Wer schreit am lautesten?
DIE ORESTIE / DIE PERSER am Deutschen Theater Berlin
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Die ANFÄNGE, mit denen Motto stiftend diese Spielzeit das DT sein Publikum zu kirren angetreten ist, liegen Jahrtausende zurück. Waren die Griechen gar die Allerersten, die Theater spielten? sind es Texte von den Griechen, Aishylos zum Beispiel, die zu spielen hier und heute (Motto: ANFÄNGE) so unverzichtbar sind?? Wahrscheinlich ist es so. Ja und wir wollen die Idee so bildungsbürgerlicherseits, so wie es irgendwie nur geht, an uns bemerkt sein lassen; es wird irgendwas an der Behauptung dran sein, also: ANFÄNGE.
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Die Orestie (Regie Michael Thalheimer) beginnt mit einem lässig großmäuligen Auftritt von Constanze Becker (Klytaimestra). Und obwohl sie erst mal gar nichts weiter sagt, ist ihre körperlich zu nennende Präsenz - sie kommt daher und kippt sich Blut und Bier auf Haut und Haar und in das Höschen - dominant und drangsalös. Es folgen freilich jetzt auch ihre Verse. Sie gestaltet diese und sich selbst in lento-lautseligem Ton. Beeindruckend, brillant. Der "Rest" der Restmannschaft aus dem Attridenkreis tritt peu à peu nach Becker sowie mit und ohne sie dann auf. Die Megahandlung dieses Megastücks ist, wie bei Thalheimer nicht anders zu vermuten war, auf eine schlichte Kernaussage, einen Plot nur reduziert, nämlich die Badewannenszene: Klytaimestra und Aigisthos schlachten Agamemnon - Agamemnons Tod wird von Orestes und Elektra, die die Schlächter schlachten, hochgerecht gerächt. Wurst wider Wurst, so wie wir Hausfrauen das nennen würden. Schlachtfeststimmung also. Und so sieht's auch rund rum aus. Zwei Riesenstufen (Bühne Olaf Altmann) sind, so weit es geht, nach vorn an das Parkett gestellt. Vom hellhölzernen Hintergrund trieft literweise frisches und geronn'es Blut. In Blut getränkt erscheinen die Akteure (am verblüffendsten noch der, nach seiner Hinschlachtung, wie eine Blutmade von links nach rechts entlangrobbende Agamemnon Henning Vogts). Ein Chor von 40 Leuten überzeugt, vom Rang aus, in der Deklamierung des sehr anspruchsvollen Gruppenparts im Stück.
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Die Perser, also Heiner Müllers kongeniale Nachdichtung (Regie Dimiter Gotscheff), fangen noch viel witziger als witzig an: Samuel Finzi / Wolfram Koch (als Xerxes und der Schatten des Dareios) sind so wie zwei Manager, mit weißem Hemd und Schlips und Anzughose, angetreten. Eine dunkelgelbe dicke Wand, so wie ein querstehender Monolith - assoziierend auch die Anfangsszene aus "2001..." von Stanley Kubrick - , dient den beiden dazu, ihre Manneskraft, sich also an sie lehnend, sie bewegend, sie ver-drücken wollend usf., zu messen. Wer steht vor, wer hinter dieser Wand? Das ist die Machtfrage, das wird zum militanten Ausgangspunkt, sich hemdsärmliger Weise gegen feindselige Muskelkraft zu wenden; lachend, scherzend und Grimassen schneidend. Farcebild "Mann" mit "Mannesfolge" Krieg. Ja, alles klar. Auch Margit Bendokat (als Chor) und Almut Zilcher (als Atossa) machen sich in dieser hochkarätig kunstvoll aufgesprochenen und kurzweiligen Inszenierung an der fulminanten Wand (sie ist das einzige und eigentlich hauptausmachende Bühnenbild Mark Lammerts) ständighin zu schaffen. Viele Namen fliegen durch die Lüfte, keinen den man sich wohl merken wollte. Immer wieder auch dann, und für jeden extrastark und extralaut, 'ne Schrei-Einlage. Ja, die Vier scheinen am Schluss total verausgabt. Ihre Stimmen machen das bestimmt nicht auf die Dauer mit. Der Höreindruck dem gegenüber: außerordentlich.
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Ich weiß noch immer nicht, warum die alten Griechen so sehr wichtig für uns hier und heute sind.
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Andre Sokolowski - 9. Oktober 2006 ID 2719
DIE ORESTIE von Aischylos
(Deutsch von Peter Stein)
Besetzung:
Klytaimestra ... Constanze Becker
Herold/Amme ... Michael Gerber
Agamemnon ... Henning Vogt
Kassandra ... Katharina Schmalenberg
Aigisthos ... Michael Benthin
Orestes ... Stefan Konarske
Elektra ... Lotte Ohm
Chor: 40 sprechende Damen und Herren (!)
(Chorleitung: Marcus Crome)
Regie: Michael Thalheimer
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Michael Barth
Musik (an der Gitarre): Bert Wrede
Premiere war am 23. September 2006 im Deutschen Theater Berlin
Nächste Aufführungen: 22., 23. 26.-28. 10. sowie 3., 4., 18., 19. 11. 2006
DIE PERSER von Aishylos
(Übersetzung von Heiner Müller)
Besetzung:
Chor ... Margit Bendokat
Atossa ... Almut Zilcher
Schatten des Dareios/Bote ... Wolfram Koch
Xerxes/Bote ... Samuel Finzi
Regie: Dimiter Gotscheff
Gesamtausstattung: Mark Lammert
Premiere war am 7. Oktober 2006 im Deutschen Theater Berlin
Nächste Aufführungen: 13., 14. 21. 31. 10. sowie 9., 24., 25. 11. 2006
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
http://www.andre-sokolowski.de
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