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nachDRUCK # 6

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Opernkritik

KRIEG UND

FRIEDEN

von Prokofjew



Schmerzen im Dreivierteltakt

WUMM! Es ist eindeutig ein Paukenschlag, mit welchem da die Kölner Oper in die neue Spielzeit startet: Sergej Prokofjews Krieg und Frieden. Wann wurde das Werk zuletzt in Deutschland aufgeführt? Ich habe keine Ahnung, aber der Schlagzeuger in der Kantine meint, das sei wohl 20 Jahre her. Warum ist das so? Ist die Musik zu „schwer“? Das kann eigentlich nicht sein, wir Deutsche mögen doch so was. Ist es nicht einfach zu besetzen und demzufolge teuer, weshalb ein Intendant das vertonte Sujet so schnell wieder aus der Hand legt, wie ich als Leser den Mammutwälzer von Leo Tolstoi? Das schon eher. Und dann die Länge! Selbst in der jetzt gewählten, moderat gestrichenen Fassung kommt der Abend locker auf eine Spieldauer von 3 ½ Stunden. Doch an dieser Stelle kommt gleich das vorweggenommene Resümee: Ich habe mich nicht eine Sekunde gelangweilt.








Krieg und Frieden wird von Nicolas Brieger als das inszeniert, was es ist: Eine große, großartige Oper. Die ganze Bühne wird bis weit nach hinten bespielt, dem Regisseur gelingen konzentrierte Momente und spektakuläre Bilder. Ob Petersburger Palais oder Moskauer Kriegsschauplatz: Raimund Bauer durfte für seine Bühne anscheinend aus dem Vollen schöpfen. Einziger, klitzekleiner Kritikpunkt sind die Kulissenteile, welche zwar hübsch anzusehen sind, aber in der ersten Stunde arg viel rein-, raus- und wieder reingeschoben werden und dabei knarrend auf sich aufmerksam machen. Andrea Schmidt-Futterer stellt ein ganzes Kleidungsarsenal an Uniformen, Mänteln, Pastellkleidern, Pelzen und sogar Pappnasen (als kleinen Gruß an die Jecken) zusammen - was für grandiose Kostüme. Klingt nach Ausstattungsschinken? Keine Angst, die Regie gibt dieses Stück nicht der Dekoration oder dem Russen-Klischee preis.

Für Brieger ist der Walzer nicht nur einfach ein Tanz, sondern er stellt ihn als Lebensgefühl in den Mittelpunkt einer perfekt ausgefeilten Personenführung: Eine Gesellschaft, die sich langsam in den Untergang dreht, Seligkeit, Taumel und Delirium, Herzen und Schmerzen im Dreivierteltakt. Einen letzten Tanz gibt es auch, und der ist sein: Während schwarze Silhouetten bereits das Sterbebett von Fürst Andrej umkreisen, darf er noch einige Runden mit Natascha drehen - so poetisch kann nur ein Bühnentod sein. Traurig auch das Schlussbild: Natascha und Graf Besuchow finden nicht zueinander und verlassen - wie alle - verloren das Schlachtfeld.

Die Sänger mögen verzeihen, wenn ich aus der erstklassigen Schar nur die tenorale Grandezza von Matthias Klink, die singschaupielerische Wandlungsfähigkeit von Johannes Martin Kränzle und die flammend timbrierte Olesya Golovneva, den Sängerstar des Abends, erwähne. Das Gürzenich-Orchester spielt unter dem umsichtigen Dirigat von Michael Sanderling einen - mit Verlaub - saucoolen Prokofjew auf. Die tonalen Schärfen und satten Klangfarben fliegen mit Hochdruck um die Ohren, es ist sarkastisch, die Dynamik glüht, Herzblut ist dabei, Groteskes auch, es raubt mir den Atem, lange noch. Hier ziehen alle an einem Strang, sind Regie, Sänger und Orchester Partner auf Augenhöhe - was für eine tolle Ensembleleistung! Man kann die Kölner zu ihrem mutigen Intendanten nur beglückwünschen. Und Uwe Eric Laufenberg zu diesem Hit gratulieren. Eine Sternstunde des Musiktheaters und ein Beweis für mehr Prokofjew obendrein.


Heiko Schon - 2. Oktober 2011
ID 5413
KRIEG UND FRIEDEN (Oper Köln, 01.10.2011)
Musikalische Leitung: Michael Sanderling
Inszenierung: Nicolas Brieger
Bühne: Raimund Bauer
Kostüme: Andreas Schmidt-Futterer
Licht: Alexander Koppelmann
Choreographische Mitarbeit: Otto Pichler und Athol Farmer
Dramaturgie: Regine Palmai
Besetzung:
Fürst Andrej Bolkonski ... Johannes Martin Kränzle
Natascha Rostowa ... Olesya Golovneva
Sonja / 2. französische Schauspielerin ... Adriana Bastidas Gamboa (spielend)
Sonja ... Sandra Janke (singend)
Gastgeber / Iwanow ... Alexander Fedin
Achrossimowa ... Dalia Schaechter
Peronskaja / 1. französische Schauspielerin ... Kathleen Parker
Graf Ilja Rostow / Marschall Davout ... Wilfried Staber
Graf Pierre Besuchow ... Matthias Klink
Gräfin Hélène Besuchowa ... Katrin Wundsam
Anatole Kuragin ... Mirko Roschkowski
Leutnant Dolochow / Capitaine Jacqueau ... Daniel Golossov
Kammerdiener ... Werner Sindemann
Fürstin Marja Bolkonskaja ... Regina Richter
Fürst Nikolaj Andrejewitsch Bolkonski / General Belliard ... Magnús Baldvinsson
Matrjoscha ... Sandra Janke
Gawrila ... Anthony Sandle
Doktor Métivier / Marschall Berthier ... Johann-Werner Prein
Denissow ... Matias Tosi
Ordonnanzoffizier des Fürsten Andrej ... Philipp Hoferichter
Napoleon ... Miljenko Turk
Adjutant des Generals Compans ... Jeongki Cho
Adjutant des Generals Murat ... Gustavo Quaresma Ramos
Adjutant des Fürsten Eugène / Gérard ... Ralf Rachbauer
de Beausset ... Martin Koch
Capitaine Ramballe ... Dennis Wilgenhof
Leutnant Bonnet ... John Heuzenroeder
Ein französischer Offizier ... Sévag Serge Tachdjian
Platon Karatajew ... Manfred Fink
Chor der Oper Köln
Herren des Extrachores
(Choreinstudierung: Andrew Ollivant)
Gürzenich-Orchester Köln
Premiere war am 16. September 2011
Weitere Vorstellungen: 3. / 8. 10. 2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.operkoeln.com


E-Mail an den Rezensenten Heiko Schon



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