5. Juni 2011, Premiere an der Staatsoper Hamburg
Pfitzners PALESTRINA
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Pfitzners PALESTRINA an der Staatsoper Hamburg - Foto (C) Jörg Landsberg
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Vor dem Hamburger Opernhaus stehen Mitglieder vom Bündnis gegen Rechts und verteilen Handzettel, die auf Hans Pfitzners Verstrickung in den Nationalsozialismus und seinen Antisemitismus aufmerksam machen. Das ist gleichzeitig eine Schelte in Richtung Intendanz, die aus der Sicht des Bündnisses nicht ausreichend auf die persönliche Einstellung von Pfitzner eingeht. Dabei hat Simone Young ihre Hausaufgaben sehr wohl erledigt: Einen Tag nach der Palestrina-Premiere war eine politische Diskussionsveranstaltung angesetzt (dem Bündnis gefiel aber der Titel nicht), und das Programmbuch (eines, das diese Bezeichnung auch wirklich verdient) räumt dem Thema einen breiten Platz ein. Young steht mit ihrer Meinung, dass es zwar schwer, aber dennoch möglich sei, Werk und Erschaffer getrennt voneinander zu betrachten, nicht alleine da. Zitat: „Wenn ich aus Prinzip alles ablehnen würde von Menschen, deren ethischen, moralischen oder politischen Standpunkt ich nicht vertrete, dann fehlte mir fast die Hälfte des normalen Repertoires.“
Also hin zu Palestrina, zunächst im Allgemeinen. Selbst wenn man übersieht, dass diese Oper auf eine historisch falsche Überlieferung zurückgreift, lässt sich der Plot kaum plausibel in die heutige Zeit transferieren. Im Kern geht es darum, dass die Katholiken die Figuralmusik aus ihren Gotteshäusern verbannen wollen. Nur die Messe aus der Feder von Kapellmeister Palestrina kann dies schlussendlich verhindern. Nach all den Skandalen der letzten Jahre: Wie bringt man solch ein Sujet mit dem dazugehörigen Anspruch und auch etwas Spannung auf eine deutsche Theaterbühne? Arthur Schopenhauers Textzeile aus Parerga und Paralipomena und das darauf fußende, höchst verschwurbelte Libretto Pfitzners leisten schon mal keine große Hilfe.
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Regisseur Christian Stückl, Leiter der Oberammergauer Passionsspiele, beantwortet die Frage nach der szenischen Notwendigkeit mit einer grellen Religionssatire. Sein Käfig voller Kirchennarren macht zwar optisch eine gute Figur (Ausstattung: Stefan Hageneier), bleibt aber inhaltlich zu zahm. Falk Struckmann und Peter Galliard retten sich darstellerisch ins Reich der Knallchargen, aber stimmlich hat man beide schon mal besser gehört. Roberto Saccà ist seit einiger Zeit dabei, den lyrischen Tenor hinter sich zu lassen, um das Heldenfach zu erobern. Wie gut das klappt, konnte man an seinem Palestrina hören. Katerina Tretyakova putzt den Ighino mit glockenhellem Sopran auf Hochglanz, aber die schönste Stimme des Abends gehört dann doch einem Mann: Wolfgang Kochs Giovanni Moroni überragt sie alle.
Und die Musik? Nun, Palestrina wird wohl für alle Zeiten ein Liebhaberstück bleiben. Die plastischen Formen und Kontrapunktionen gehen mit viel Schönheitssoße einher, besonders im ersten Akt. Da kann der Hörer rasch an die Grenzen seiner Konzentrationsfähigkeit stoßen (Richard Strauss nannte die Partitur schlicht "spannungsarm"). Doch Simone Young müht sich redlich, Sturm und Drang, spitze Streicher und knalliges Blech, zu betonen. Und diese Mühe zahlt sich aus: Hamburgs Philharmoniker spielen apart und werden den hohen Ansprüchen ihrer Chefin vollauf gerecht.
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Heiko Schon - red. 8. Juni 2011 ID 5234
Weitere Infos siehe auch: http://www.hamburgische-staatsoper.de
Post an den Rezensenten Heiko Schon
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