Übers Gedulden
und die
Duldkraft
zweier Chöre
(2 Ärgernisse)
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Herbert Fritsch ist es vom Schauspiel her gewohnt, mit roter oder brauner Farbe an sich Blut- und Scheißbesudelungen hinzunehmen, und die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, wo er fast zu Hause war, bot ihm dahin desöfteren Gelegenheiten einer Menschendarstellung. Jetzt hatte ihn Sebastian Baumgarten ins REQUIEM-Spiel an die Komische Oper Berlin geholt, und Herbert Fritsch spielt da mit den KollegInnen Irm Hermann, Kathrin Angerer und Hendrik Arnst Geschichten nach geklauten Ur-Geschichten nach geführten Interviews... das Alles durchgewalkt mit der Musik von Wolfgang Amadé - Foto (C) Monika Rittershaus
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Am Sonntagnachmittag - das erste Ärgernis:
Der RIAS Kammerchor ist angetreten, um mit Bachs H-Moll-Messe sein 60jähriges Bestehen festlich zu bestreiten. Die bewussteste und schönste Auswahl eines Werkes, ohne jede Frage. Eine reichlich anwesende Hörerschaft ist gänzlich motiviert und hocherfreut auf Dieses eingestellt. Auch Zeit zum Beten, wenn der "Rahmen" stimmen würde, wäre jetzt; Bachs sogenannte Hohe Messe machte auch dem größten Ketzer in der Runde Mut, über sie selbst und sich ein bisschen nachzudenken, also vorher kurz zu meditieren...
Aber - wie es so bei Funktionären's üblich ist - wird man (ohne gefragt zu werden, ob man das dann für sein Eintrittsgeld, das man bezahlt hat, überhaupt als eine Zusatzleistung will) mit einer viertelstündigen Protokulareinlage eines vortretenden Redners - keine Ahnung, wer das war - belästigt; und so spricht dann dieser Mensch zunächst erst mal die sogenannten Offiziellen, die als Gäste diesem Jubiläumsabend irgendwelchen Glanz verleihen sollten, an; dann listet er die vielen Preise und Plaketten, die der RIAS Kammerchor in den vergangenen Jahrzehnten einheimste, der Reihe nach und nervig auf; und schließlich konnte er es sich auch nicht verkneifen, zu der Werkbedeutung allgemein den einen oder andern Allgemeinplatz zu verlieren. Peinlich alles das und gänzlich unwürdig für einen Anlass so wie diesen. Warum schwieg der Redner nicht? wer zwang ihn, solche Plattitüden abzulassen?? wohin wollte er die kleine Rede von sich wissen, wenn sie doch am Ende derart klein und völlig überflüssig war???
Dem Dirigenten Rademann gelang mit seinen Leuten (und der Akademie für Alte Musik Berlin sowie den Gesangssolisten Kiehr, Danz, Genz und Wolff) eine berückende Gesamtdarbietung. Dass der RIAS Kammerchor, von Anfang an seines Bestehens, insbesondere in Sachen Bach weithin als unschlagbar zu nennen war und ist (!), bekräftigte die rundum runde Aufführung auf das Markanteste.
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Am Sonntagabend - zweites Ärgernis:
Wer hatte die Idee, vier schauspielernde Protagonisten der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz dem Chor der Komischen Oper Berlin (und vier ganz kurz nur aufgetretenen Gesangssolisten) kess zu untermischen? Und im Fall des seit geraumer Zeit und allzu vordergründig überschätzten Jung-Regie-Stars Baumgarten fällt einem schon dann so gewisses Klüngelieren ein; mit Angerer zum Beispiel arbeitete er sich an Puccinis Tosca sinnlos ab; in Petras' Stall machte er auch die eine oder andere Regie - kurzum: Da holt der Eine dann den Anderen, weil man sich sowieso schon kennt; und angepriesen wird so plötzlich etwas Neues, Noch-nie-Dagewesenes... und dieser Bautzner Mischsenf nennt sich anmaßender Weise so:
"REQUIEM / Totenmesse von Wolfgang Amadeus Mozart für vier Solostimmen, Chor und Orchester KV 626 (Fassung Franz Beyer) / 'In der Schlangengrube. Sechs Lebenslinien' von Armin Petras und Jan Kauenhowen (Uraufführung) in einer Spielfassung der Komischen Oper Berlin"
O leckt mich doch am Arsch, ihr möchtegernen Osterhasen!
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Irm Hermann, Herbert Fritsch und Kathrin Angerer (v. r. n. l.) probieren einen Pappsarg aus. Auch dieses als ein deutlich zu verstehendes Signal an das Publikum in der Komischen Oper Berlin, dass es in dem REQUIEM-Unterspiel von Petras/Kauenhowen, frei nach Mozart, sicherlich dann auch um Tod und Leben geht. - Foto (C) Monika Rittershaus
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Denn das Freche, um nicht gar zu sagen Fiese an der ganzen Chose ist dann das hier (O-Zitat aus dem Besetzungszettel):
"Der fiktiveText 'In der Schlangengrube. Sechs Lebenslinien' von Armin Petras und Jan Kauenhowen basiert auf Interviews, die Jan Kauenhowen zwischen Mai und Oktober 2007 geführt hat. Unser besonderer Dank gilt den kranken Menschen, die sich in den zahlreichen Gesprächen mit rückhaltloser Offenheit äußerten. Wir nennen sie hier nicht namentlich, um sie zu schützen."
