Die theaterkapelle ist jetzt vier Jahre jung geworden.
Wir haben sie im Feuilleton verfolgt, und wir erinnern uns sehr gern an Titel wie Prinzessinnendramen (von Jelinek), Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (eine Art Revue), Thalia! Thalia! (ein Jugendstück) oder Übergewicht, unwichtig: Unform (von Schwab) - jetzt haben sie Quartett (von Heiner Müller) auf dem Plan.
Christina Emig-Könning ist die Prinzipalin jenes Bauwerks. Und man wundert sich nicht schlecht, mit was für zartem Durchhaltevermögen und mit welcher Weiberpower sie den Laden schmeißt und doch nicht hinzuschmeißen willens ist; man weiß es längst: Berlin ist "klein" und hat kein Geld. Aus Scheiße mach Bonbon (so wie der Volksmund sagt) ist die Devise = das Gebot der knappen Stunde.
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Foto (C) theaterkapelle
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Etwas über 60 min dauert das Müller'sche Quartett:
Und Antje Görner sowie Christian Kuchenbuch sind die vorzüglich sprechenden und spielenden Protagonisten dieses vielleicht hässlich-schönsten Stücks vom guten alten Heinerle. Es könnte gut ins Boulevard hinabqualifiziert sein, weil es - schlicht und einfach und ergreifend - nur ums Ficken geht (in diesem Stück). Aber natürlich gibt es, außer dem, eine noch höhere und philosophischere Dimension; sonst wären diese Stücksätze, die ich zum Delikatesten aus seinem Sprachschatzkästchen zählen will, dem Heiner Müller nicht geraten. Sein QUARTETT ist eine animöse Offenbarung menschlicher Gemeinheit und Gewalt!
Zwei Spielebenen haben sich die Emig-Könning und ihr Bühnenbildner Peter Schubert vorgestellt; die eine ist im A-Gewölbe und die andere im B-Gewölbe jenes schönen "Leichenkellers", wo wir zweifach aufgeteilt dann jeweils sitzen. Und auf Leinwände des jeweils anderen Gewölbe wird das Live-Geschehen jenes einen projziert. Also sind wir total im Bilde, was in A und B zugleich geschieht.
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Szenenfoto aus Quartett von Heiner Müller - Foto (C) theaterkapelle
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Die Handlung ist nicht kompliziert, man hat es gleich nach ein paar ersten schlagfertigen Müller-Sätzen mitgekriegt: Ein Paar, was sich schon länger kennt, ist seiner überdrüssig und kommt doch nicht voneinander los; als eine Art Belebungskick ihrer marod gewordenen Beziehung will es sch jetzt an ein unschuldiges Lämmchen machen - und die Nichte von dem Herrn, so meint die Dame, sollte doch nicht länger unbemannt gewesen sein etc. pp. (Das alles kann man auch - es war die Vorlage für Heiner Müller - in dem Briefroman von den Gefährliche Liebschaften nachlesen.)
Die Müller-Sprache, wie gesagt, feierte hier in diesem Text ein Hochfest.
Warum Emig-Könnig sie (die Hochfest-Sprache) allerdings - gleich zu Beginn - mit derart volkstümlichen Urvokabeln wie zum Beispiel "Drecksau", "Miststück", "Schlammfotze" anreichern tat, blieb ihrem Dramolettverständnis vorbehalten; auch so Mätzchen wie "jetzt drehn Sie sich mal um, jetzt gehn Sie mal ein Stückchen weiter" oder so brachte zum An- und Austrieb des Quartetts von Heiner Müller sicher nichts. Aber egal.
Görner und Kuchenbuch legen sich auf das Animalischste ins Zeug, schonen sich nicht. Sie haben eine wunderbare Artikulation, sind nicht nur stimmlich aufeinander eingeschworen. Ihre ausströmende Sinnlichkeit als Paar lässt ihre Hundsgemeinheit (in dem Stück) mitunter fast vergessen machen.
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Eine gute, eine schöne Sache zum Geburtstag. Und wir wünschen alles Gute, und wir wünschen uns noch mehr!!
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Andre Sokolowski - 9. Mai 2010 ID 4627
QUARTETT (Theaterkapelle Berlin, 08.05.2010)
Regie: Christina Emig-Könning
Ausstattung: Peter Schubert
Dramaturgie: Lennart Naujoks
Regieassistent: Paul Mücke
Licht: Erk
Technik: Achim Döring
Besetzung:
Merteuil ... Antje Görner
Valmont ... Christian Kuchenbuch
Premiere war am 19. Dezember 2009
Eine Eigenproduktion der theaterkapelle
Weitere Infos siehe auch: http://www.theaterkapelle.de
http://www.andre-sokolowski.de
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