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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Der Nationalgardist



Andreas Döhler spricht einen Aufruf des Zentralkomitees der Nationalgarde (Paris am 5. April 1871) in LA PÉRICHOLE von Jacques Offenbach an der Komischen Oper Berlin - Foto (C) Iko Freese



Unsere Lieblingsfigur in Offenbachs LA PÉRICHOLE (zu deutsch: DIE STRASSENSÄNGERIN), d. h. unsere Lieblingsfigur in der Nicolas-Stemann-Inszenierung von LA PÉRICHOLE - und Stemann kommt vom Schauspiel - ist der so genannte "Alte Gefangene", den der Schauspieler Andreas Döhler mimt. Das ist eine Nebenfigur, und sie hat vom Offenbach, d. h. von seinen beiden Librettisten Meilhac & Halévy, nur Sprechtext (deutsch: Bernd Wilms) gekriegt...

Sie ist uns deshalb so sympathisch, weil sie das sagt, was der gute Mensch, also der gute Mensch an sich, so richtig und so richtig aus dem Bauch raus denkt; so etwa hier: "Arbeiter täuscht euch nicht, dies ist die große Schlacht; das Schmarotzertum und die Arbeit, die Ausbeutung und die Produktion sind miteinander handgemein geworden. (...) Wenn ihr schließlich wollt, dass Gerechtigkeit herrsche, dann, Arbeiter, seid klug, erhebt Euch und schleudert mit heftiger Hand die schmutzige Reaktion zu Boden!" (Das ist jetzt nicht von Meilhac & Halévy, also auch nicht von dem Übersetzer Wilms, sondern - aus einem Aufruf des Zentralkomitees der Nationalgarde, Paris am 5. April 1871 - - da war, wie wir wissen, die Pariser Kommune.)

Ja, und Andreas Döhler - "Der alte Gefangene" - konfrontiert uns nun, zitatisch ausstaffiert und angereichert, zwischen 19 Uhr und 21.30 unaufhörlich mit dem Agit-Prop.

Das Alles will uns sicher sagen: Offenbach schrieb seine PÉRICHOLE in etwa um die Zeit herum, vielmehr jedoch - dass Offenbach so zwischen Marxens Kapital (1867) und Strauß' Die Fledermaus (1874) lebensstationärer Weise anzusiedeln oder einzuordnen ist; vielleicht.




Diesmal liegt Andreas Döhler zu Füßen von drei Damen, die mit Bifi-Kostümen nur sehr unschwer an LA PÉRICHOLE von Jacques Offenbach an der Komischen Oper Berlin erinnern lassen. - Foto (C) Iko Freese

Selbstredend wird auch kräftig musiziert oder gesungen an dem Abend.

Die Komische Oper Berlin, in derem Bau das Alles zu erleben war, betraute - außer Stemann - auch noch Markus Poschner (Dirigent) sowie Nottrodt/delCastillo (Ausstatung) mit dem Stück. Und außer dass es mit den revoluzzerhaften Sprechtexten unseres Lieblingsdarstellers Andreas Döhler aufzuwarten wusste, war dann außerdem auch reichlich Wagner mit im Spiel. Die Inszenierung fing dann gleich - unirrtümlich - mit Tristan und Isolde (Vorspiel) an. Auch intonierten später noch Johannes Chum (als der Piquillo) sowie Karolina Gumos (als die Périchole) das abgehoben schönblaunächtige "O sink hernieder" aus dem Tristan - dass es Einem allerdings, wenn man sich nicht auf den herbeigewürgten Ironieverweis der Inszenierer eingelassen haben hätte, fast die Schuhe auszog.

Usw., usf.

Orchester, Chor (Choreinstudierung: Barbara Kler): sehr sehr sehr gut.

Der KO-Wiederkehrer Roger Smeets hat sich zu einem Komiker der allerersten Güte umentwickelt; seine Vizekönigrolle hätte wohl nicht besser als mit ihm besetzt sein können.

Ansonsten viele Angereichertheiten und noch mehr an Ratlosem in uns und mir; die Frage daher: Ist die Tante Operette wirklich so sehr Scheiße, dass man ihr nur noch durchs Genre Schauspiel restlos einen (ihren) Garaus machen muss?

Dann lasst's doch gleich am besten sein!


Andre Sokolowski - 7. Juni 2010
ID 4662
LA PÉRICHOLE von Offenbach (Premiere an der Komischen Oper Berlin, 06.06.2010)
Musikalische Leitung: Markus Poschner
Inszenierung: Nicolas Stemann
Bühnenbild: Katrin Nottrodt
Kostüme: Marysol del Castillo
Besetzung:
Périchole ... Karolina Gumos
Piquillo ... Johannes Chum
Don Andrès ... Roger Smeets
Graf Miguel de Panatellas ... Peter Renz
Don Pedro de Hinoyosa ... Günter Papendell
Guadalena ... Anna Borchers
Berginella ... Mirka Wagner
Mastrilla ... Olivia Vermeulen
Der alte Gefangene ... Andreas Döhler
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin

Weitere Infos siehe auch: http://www.komische-oper-berlin.de


http://www.andre-sokolowski.de



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