7. September 2013 - Premiere in der Schaubühne am Lehniner Platz
DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT
Patrick Wengenroth nimmt Fassbinders legendäres Kammerspiel unerwartet bitter ernst
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Lucy Wirth und Jule Böwe in DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT - Foto (C) Gianmarco Bresadola
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Verkehrte Welt an der Berliner Schaubühne. Hausautor und Regisseur Marius von Mayenburg, sonst ein feiner Sezierer der bürgerlichen Gesellschaft und Beziehungshölle (Parasiten, Das kalte Kind, Der Stein), macht aus Shakespeares Komödie Viel Lärm um Nichts eine Film-Klamotte; und Patrick Wengenroth, an der Schaubühne eher der Mann fürs Grobe und Trashige, überträgt Fassbinders kammerspielartiges Filmset zu dessen sadomasochistisch angehauchtem Beziehungshorrorstück Die bitteren Tränen der Petra von Kant fast werkgetreu wieder zurück auf die Bühne. Und man weiß zunächst nicht, ob man staunen, sich ärgern oder einfach nur befreit auflachen soll. So viel nur: Wer verbissen nach einem Sinn sucht, wird in beiden Fällen bitter enttäuscht werden. Die Sache liegt, so einfach wie kompliziert, im Auge des jeweiligen Betrachters selbst. Zu konstatieren bleibt im Vorfeld lediglich, dass die Schaubühne auch in der neuen Spielzeit wieder verstärkt auf musikalische Showelemente setzt.
Und während im großen Saal Hedda Gabler in Ostermeiers Ibsenhölle mit Duellpistolen spielt, lädt auch Patrick Wengenroth nebenan im Saal C zur Schlacht auf dem Fassbinder-Flokati unter einem großen dreiteiligen mit Rüschen besetzten Showportal. Hierhin ist er nach der vorgezogen grell-bunten Fassbinder-Kür Angst essen Deutschland auf im Studio der Schaubühne zur weitaus schwierigeren Pflicht umgezogen.
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Fassbinders psychologisches Kammerspiel aus dem Jahr 1972 mit Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Irm Hermann und Eva Mattes ist legendär. Die Latte liegt demnach hoch, ist doch auch Martin Kušej am Residenztheater München vor kurzem eine vielbeachtete Inszenierung gelungen. Ein komplettes Stück vom Blatt zu inszenieren, ist nicht der übliche Regiestil von Patrick Wengenroth. Mit Die bitteren Tränen der Petra von Kant macht er die Ausnahme zur Regel, und dennoch scheint zunächst alles wie gewohnt. In bunten Katzenkostümen treten er und sein langjähriger Mitstreiter, der Musiker Matze Kloppe, vor den Vorhang, auf den der Schatten einer großen Frauensilhouette geworfen ist, und intonieren Lovecats von The Cure. Das ist natürlich Ironie satt.
Man ist sich auch im Folgenden nicht ganz sicher, ob das nicht doch eine Parodie werden soll. Und wenn ja, ist es zumindest eine sehr bittere. Wengenroth hat die ausschließlich weibliche Besetzung des Originals fast vollständig übernommen, nur die Mutter ist gestrichen. Jule Böwe spielt die mondäne Modedesignerin Petra von Kant. In einem Traum von Kleid mit langer Schleppe steht sie dort auf der Bühne, es fehlt lediglich noch die Zigarettenspitze, um an einen noch bekannteren Film zu erinnern. Lucy Wirth gibt im Wechsel das Frauchenklischee Sidonie von Grasenabb und das eigentliche Objekt der Begierde Karin Thimm. Patrick Wengenroth lässt es sich aber nicht nehmen, die stumme Rolle der Sekretärin Marlene im devoten Gouvernanten-Look selbst zu mimen. Die Kostüme sind mit Korsetts, Seidenstrümpfen und Strapsen zusätzlich sexuell aufgeladen. Wie schon Fassbinder spielt auch Wengenroth mit diesem Klischee.
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Patrick Wengenroth, der Realisator der BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT an der Schaubühne Berlin - Foto (C) Heiko Schäfer
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Er liefert die stilgenaue Kopie des Films. Die Inszenierung atmet von den Kostümen bis zu den Frisuren das 70er-Jahre-Flair des Originals. Die eiskalten Worte, mit denen die Protagonistinnen aus ihren kaputten Beziehungen berichten, lassen einem auch heute noch die Haare zu Berge stehen. Rasiermesserscharf schneiden sie die Luft. Als schmieriger Barpianist sitzt Matze Kloppe am Rand der Bühne und klimpert den Soundtrack zum fiesen Spiel. Es geht bei Fassbinder vordergründig um die Unmöglichkeit der bedingungslose Liebe auf Augenhöhe und emotionale wie monetäre Abhängigkeitsverhältnisse, in die seine Figuren mehr oder minder freiwillig geraten. „Weil man leben muss, Petra. Und weil man arbeiten muss, wenn man Geld verdienen will, und weil man Geld braucht, wenn man lebt.“ sagt Sidonie. Nach Aktualität in der postmodernen kapitalistischen Gesellschaft muss man da eigentlich nicht mehr fragen.
