16. Januar 2011, Schauspiel Köln
Anton Tschechow: Der Kirschgarten
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Lena Schwarz und Matthias Bundschuh in DER KIRSCHGARTEN am Schauspiel Köln - Foto (C) Sebastian Hoppe
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Ganz nah an die Rampe rückt Karin Henkel in ihrer Kölner Inszenierung das Personal des Tschechowschen „Kirschgartens“. Da warten sie alle spät in der Nacht darauf, dass Ljubow Andrejewna Ranjewskaja aus Paris auf ihr Gut in Russland zurückkehrt. Und kaum ist sie da, schwirrt alles um sie, den Mittelpunkt der Veranstaltung. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Bühnenbild besteht aus einer großen Fläche Sand, in deren Mitte eine drehbare, leicht erhöhte runde Plattform steht. Auf dieser Plattform steht die Ranjewskaja und alles dreht sich um sie. Die Versuche des reichen Kaufmanns Lopachin, etwas Realitätsbezug in diese Welt hineinzubringen, indem er an die Schulden der Familie erinnert, sind erfolglos. Er will seine Pläne darlegen, wie sich mit dem Grundstück der Familie Geld verdienen lässt. Seiner Meinung nach sollte man den Kirschgarten abholzen, das Land parzellieren und Ferienhäuser errichten. Aber seine Ausführungen werden regelmäßig durch den Ausruf „ein Kunststück“ unterbrochen und Charlotta, die die Ranjewskaja als Gesellschafterin aus Paris mitgebracht hat, zeigt ein solches. Alle lachen und Lopachin muss einen neuen Versuch unternehmen, die Aufmerksamkeit der Abendgesellschaft zu gewinnen. Ein hoffnungsloses, aber auch sehr komisches Unterfangen.
Es gäbe so viel zu schreiben über die vielen schönen Dinge, die auf der Bühne des Kölner Schauspielhauses zu sehen sind. Da wäre zum Beispiel Leonid Andrejewitsch Gajew, der verträumte und lebensuntüchtige Bruder der Ranjewskaja, der gerne redet und nutzlose Dinge tut. Etwa sich mit einem Fluggeschirr in den Wind einer Windmaschine zu stellen, weil er hofft, dann fliegen zu können. Oder der Gutsverwalter Jepichodow, dem beständig ein Unglück nach dem anderen zustößt. Das gipfelt darin, dass er aus Versehen Charlotta umrennt und minutenlang versucht, sie so hinzustellen, wie er sie vorgefunden hat.
Ist das lächerlich? Ganz gewiss, es ist aber auch tragisch, anrührend, zerbrechlich, flüchtig. Und dennoch zeichnet das Personal in Henkels „Kirschgarten“-Inszenierung eine Lust am Leben aus, am Überleben, die auch den Bauern und Kaufmann Lopachin anzuziehen scheint, eine merkwürdige Vitalität unter dieser Schicht aus längst vergangenen Zeiten. Sehnsuchtsromantiker sind die Ranjewskaja und ihr Bruder Gajew, lebensuntüchtig, aber eben auch nicht Kommerz, Profit unterworfen. Wie anders da Lopachin, gegen den der Hauslehrer Pjotor Trofimow mit der Bemerkung stichelt, seine Landhausparzellen seien doch auch nur Wunschgedanken, das Gelingen längst nicht klar. Und als der benachbarte Gutsbesitzer Pischtschik vorbeirennt und endlich Geld auszahlen kann, weil auf seinem Land Bauxit gefunden wurde und er es für viele Jahre verpachten konnte, zeigt Lopachins Gesicht Überraschung und Neid. Vielleicht hat er doch aufs falsche Pferd gesetzt. Was bleibt? Die Gutsherren, die ihre Schulden nicht wahrhaben wollen, die einfach gedankenlos leben, kommen mit ihrer Romantik vielleicht weiter als der Kaufmann, der meint, alles nutzbar zu machen, die Romantik zu zerstören, zu parzellieren zugunsten einer Zukunft, die nur vermeintlich golden ist. Und das ist groß. Ein wichtiges Thema in diesen Zeiten ist es ohnehin. Was bleibt von unserer Welt, wenn nur noch der Profit regiert? Obwohl, so ganz ohne Geld lässt sich auch nicht leben.
Es gibt auf der Bühne im Kölner Schauspielhaus allerdings keinen klaren Antagonismus zwischen der Welt der Gutsbesitzer und der Welt des Kaufmanns. Vielmehr wird der Kaufmann angezogen von der ihm fremden Welt der Gutsbesitzer. Es ist eine Art missliche Verwobenheit, die Charly Hübner als Lopachin zum Ausdruck bringt, wenn er den Anwesenden mitteilt, er habe das Gut erworben. Er tut dies in einer Mischung aus Stolz, Überheblichkeit, aber auch als trotziges Kind, das seinen Eltern erklärt, alles besser gewusst zu haben. Als die Ranjewskaja schließlich weint, tröstet er sie.
