Sie tanzten den ganzen
Sommer
Bringt Florentina Holzinger die Rettung?
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Landauf landab sorgen Sommerfestivals dafür, dass die tote Saison zu Leben erwacht. Man muss nicht mehr unbedingt kulturell darben, wenn die Theaterhäuser ihre Pforten schließen. Und die Kommunalpolitiker sind den Initiatoren, mögen sie noch so einfallslos sein, gewogen. Vielleicht gelingt es ihnen ja, Touristen oder wenigstens Kurzzeitbesucher anzulocken und die Gastronomie, die Hotellerie und die Läden in der Fußgängerzone zu beatmen wie einen schwer an Corona Erkrankten. Dabei fällt ein Phänomen auf: Überall wird getanzt. Das Sprechtheater befindet sich in der Defensive. Schaut man genauer hin, entdeckt man, dass sich hinter den scheinbar autonomen Festivals gut abgestimmte Tourneen verbergen. Da kann es sogar passieren, das zwei Festivals den Auftritt eines Ensembles mit dem selben Stück als Deutsche Erstaufführung ankündigen. Das wäre noch kein Malheur. Schließlich kann nicht jeder normale Sterbliche, der am nächsten Morgen zur Arbeit muss, den Tanztruppen hinterher reisen. Es hat schon seinen Sinn, wenn sie in der Nähe gastieren. Dass sie ihr Programm auch an diversen anderen Orten abspulen: wen juckt’s? Wenn die Veranstalter bloß ihre vollmundigen Ankündigungen lassen könnten. Was sie als Alleinstellungsmerkmal ausgeben, ist in Wahrheit nur ein Eintrag im Tourneeplan der geschäftstüchtigen Manager.
Auch das wäre noch kein Unglück, sondern nur eine der Lächerlichkeiten der grassierenden Übertreibungen und Selbstdarstellungen. Die PR hat die wahrheitsgetreue Information längst verdrängt. Bedenklicher ist, dass die sich inflationär vervielfachenden mehr oder weniger professionellen Theatertruppen einander zunehmend gleichen. Die Choreographien ähneln sich in einem Maße, dass man nicht entscheiden kann, was bloßes Plagiat, was nicht bewusst gemachte Anregung und was Koinzidenz ist. In der Erinnerung fließt alles in einander: die immer gleichen Gänge, die immer gleichen Gesten und Körperverrenkungen, die immer gleichen Zitate und Überwindungen des klassischen Balletts. John Travolta ist fast obligatorisch der demonstrative Bezugspunkt, Nurejew oder Margot Fonteyn sind dagegen vergessen, aber auch die Choreographen der Tanztheatergeschichte vor Pina Bausch sind es, wobei das unübersehbare Erbe der großen Wuppertalerin eher die begrenzten Fähigkeiten ihrer Nachfolger*innen als deren Lernfähigkeit beweist. Da muss schon die Radikalität einer Florentina Holzinger her, um Aufsehen zu erregen und geradewegs an die Volksbühne zu führen [Beispiel: A Divine Comedy, s. Foto unten]. Doch auch die, man ahnt es, wird in Windeseile nachgeahmt werden, in den Tanztheateralltag eingehen und ihre provozierende Kraft verlieren. Dann wird nur noch der Name eines der wegbereitenden Tanztheaterfestivals an den Begriff „Impuls“ erinnern. Die Wahrheit ist: ein aufgewärmtes Gulasch kann immer noch gut schmecken, aber es ist halt ein aufgewärmtes Gulasch.
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A Divine Comedy von Florentina Holzinger | © Nicole M Wytyczak
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Thomas Rothschild - 16. August 2022 ID 13754
Post an Dr. Thomas Rothschild
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