Fünf Akte
auf dem
Drahtseil
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HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN an der Bayerischen Staatsoper - Foto (C) Wilfried Hösl
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Die Kunst namens Musiktheater ist eine launische Diva und ein Erfolg mit ihr nicht planbar. Wie schön hat sich diese Neuproduktion doch in der Bayerischen Spielzeitschwarte gelesen: Eine Sopranistin und ihr Comeback nach der Babypause, ein Tenor und sein Comeback nach dem Comeback nach der Opernpause, ein aufstrebender Dirigent (welcher just an diesem Abend erster Preisträger des Carlos Kleiber-Preises wurde) und ein Revoluzzer-Regisseur, der bei den Jungen zwar schon zu den Alten, aber bei den Alten noch zu den Jungen zählt. Nach diesen fünf Drahtseilakten kann dem neuen Les Contes d'Hoffmann weder ein Erfolg noch ein Misserfolg bescheinigt werden. Hier also der Versuch einer Strukturierung:
Constantinos Carydis schnippst amüsiert die Takte der Prélude, lässt den Prolog mit grob geschnitzter Dramatik spielen, zieht das Tempo an und lässt nur locker, um gleich wieder davon zu düsen. Dieser Offenbach schnalzt mit der Zunge, scheint überhaupt völlig übergeschnappt zu sein. In Windeseile huscht Carydis durch die "Glou! Glou!"-Szene: Hat da irgendjemand Brausepulver in die Champagner-Flöte getan? Kann ein Offenbach betrunken klingen? Nicht unspannend das Ganze. Schade nur, dass der Hermann (smart: Tim Kuypers) so wenig zu singen hat und immer einer vom Chor ausscheren muss. Rolando Villazón ist Hoffmann ist Villazón. Oder mit weniger Schwurbelei: Villazón spielt sich selbst. Aber auch die Muse erscheint als dunkler Lockenkopf, als Villazón, singt aber - wenn man so will - wie der „Davor-Villazón“, also im Vollbesitz der stimmlichen Möglichkeiten. Villazón dagegen singt, nun ja, wie der „Danach-Villazón“. Und jeder wird wohl wissen, was hier gemeint ist. Aber diese eine Frage bleibt: War diese philosophisch-subtile Fußnote von der Regie so beabsichtigt?
Im Olympia-Akt lädt Richard Jones zum Kindergeburtstag, der Graben würzt dazu den Cancan mit ordentlich Rumms. Die Mansarde ist inzwischen neu tapeziert worden, aber was Giles Cadle da entworfen hat, ist trotzdem als Einheitsbühne zu werten, als eine sängerfreundliche. Eine Chorregie aber, ist in dieser engen Bude so gut wie unmöglich. Kevin Conners tritt vor allem als Transen-Mutti Cochenille ordentlich auf die Tube und stiehlt damit dem Spalanzani von Ulrich Reß die Show. Auftritt Diana Damrau! Was für eine superbe, mit Koloraturen jonglierende, jeden Spitzenton treffende, witzige und vor allem spielfreudige Olympia. Unter Carydis klingt die Musik an dieser Stelle tatsächlich wie die von Spielzeuguhren. Jones inszeniert den Puppen-Chanson als eine nicht sehr tiefsinnige Verhohnepipelung von Disney, aber der Berliner würde zumindest sagen: Dit war Amüsemeng!
Bei Antonia wechselt der Tonfall ins Elegische. Carydis schlägt nun weicher und zupft im Graben feinste Spinnweben zurecht. Rolando Villazón, dessen Stimme immer wieder kleine Kratzer aufweist, kommt langsam in Fahrt. Das tenorale Brennen, das man von früher kannte und für immer verloren glaubte, lodert im Piano tatsächlich noch auf. Villazón scheint immer etwas abzuwarten, ob der angesteuerte Ton nun sauber kommt oder ins Gleißende kippt: Sitzt er, wird er auch mit Power rausgeballert, sitzt er aber nicht, wird die Höhe lediglich kurz angetippt - oder gar nicht erst gesungen. Es sind einige Töne dabei, die zu tief sind, auch in den Ensembleszenen. Dennoch muss die Frage, ob der „Danach-Villazón“ ein Recht darauf hat, auf dieser großen Bühne zu stehen, eindeutig mit Ja! beantwortet werden. Genau das kann man vom Sänger der vier Bösewichter nur bedingt behaupten. Bei John Relyea hapert es in puncto französischer Diktion und dämonischer Gestaltungskraft. Sein Doctor Miracle wankt wie Boris Karloff in der Geisterbahn und ist damit eher ein Fall für die Mottenkiste. Damraus Antonia ist ein sonnambules Geschöpf - halb schwindsüchtig, halb untot - mit hingehauchten, hingetupften Farben.
Der Giulietta-Akt beginnt und mit der Barcarole scheint nun das eingangs erwähnte Brausepulver verschossen. Das Orchester tröpfelt tranig durch die bekannte Nummer, szenisch macht sich Ernüchterung breit, die Kostüme von Buki Shiff werden auch immer scheusslicher und Damrau stolpert jetzt genau darüber, wo schon ihre Kolleginnen Edita Gruberova, Sumi Jo und Elena Mosuc hängen blieben: Ein lyrischer (Koloratur-)Sopran ist keine ideale Giulietta. Gut, es gibt Ausnahmen, aber Damrau zählt nicht dazu. Zudem muss sie sich auf einmal mit üppigen Dialogen herumquälen, die bislang erfreulich knapp gehalten wurden. Villazón wird dagegen immer besser, aber auch diesen Akt entscheidet die Muse (die kongeniale, unglaublich präsente Angela Brower) für sich. Vor dem Epilog schickt die Regie ein letztes Mal seine drei stummen, funktionslosen Nichtsnutze an die Rampe und lässt wieder den Zwischenvorhang runter, dessen Bild man jetzt am Ende gern in Worte fassen möchte: Die Inszenierung von Richard Jones kann man getrost in der Pfeife rauchen.
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HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN an der Bayerischen Staatsoper - Foto (C) Wilfried Hösl
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Heiko Schon - red. 5. November 2011 ID 5464
LES CONTES D'HOFFMANN (Nationaltheater München, 04.11.2011)
Musikalische Leitung: Constantinos Carydis
Inszenierung: Richard Jones
Bühne: Giles Cadle
Kostüme: Buki Shiff
Choreographie: Lucy Burge
Licht: Mimi Jordan Sherin
Dramaturgie: Rainer Karlitschek
Besetzung:
Olympia / Giulietta / Antonia / Stella ... Diana Damrau
Cochenille / Pitichinaccio / Frantz ... Kevin Conners
Lindorf / Coppélius / Dapertutto / Miracle ... John Relyea
Nicklausse / Muse ... Angela Brower
Stimme aus dem Grab ... Okka von der Damerau
Hoffmann ... Rolando Villazón
Spalanzani ... Ulrich Reß
Nathanaël ... Dean Power
Hermann ... Tim Kuypers
Schlémil ... Christian Rieger
Wilhem ... Andrew Owens
Crespel / Luther ... Christoph Stephinger
Puppenspieler Olympia: Robert Rebele
Chor der Bayerischen Staatsoper
(Einstudierung: Sören Eckhoff)
Bayerisches Staatsorchester
Premiere war am 31. Oktober 2011
Weitere Vorstellungen: 9., 12., 17., 21., 25. 11. 2011 / 19., 23. 7. 2012
Weitere Infos siehe auch: http://www.bayerische.staatsoper.de
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