auch der Vater des niederländischen Theatermachers Ward Weemhoff, der ebenfalls 1993 einen Film über niederländische Überlebende aus dem KZ Dachau drehen wollte. Da sie nach der Befreiung des KZs als einzige nicht von ihrem Heimatland abgeholt wurden, machten sich die Überlebenden in einem Bus selbst auf den Weg von Dachau in die Niederlande. Der Bus nach Dachau sollte der Film heißen und von einer Reise der ehemaligen niederländischen KZ-Insassen nach Dachau handeln. Der Film kam aus finanziellen Gründen nicht zustande. Aber auch die Überpräsenz von Spielbergs Film-Drama war schuld daran.
30 Jahre später nimmt Ward Weemhoff das Drehbuch wieder zur Hand und versucht gemeinsam mit dem niederländischen Performancekollektivs De Warme Winkel und Ensemble-Mitgliedern des Schauspielhauses Bochum in der zum THEATERTREFFEN eingeladenen Dokumentartheaterproduktion Der Bus nach Dachau über Möglichkeiten der künstlerischen Verarbeitung des Holocaust und die allgemeine Erinnerungskultur zu reflektieren. „Die Vorstellung folgt dabei der Frage, wie die Erinnerung an den Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert lebendig gehalten werden kann; in welcher Form, über welche Geschichten, mit welchen Mitteln“, heißt es da im Programmheft.
Zu Beginn erfährt aber erstmal eine Gruppe aus dem Publikum auf der Bühne in einem Vortrag mehr zum Projekt und dessen Geschichte. Ward Weemhoff erklärt im gebrochenen Deutsch und führt die Gruppe auch in eine, vom sonstigen Publikum nicht einsehbaren riesigen Holz-Container (Bühne: Theun Mosk). Dort sehen sie eine nachgebaute Kulisse einer KZ-Baracke und sollen ihre Eindrücke davon wiedergeben. „Bedrückend“ ist aus dem Container zu hören. Es werden dann auch Geräusche z.B. von knallenden Peitschen eingespielt. Dann sehen wir das Team bei einer Besprechung. Schindlers Liste und Spielberg sind da wieder das Thema. Auch Kubrick hätte einen geplanten Film über den Holocaust abgesagt. Wird also in Zukunft Spielbergs Hollywood-Drama, das der Regisseur kurz nach Jurassic Park gedreht hat, der Maßstab für das Erinnern an die Vernichtung der Juden durch Nazideutschland sein? Auch Der Weiße Hai kommt hier zur Sprache und die vielen technischen Tricks, denen sich Spielberg bei seinen Filmen bediente.
Auf der Bühne wird nun vieles ausprobiert, wie so ein Film realistisch sein könnte, oder was man dabei so alles falsch machen kann. Als Monolog bietet Weemhoffs Kollege Vincent Rietveld den Bericht eines Häftlings über den einzigen Ort im KZ, wo er sich noch allein und als Mensch fühlen könne. Die Rede ist von der Lager-Latrine und dem, was er da so macht im wahrsten Sinne des Wortes. Mit der Livekamera wird ins Innere des Containers gefilmt. Hier liegen Mitglieder des Ensembles in KZ-Kleidung auf Pritschen und spielen Szenen aus der Erinnerung der ehemaligen niederländischen Häftlinge nach. Es geht um dünne Suppe und ein Stück Brot. Das kennt man natürlich auch aus anderen Filmen, die in Konzentrationslagern spielen. Hier werden die Gesichter dann aber noch mit computergenerierten Animationen überblendet. Der Schrecken schaut einen aus großen Comic-Augen an. „Wie zum Teufel kann man das verfilmen, wenn wir nicht mehr wissen, wie es war?“
Mit Langhaarperücken und Ledermäntel spielen sie schreiend Gestapo-Leute. Vielleicht ist der Holocaust ein Märchen und muss so verfilmt werden. All so was geht den Beteiligten da durch den Kopf. Die Kritik aus Deutschland über Niederländer, die den Deutschen sagen wollen wie Erinnerung geht, und deren moralische Hochnäsigkeit, liefern sie gleich selbst mit. Am Ende löst sich alles in einer Filmprojektion bei einem Hippie-Tänzchen zum Ostklassiker Nachts der Gruppe Panta Rhei gesungen von Veronika Fischer auf. Der Container dreht sich dann mit der offenen Seite zum Publikum und ist leer. Also alles nur Illusion? Der Inhalt wird immer wieder neu mit Bildern der Erinnerung gefüllt werden. Die große Erkenntnis einer ansonsten etwas mageren Vorstellung. Die Performance hat außer dem Scheitern an der Nicht-Darstellbarkeit des Leids und der Kritik an Spielbergs Film nicht allzu viel zu bieten. Etwas wenig für ein „21st Century Erinnerungsstück“.
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Der Bus nach Dachau am Schauspielhaus Bochum | Foto (C) Isabel Machado Rios
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Stefan Bock - 19. Mai 2023 ID 14205
DER BUS NACH DACHAU (Haus der Berliner Festspiele, 16.05.2023)
Ein 21st Century Erinnerungsstück
von De Warme Winkel und Ensemble
Konzept und Regie: Vincent Rietveld, Ward Weemhoff (De Warme Winkel)
Bühne: Theun Mosk
Kostüme: Bernadette Corstens
Sounddesign: De Warme Winkel und Richard Alexander
Lichtdesign: Jan Hördemann
Dramaturgie: Dorothea Neweling
Mit: Lieve Fikkers, Marius Huth, Risto Kübar, Mercy Dorcas Otieno, Vincent Rietveld, Lukas von der Lühe und Ward Weemhoff
UA am Schauspielhaus Bochum: 5. November 2022
Eine Produktion von Schauspielhaus Bochum und De Warme Winkel
Gastspiel zum Berliner THEATERTREFFEN 2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielhausbochum.de
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