Dass die Lächerlichkeit, Komik und Leichtigkeit des Abends immer auch einhergeht mit Tragik und Tiefe, ist wesentlich den Schauspielern zu verdanken, die ihre Figuren stets mit einer großen Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit spielen, egal, in welcher Situation sich diese gerade befinden. Karin Henkels „Kirschgarten“-Inszenierung ist hervorragend besetzt, einschließlich der eher kleinen Rollen. Sei es Lina Beckmanns handfeste und erdverbundene Warja, die von Lopachin gefragt werden möchte, ob sie seine Frau werden will. Oder Charly Hübners Lopachin, von dem oben bereits die Rede war: ein echter Kerl, ein Arbeiter, sympathisch, lösungsorientiert, aber in Liebesdingen hilflos. Oder Matthias Bundschuhs Gajew, der gerne helfen möchte, aber nicht kann, da er in seiner Welt gefangen ist, in der er es nicht gelernt hat, nützlich zu sein oder zu arbeiten. Oder Lena Schwarz‘ sphärische Ranjewskaja, die selten direkt sagt, was sie bewegt. Aber als sie dem ewigen Studenten Trofimow antwortet, was ihr an dem Gut liegt, das sie eben nicht einfach aufgeben kann, ist das ein großer emotionaler und echter Moment.
Jan-Peter Kampwirth gibt diesen Trofimow als einen Jungen, der nicht erwachsen werden will, aber auch irgendwie zu alt ist, als dass er seine revolutionären Gedanken in die Tat umsetzen könnte. Viel lieber würde er vermutlich mit Anja, der Tochter der Ranjewskaja, ganz spießig ein gemeinsames Leben beginnen. Marie Rosa Tietjen ist eine sehr junge, sehr kindliche und lebendige Anja, die dennoch voller Ernsthaftigkeit an eine Beziehung mit Trofimow glaubt. Yorck Dippe gibt dem Gutsverwalter Jepichodow eine verzweifelte und körperliche Lächerlichkeit, die im Gegensatz zu der Grobschlächtigkeit und Großspurigkeit seht, die Maik Solbach dem Diener Jascha verleiht. Laura Sundermanns Dunjascha wiederum, in die sich Jepichodow verliebt hat, die aber dummerweise Jascha liebt, möchte man ein wenig mehr Selbstbewusstsein zusprechen. Michael Webers Pischtschik ist anrührend, wenn er auf einer Feier nach seinem Geld sucht, das er dringend benötigt. Nur leider weiß er nicht mehr genau, wo er es hingetan hat. Brigitte Cuveliers Charlotte beobachtet das ganze Treiben etwas distanziert, wenn sie nicht gerade Kunststücke vorführt, und mokiert sich darüber, dass die Russen immer so viel singen. Scheußlich sei das. Bleibt noch der treue Diener Firs, den Jean Chaize als ein Faktotum spielt, das aus längst vergangenen vermeintlich besseren Zeiten übrig geblieben ist.
Liebenswert sind sie alle, diese Figuren, die nicht so recht aus ihrer Haut können. Und es macht so viel Freude, diesen Schauspielern bei ihrem Spiel zuzusehen. Karin Henkels „Kirschgarten“-Inszenierung ist ein großer Abend. Fast ein wenig zum Niederknien.
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Yorck Dippe, Lina Beckmann, Michael Weber, Jan-Peter Kampwirth, Lena Schwarz, Brigitte Cuvelier, Jean Chaize, Michael Lücker und Henning Beckmann in DER KIRSCHGARTEN am Schauspiel Köln - Foto (C) Sebastian Hoppe
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Karoline Bendig - red. 6. Februar 2011 ID 5046
DER KIRSCHGARTEN (Schauspiel Köln, 16.01.2011)
Regie: Karin Henkel
Bühne: Kathrin Frosch
Kostüme: Nina von Mechow
Besetzung:
Ranjewskaja ... Lena Schwarz
Anja ... Marie Rosa Tietjen
Warja ... Lina Beckmann
Gajew ... Matthias Bundschuh
Lopachin ... Charly Hübner
Trofimow ... Jan-Peter Kampwirth
Pischtschik ... Michael Weber
Charlotta ... Brigitte Cuvelier
Jepichodow ... Yorck Dippe
Dunjascha ... Laura Sundermann
Firs ... Jean Chaize
Jascha ... Maik Solbach
Musiker: Henning Beckmann / Michael Lücker
Premiere war am 14. Januar 2011
Weitere Termine: 5., 12. und 13. 3. 2011
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de
Post an die Rezensentin: karoline.bendig@kultura-extra.de
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