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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Atlantisches Wellengetöse

vor Schloss Helsingör

HAMLET von Christian Jost an der Komischen Oper Berlin



Dass vor dem Christian Jost noch niemand drauf gekommen war, dass nicht etwa Ophelia, sondern Hamlet die verwirrendsten Psychotien in sich trägt und aus sich lässt, dass also Hamlet - jener HAMLET aus dem gleichnamigen Shakespearestück - der (sozusagen) Haupt-Gaga der irren und verirrten "Haupthelden" - nicht nur der vielen Shakespearestücke - ist.

Von Christian Jost also gibt es, seit jüngstem, eine Hamlet-Oper. Sie ist zweisprachig und fußt, vom Text her, Shakespeares englischem Original sowie der schönen alten deutschen Übersetzung Schlegels. Jost hat sein Libretto so verkürzt, dass nur noch jener psychoanalytische Kernplot, der zum Verstehen dieses eigentlich so furchtbar überlangen Shakespearestücks zwingend gereicht, zum Vorschein tritt. Denn dieses Etwas-faul-im-Staate-Dänemark meint nicht viel mehr und nicht viel weniger als das:

Die leibhaftige Hamlet-Mutter ist mit ihrem leibhaftigen Bruder königlich liiert. Den leibhaftigen Hamlet-Vater hat das Paar zuvor beseitigt. Jener spukt seitdem als Geist im Hamlet-Hirn umher - mehr nicht! / Rückschlüssig könnte man behaupten: Wenn der Sohn der Mutter einen "neuen" Mann in ihrer Spalte hausen sieht, hat er sie justament ein zweites Mal für sich verloren und dreht durch; egal ob dann der "alte" wie auch immer um die Ecke kam; es handelte sich hier ausschließlich nur um den gelebten Ödipuskomplex...



Das ist Stella Doufexis, die als Hamlet
in der gleichnamigen Oper von Christian Jost
einen guten Eindruck machte
Foto (C) Monika Rittershaus


Ja und so klagt und tobt und wütet es in Gertruds Einzelkind mit Namen Hamlet, und der Jost hat eine wahrlich tolle, stimmige und unverwechselbar anmutende Musik hieraus/hierauf gemacht. Sein Hamlet ist, sehr folgerichtig, für den Mezzo (Hosenrolle) angelegt. Acht weitere Gestalten, statt den 21 aus dem Shakespeare-Hamlet, sowie Gruppensoli resp. Kammerchoreinlagen hat er komponiert. Das Ganze ist in sogenannte "12 musikdramatische Tableaux" gefasst; diese Struktur verleiht der intellektuellen Angelegenheit ordnendes Gleichgewicht, sie gibt dem Hörer Kraft und Möglichkeit zum konzentrierten Denken. Einprägsam, also am einprägsamsten überhaupt, wie Jost mit dem Orchester so verfährt. Der insgesamte Klangeindruck ist füllig, atmosphärisch, überraschend (leise wie auch stark). Dass ich partout und unentwegt an Mahlers Zehnte während dieser fast drei Stunden Spieldauer gelehnt gewesen war, hat sicherlich allein mit mir und meinem momentanen Hörsensus zu tun gehabt; es hier erwähnt zu haben, war mir dennoch wichtig...



Hamlet von Christian Jost an der Komischen Oper Berlin
Foto (C) Monika Rittershaus


Carl St. Clair leitet ein in der allerbesten Form sich präsentiert habendes Hausorchester. Und es würde Seiten füllen, wenn man jetzt auf jedes Instrument und jede Instrumentengruppe einzugehen sich verpflichtet sähe. Ja, seit dem bedauerlichen Weggang von Petrenko wurde in der Behrenstraße nicht mehr derart gut, präzise und emotional gespielt! Dieses lässt für die Zukunft wieder hoffen.

Vor der Nobelflucht nach Zürich ist dem ab der nächsten Spielzeit sicherlich nur noch halbherzig hier verweilenden Noch-Intendanten-Regisseur Andreas Homoki eine Art von Schwanengesang geglückt. Er lässt den Jost-Hamlet zweifarbig, mit paar Blaueinsprängseln, spielen. Weiß und "gleich" sehen die Lebenden/Nochlebenden um Hamlet, schwarz die Hirngespenster Hamlets aus. Plattform der minutiös herausgearbeiteten Personalbewegungen ist eine Riesenscheibe, die sich hebt und senkt. Auf einer Wendeltreppe, in die Scheibe reingebohrt, wird zudem auf und ab agiert. Verblüffend (Ausstattung von Wolfgang Gussmann)! Doch, Respekt!!

Stella Doufexis ist, vom Äußeren, ein Ideal-Hamlet. Sehr jung, sehr schön und sehr zerbrechlich. Ihre Stimme allerdings, die viel zu leise und geradlinig für ihre überschwere Rolle ist, erfüllt dieses Gespaltensein der Hauptfigur mitnichten.

Alle andern Frauenrollen ungleich besser und zufriedenstellender besetzt: Caren van Oijen (Rosenkranz) und Karoline Andersson (Ophelia) sowie Gertrud Ottenthal (Gertrud).

Jens Larsen hinterließ für mich den wohl grandiosesten Gestaltungseindruck! Und sein Claudius, insbesondere in dieser Nacht-und-Panik-Szene, lässt dann schon erahnen, was da wirklich faul im Staate Dänemark gewesen war. Larsen erfindet eine "Gangart" in der Stimme, die so zwischen tiefem Macho/feiger Memme hin und her geht; wo er beispielsweise jedesmal dann diesen "Kopflaut" herholt, weiß der Geier. Fulminant!!

Tom Erik Lie als Freund des Hamlet - eine stimmliche wie gestisch-zweckentfremdete Unterbelichtung sondergleichen.

Und James Elliott (als Laertes), Peter Renz (als Güldenstern) und Jürgen Sacher (als Polonius) waren außerdem dann mit von der Partie.

*

Ich bin geneigt, Jost-Hamlet gleichberechtigt neben Reimanns Lear (den Neuenfels hier wieder inszenieren wird) zu stellen. Dieses Werk ist außerordentlich.



Hamlet von Christian Jost an der Komischen Oper Berlin
Foto (C) Monika Rittershaus



Andre Sokolowski - 13. Juli 2009
ID 4368
HAMLET an der Komischen Oper Berlin - 12.07.09
Musikalische Leitung: Carl St. Clair
Inszenierung: Andreas Homoki
Ausstattung: Wolfgang Gussmann
Besetzung: Stella Doufexis (Hamlet), Tom Erik Lie (Horatio), Christoph Schröter, David Schroeder, Sascha Borris, Milos Bulajic, Markus Vollberg, Welf-Eckhart Wiencke (Geist), Jens Larsen (Claudius), Gertrud Ottenthal (Gertrud), Jürgen Sacher (Polonius), Caren van Oijen (Rosenkranz, 1. Clown), Peter Renz (Güldenstern, 2. Clown) Karolina Andersson (Ophelia) und James Elliott (Laertes)
Chor der Komischen Oper Berlin
(Choreinstudierung: Robert Heimann)
Orchester der Komischen Oper Berlin
Uraufführung war am 21. Juni 2009


Weitere Infos siehe auch: http://www.komische-oper-berlin.de





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