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Rezension


2. März 2013, Premiere an der Semperoper Dresden

MANON LESCAUT



Thiago Arancam als Des Grieux und Norma Fantini als Manon Lescaut in dem gleichnamigen Puccini-Stück an der Dresdner Semperoper - Foto © Matthias Creutziger


Kämpfe und Krämpfe

Auf der Bühne hat Manon Lescaut ja schon so einiges überlebt, vom Rokoko-Boudoir über die Traumfabrik bis hin zur Koksparty. In seiner Grazer Inszenierung (die nun nach Dresden gewandert ist) stellt ihr Stefan Herheim einen fiktiven Begleiter zur Seite und wählt damit eine szenische Lösung, die eigentlich immer funktioniert. Nun taucht Giacomo Puccini in seiner eigenen Oper auf, darf Skizzen sortieren, mit Partiturblättern wedeln und mit dem Finger in die literarische Vorlage hineinpochen. Und das eben nicht nur als stiller Beobachter des Geschehens: Immer dann, wenn es Herheim für angebracht hält, darf sich dieser Puccini bemerkbar machen, in die Handlung eingreifen oder auf Abbé Prévost verweisen. Der Schauwert dieser Rolle soll hier auf keinen Fall untergraben werden, aber beantwortet das zugleich auch die Frage ihrer Existenz? In der Theorie - also dem Programmheft - wird eine Verbindung zwischen dem Werk und einer privaten Liebesbeziehung Puccinis hergestellt. Deren Sinnlichkeit ist aber auf dem Weg zur Bühne irgendwo stecken geblieben, denn dort spielt sich das Ganze als Groschenheft-Schnulze ab. Da strandet Manon im letzten Akt in der Wüste, fleht den stummen Puccini um ihr Leben an - und diesem bricht sichtlich das Herz, weil er sie ja sterben lassen muss. Lassen wir die Kirche im Dorf: Puccinis Opern sind furchtbar rührselig! Dennoch: Nach der grandiosen La Bohème in Oslo hatte man von Herheim und seinem Leib- und Magendramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach mehr erhofft.

Ein anderer Punkt, über den sich trefflich streiten lässt, ist die Sicht auf die Titelfigur. In Le Havre, dem Ort, an welchem Manon das Schiff nach Amerika besteigt, trat die Freiheitsstaue ein Jahrhundert später ihre Reise ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten an. Dieser, nennen wir es mal Zufall, reicht der Regie völlig aus, um daraus einen wichtigen Zusammenhang abzuleiten. Aber kann die Ich-Sucht Manons für ein Symbol individueller Freiheit stehen? Sind Mademoiselle Lescaut und Lady Liberty wirklich Schwestern im Geiste? Wenn ja, dann haben wir diesen Charakter ja bislang völlig falsch eingeschätzt. Wie dem auch sei: Zumindest kann Bühnenbildnerin Heike Scheele jetzt ordentlich klotzen und riesige Einzelteile des New Yorker Wahrzeichens auf die Plattform wuchten. Dem gegenüber sind die Kostüme von Gesine Völlm geradezu konventionell ausgefallen.

In musikalisch-gesanglicher Hinsicht lohnt sich der Abend schon eher. Christoph Pohl ist ein ganz vortrefflicher Lescaut, sonor und elegant; Giorgio Berrugi, Scott Conner und der fabelhafte Staatsopernchor gefallen ebenfalls; Maurizio Muraro als Geronte di Ravoir bietet leider nur Durchschnittliches, und Norma Fantini singt zwar eine ausladende Manon, aber ihr Sopran klingt wesentlich entspannter, als zuletzt in Hamburg. Thiago Arancam, im Vorfeld als „Weltenbummler zu Gast in Dresden“ gepriesen, kann den hochgesteckten Erwartungen nicht gerecht werden und bekommt für seinen matten Des Grieux den Unmut des Publikums zu spüren. Unter Christian Thielemann spielt die Staatskapelle Dresden, nun ja, schön - natürlich - und klangprall, und energiegeladen, und mit hoher Akkuratesse und flinken Tempi. Puccini halt. Ganz ohne jeden Makel.




Manon Lescaut an der Dresdner Semperoper - Foto © Matthias Creutziger


Heiko Schon - 3. März 2013
ID 6598
MANON LESCAUT (Semperoper Dresden, 02.3.2013)
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung: Stefan Herheim
Bühnenbild: Heike Scheele
Kostüme: Gesine Völlm
Licht: Fabio Antoci
Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach
Szenische Einstudierung: Stefan Herheim, Christian Thausing
Besetzung:
Manon Lescaut … Norma Fantini
Lescaut … Christoph Pohl
Renato Des Grieux … Thiago Arancam
Geronte di Ravoir … Maurizio Muraro
Edmondo / Tanzmeister / Laternenanzünder … Giorgio Berrugi
Wirt / Sergeant / Schiffskapitän … Scott Conner
Ein Musiker … Christel Lötzsch
Puccini … Mathias Kopetzki
Madrigalistinnen … Beate Siebert, Monika Harnisch, Barbara Leo, Fumiko Hatayama
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Choreinstudierung: Papblo Assante
Premiere war am 2. März 2013
Weitere Termine: 6., 10. 3. / 28. 4. / 1., 4. 5. / 18., 23., 27. 6. 2013


Weitere Infos siehe auch: http://www.semperoper.de


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