Während Petra von Kant ein unklares Herrschaftsverhältnis zu ihrer Bediensteten Marlene pflegt - Wengenroth und Böwe tanzen wie im Film zu Smoke Gets in Your Eyes von den Platters - , geht sie relativ bedingungslos in die Beziehung zur jungen, aufstiegswilligen Karin und beginnt so ein gefährliches Spiel, das sie nicht gewinnen kann. Immer mehr rutscht Petra, die eigentlich besitzen will, selbst in eine emotionale Abhängigkeit. Mit großem Einsatz geben Jule Böwe und Lucy Wirth das ungleiche Liebespaar, stöckeln, albern und rollen dabei ausgelassen über den rutschigen Untergrund. But Every Thing Must Change weiß ein weiterer Song. Der Mensch ist letztendlich austauschbar, „das muss man lernen.“ Als Karin bei der ersten Gelegenheit fremdgeht und sogar wieder zu ihrem Mann zurückkehrt, erfolgt nicht ganz unerwartet der Absturz aus dem siebten Himmel, auch wenn er vom Flokati noch relativ weich abgefangen wird.
Kein Telefon, keine Puppen, nichts, woran sich Jules Böwes Petra von Kant festhalten könnte - außer an ihrer Ginflasche. Daneben dient als einziges Requisit lediglich noch ein Tablett mit zwei Gläsern. Wenn das Telefon klingelt oder die Post zu holen ist, serviert Marlene immer wieder untertänig frisch gefüllte Gläser. Als Wiedergängerin des ganzen Beziehungselends schneit schließlich noch die Tochter Gabriele (Iris Becher) in züchtigem Gelb herein und berichtet der emotional am Boden liegenden Mutter Petra von ihrer banalen Teenagerliebe. Jule Böwes Gin-geschwängerte Schrei- und Heulorgie auf dem weißen Flokati - sie hat die Schnapsdrossel schon mehrfach an der Schaubühne geübt - ist dann ganz großes Kino oder auch Theater. Je nachdem, wie man‘s nehmen will. Sie kämpft sich tapfer durch die bitteren Tränen der Verzweiflung, was auch leicht in übertrieben-sentimentalen Kitsch abgleiten könnte. Denn Liebe ist kälter als der Tod.
Dass das bei Fassbinders völlig ernster, ironiefreier Vorlage nicht passiert, liegt wohl vor allem an der großartigen Frauenriege, die sich trotz strengem Korsett ihre Freiräume erspielen kann. Auch Wengenroth geht diesmal wesentlich subtiler vor, drängt den Klamauk nicht in den Vordergrund. Allerdings emanzipiert er sich nur recht mühsam vom übermächtigen Vorbild. Wahrscheinlich sind sich die beiden Regisseure nicht nur im Aussehen sehr ähnlich. Schlussendlich ist es das Weggehen, das Ausbrechen aus der Enge des bürgerlichen Gefängnisses, was Fassbinder als Lösung anbietet. Selbst mit der Gefahr, direkt in die nächste Abhängigkeit zu schlittern. Auch die treue Dienerin Marlene verlässt Petra von Kant, als diese ihre Stärke aufgibt, Schwäche eingesteht und somit Marlene nicht mehr das bieten kann und will, was diese benötigt. Das sind natürlich ganz persönliche, autobiografisch gefärbte Eindrücke Fassbinders, nah am Klischee und nicht frei von bourgeoisem Dünkel. An Ostermeiers Schaubühne am Kudamm ist er damit jedenfalls bestens aufgehoben.
Einen Aufbruch ganz anderer Art gibt es dann auch bei Patrick Wengenroth. Anstatt ihren Koffer packt seine Marlene allerdings nur den Flokati und macht erst mal die Bühne frei. Wohin könnte man auch gehen? Stumm wird Marlene hier jedenfalls nicht bleiben. Was Wengenroth zu sagen bzw. zu singen hat, sollte man sich nicht entgehen lassen. „Jippie-Ya-Yeah“, Schweinebacke Fassbinder. Oder siegt bei Wengenroth etwa doch die Wa(h)re Liebe?
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Lucy Wirth und Jule Böwe in DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT - Foto (C) Gianmarco Bresadola
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Bewertung:
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Stefan Bock - 9. September 2013 ID 7131
DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT (Schaubühne Berlin, 07.09.2013)
Realisation: Patrick Wengenroth
Bühne: Mascha Mazur
Kostüme: Andy Besuch
Musik: Matze Kloppe
Licht: Erich Schneider
Mit: Jule Böwe, Lucy Wirth, Iris Becher und Patrick Wengenroth
Musiker: Matze Kloppe
Premiere war am 7. September 2013
Weitere Termine: 11. 9. / 1., 2., 21., 22. 10. 2013
Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de
blog.theater-nachtgedanken.de
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