Zweischneidig ist jedes Schwert, denn: Erstens nimmt sich Petras das für jeden Dichter ausbedungne Recht, mit Stoffen seiner Auswahl umzugehen wie er will; dagegen ist nichts einzuwenden. / Zweitens macht er zwar aus diesem Material, also den Menscheninterviews, verschiedene und in betonter Absicht auf- und umgebrochene Geschichten draus; die wahren Ur-Geschichten bleiben allerdings dann (schon des Annotierten im Besetzungszettel wegen) identifizierbar. // Also setzt man sich nach Kuckucksart in ein gemachtes Nest und gibt den "fremden Scheiß" als seinen eignen aus...
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Um keine Missverständnisse hier aufkommen zu lassen: Ich bin ein Totalbefürworter von Werk-Benutzungen in jeder nur erdenklich kühnen Weise. Und auch Mozarts Requiem könnte ich mir in den schillerndsten und schrecklichsten Gereichtseinsweisen des Theaters vorstellen. Es brauchte nur hierfür ein glaubhaftes Konzept. Beziehungsweise einen roten Faden, wo ich mich ariadnemäßig aus dem Labyrinth der vorgegaukelten Ersatzwelt (Kunst ist ungleich Leben!!) rauszuhangeln wüsste. Berghaus konnte das. Auch Schleef, den Baumgarten posthum verehrt.
Banal-Belangloses passiert am Hause in der Behrenstraße: Mozarts Requiem wird von Markus Poschner (GMD aus Bremen) auf vielleicht die Hälfte oder bloß ein Drittel abgeschrumpft; einige Stellen werden hacklichthaft zurückgenommen oder mehrfach wiederholt; und Claire de lune von Debussy klimpert noch wer auf dem Klavier... / Die Schauspielstars plappern sechs Lebensläufe irgendwelcher (kranker) Leute runter, und ihr Duktus ist sehr burschikos, das Heiterlich-Absurde ihrer Sprache und Geschichten soll dem Tragischen an sich (= unserer Endbegegnung mit dem Tod) eine gebührliche Entsprechung sein. // Es werden jede Menge kleine Filmchen eingespielt; zumeist vergrößern sie nur die Gesichter derer, die gerade von den vielen Viten sprechen. /// Das Verallgemeinernde verlangt der Regisseur im Aufgebot der Masse:
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Der Chor der Komischen Oper Berlin gibt sich auch mal als eine Horde von Neandertalern... so wie jüngst beim REQUIEM, frei nach Mozart, das Sebastian Baumgarten mit einer zwielichtigen Stückanreicherung von Armin Petras und Jan Kauenhowen inszenierte - Foto (C) Monika Rittershaus
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Und der Chor macht seine Sache wirklich gut; und nicht nur dass er singen kann - auch spielen kann und konnte er schon immer; dahingehend würde ihn auch nichts im Weiteren erschüttern, die Regiehandschriften dieses Hauses sind und waren niemals zimperlich. - So muss er dieses Mal als langhaarige Horde von Neandertalern oder als den Herbert Fritsch zu Tode massakrierendes weiß-t-shirtiges Pflegepersonal treudoofen Dienst (am Regisseur) verrichten.
Null Katharsisse. Nicht Fisch, nicht Fleisch.
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Andre Sokolowski - 29. September 2008 ID 4015
http://www.andre-sokolowski.de
Philharmonie Berlin: Bachs H-MOLL-MESSE
(Jubiläumskonzert des RIASKammerchor am 28.09.08, 16 Uhr)
Maria Cristina Kiehr, Sopran
Ingeborg Danz, Alt
Christoph Genz, Tenor
Komstantin Wolff, Bass
Akademie für Alte Musik Berlin
RIAS Kammerchor
Dirigent: Hans-Christoph Rademann
http://www.rias-kammerchor.de
Komische Oper Berlin: REQUIEM
(Premiere am 28.09.08, 19 Uhr)
Musikalische Leitung: Markus Poschner
Inszenierung: Sebastian Baumgarten
Ausstattung: Michael Graessner / Tabea Braun
Gesangssolisten: Brigitte Geller / Elisabeth Starzinger / Peter Lodahl / Dimitry Ivashchenko
Schauspieler: Kathrin Angerer / Irm Hermann / Hendrik Arnst / Herbert Fritsch
Pianist / Organist: Lutz Kohl
Komparserie der Komischen Oper Berlin
Chor der Komischen Oper Berlin
(Choreinstudierung: Robert Heimann)
Orchester der Komischen Oper Berlin
Weitere Infos siehe auch: http://www.komische-oper-berlin.de
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