2. November 2013 - Theater unterm Dach (Berlin)
EXPEDITION IN DIE NÄHE
„Eine Zimmerreise“ von und mit Juliane Werner, Astrid Rashed und Roman Shamov
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Expedition in die Nähe im Theater unterm Dach, Berlin < Bildquelle http://www.theateruntermdach-berlin.de/
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„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Diese Einsicht von Blaise Pascal könnte der theatralischen Zimmerreise des HOR-Künstlerkollektivs (zu dem ferner Gabriele Nagel, Beatrice Jugert und Caspar Brötzmann gehören) als Überschrift genügen. Doch bezieht sich das Ensemble auf Xavier de Maistre, der 1794 eine narrative Weltreise in seiner Wohnung unternahm. Er sprach sich selbst im Plural an, so seine Mannschaft versammelnd: „Laßt uns mutig aufbrechen....Wir werden in kleinen Tagesreisen voranschreiten und unterwegs über die Reisenden lachen, die Rom und Paris gesehen haben.“
Sein Roman Reise um mein Zimmer parodierte die literarische Mode großartiger Weltbetrachtungen im Zeitalter der kolonialen Übernahmen und Kartografie. De Maistre reiste in Gedanken und forschte in Schubladen. Er schloss räumliche Geringfügigkeit an weitläufige Reflektionen. Das wiederholen nun Juliane Werner, Astrid Rashed und Roman Shamov auf der Bühne im Theater unterm Dach. Das Publikum ist im Spiel. Jederzeit könnte es einer Untersuchung dienen. Der Visitation des Inventars soll es bloß nicht im Weg sitzen. Am Ende der Inszenierung wird deutlich, dass de Maistre in den Einschränkungen einer Gefangenschaft ausschweifte. Bis dahin erscheint die freie Wahl seiner Lage als der Attraktionspunkt, von dem alles ausgeht. Er führt zu Atollen aus Kniekorallen. Sie überragen leicht schäumendes Badewasser. Es fehlt nur noch eine so leichte Überheblichkeit wie die Feststellung: In meine Badewanne passt die Südsee.
Was vorher geschieht
Der Google-Zoom zieht das Theater unterm Dach aus dem Prenzlauer Berg. Die Umgebung fällt in die Bedeutungslosigkeit, der Bau klotzt wie eine Festung im Nirwana virtueller Präzision. „Schwalben beschlagnahmen das Dach.“ Zugleich geht es um „die Poetik des Raums“. Darin sind Fenster „transparente Schwellen“. Ein Tisch erklärt sich selbst „zum Brückenmöbel“.
Sloterdijk wird zugeschaltet: „Das Apartment stellt einen exemplarischen Schauplatz des Existierens dar. Das Apartment bildet ein Miniatur-Erototop.“ Sloterdijk gipfelt in der „Apartment-Onanie“, nehmen Sie das bitte nicht zu wörtlich. Wohl aber dies: „Der Mensch besteht aus einer Seele und einem Tier.“ An ihm liegt es, seine Seele listig „von dieser Verbrüderung zu befreien.“
Die Drei von der Gedankenbaustelle machen dazu Bewegungen wie auf einer Kaffeefahrt von Jack Wolfskin. Sie singen und schrammeln, sie wissen: „Es gibt Bilder, weil es Wände gibt.“
Sie lassen sich keine ausredende Ruhe, wenn es um Haustiere ihrer Kindheit geht. Eine Modelleisenbahn fährt auf den Gleisen des Geschehens in zweiundvierzig Kapiteln. In der Anzahl spezifiziert sich die Reisedauer. Sie bietet der Erinnerung schöne Momente.
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Jamal Tuschick - 5. November 2013 ID 7333
Weitere Infos siehe auch: http://www.theateruntermdach-berlin.de/
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