Die Hamletmaschine
am Tag der deutschen Einheit
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Es gibt Feste, wo es keine rechten Essen dafür gibt. Zu Weihnachten oder am Ostersonntag, beispielsweise, kommen keine kulinaren Zweifel auf. In Thüringen (wo ich her bin) macht meine Mutter Heiligabend immer Fisch, mal Karpfen, mal Forelle; Ostersonntag gibts dann meistens Hasenbraten...
18mal fand nun schon dieser sog. Tag der deutschen Einheit statt. Warum sich unsre deutschen Volksvertreter damals auf den 3. 10. kaprizierten, als sie uns, dem deutschen Volk, das Datum von ab da als einen Feiertag bescherten, konnte ich noch nie so richtig nachvollziehen, denn an diesem 3. 10. war ja nix; die Mauer fiel am 9. 11., also später (oder früher?) - doch vielleicht sollte es bloß dem Angedenken an das Hissen einer schwarzrotgoldnen Riesenflagge, ohne DDR-Enblem, vorm Bundesreichstag sein. Egal.
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Dimiter Gotscheff - eine Art von Kampf- und Weggefährte Heiner Müllers - ist ein schöner Mann. Seine Gesichtszüge, die hart und kantig sind, erinnern diesen Abend, wie er seinen Auftritt in den Kammerspielen des DT vollführt, an die Gesichtszüge von Helmut Schmidt. Das macht die Angelegenheit umso gedanklicher:
Jetzt stelle man sich vor, dass der Altbundeskanzler - "früher", also in der DDR (wo ich her bin), war er ja auch bei uns total beliebt - über die Ursachen der deutschen Trennungen und Einheiten in intellektuelle Euphorie gerät...
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Im Kurzstück Heiner Müllers steht das Alles, und noch viel viel mehr natürlich, drin. Es ist ein etwas größeres Gedicht, hat ein paar wortwörtliche Rolleneinsprengsel und spricht sich insgesamt so wie sich's liest; und jeder Vers ein Fausthieb! Auch gibts viel zu Lachen in dem Ding; die Wahrheiten sind immer lustig, ohne Ironiebereitschaft keine Chancen auf die Welt-Einsicht. Tausende Male wurde es auf dem Theater ausprobiert. Und Müller selbst dachte es lediglich als Vorbemerkung zu dem Shakespearestück (Hamlet) an sich:
Die Hamletmaschine also.
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Zweimal lässt der Gotscheff dann den Text erfolgen: Er höchstselbst (wie Helmut Schmidt aussehend, wie gesagt) spricht ihn bedächtig und in Zeitlupe; der Hörer kriegt also die ganze Wucht der Müller'schen Vokabeln mit. Und dann tut Valery Tscheplanowa das Alles nochmals, ungleich-unruhiger, als einen Akt der tollwütigen Tobsucht aus sich raus verleiben; imposant!!
Und Alexander Khuon tritt, als Hamletjüngelchen schlechthin, am Anfang und am Schluss der Inszenierung auf. Und er erzählt uns, dass er, wenn es seine knochenharte Mutter nicht gegeben hätte, die das rechtzeitig verhinderte, als Hilfsschulschüler unters Rad gekommen wäre... und er schimpft auf unser Konsumdenken und auf Coca-Cola...
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Andre Sokolowski - 4. Oktober 2008 ID 4019
DIE HAMLETMASCHINE (Kammerspiele, 03.10.2008)
Mit Valery Tscheplanowa, Dimiter Gotscheff und Alexander Khuon
Regie: Dimiter Gotscheff
Ausstattung: Mark Lammert
Premiere am Deutschen Theater Berlin war am 8. September 2007
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
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