5. September 2012, Freies Werkstatt Theater (FWT) Köln
WEGSCHLIESSEN – UND ZWAR FÜR IMMER
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Oleg Zhukov in Wegschließen - und zwar für immer am FWT Köln - Foto (C) MEYER ORIGINALS
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Plädoyer für einen differenzierten Blick
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Welchen Preis hat die Sicherheit einer Gesellschaft? Wie lange kann man Menschen wegschließen, weil man befürchtet, sie könnten irgendwann wieder ein Verbrechen begehen? Die Fragestellung ist aktuell und hat in den letzten Jahren auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht beschäftigt, mit dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt wurden und der deutsche Gesetzgeber verpflichtet wurde, bis zum 31. Mai 2013 verfassungskonforme Regelungen zu schaffen.
Um Sicherungsverwahrung und Maßregelvollzug geht es an diesem Abend im FWT Köln, für den Dramaturgin Inken Kautter und Regisseur Nico Dietrich in forensischen Kliniken und in der Sicherungsverwahrung recherchiert haben. Grundlage ihres Textes sind „Interviews mit Menschen, die entweder beruflich oder privat von Sicherungsverwahrung oder Maßregelvollzug betroffen sind“ (so im Programmheft). Und eine kleine Einleitung in die Begrifflichkeiten gibt es im Verlauf der Aufführung auch: Von Sicherungsverwahrung spricht man dann, wenn ein Straftäter nach verbüßter Haftstrafe nicht entlassen, sondern in eine Anstalt zur Sicherungsverfahrung überführt wird, weil zu befürchten steht, dass er weitere Straftaten begehen könnte. Maßregelvollzug dagegen ist eine Einrichtung, in der psychisch kranke Straftäter untergebracht werden.
Sehr klug nimmt die Aufführung im FWT den Zuschauer mit an verschiedene Orte des Theaters und damit auch an verschiedene Orte der Sicherungsverwahrung/des Maßregelvollzugs. Das sorgt bei der Fülle von Fakten auch für kontemplative Momente, in denen man von Ort A zu Ort B unterwegs ist. Erstaunlicherweise läuft das Ganze auch gänzlich ohne Komplikationen ab. Die Trennung und Zusammenführung der Zuschauergruppen geschieht beinahe organisch, und das ist eine nicht zu unterschätzende Leistung bei einer Produktion, die im wahrsten Sinne des Wortes das ganze Theaterhaus über mehrere Etagen mit Beschlag belegt.
In verschiedenen Räumen des Theaters begegnet der Zuschauer im Laufe seiner Erwanderung u. a. Justizvollzugsbeamten im Bereich Sicherungsverwahrung, einem Vorsitzenden Richter, einem Fachanwalt für Strafrecht, einem Krankenpfleger einer forensischen Klinik, aber auch Patienten und einem Sicherungsverwahrten – bzw. ihren Aussagen, denn die Texte werden von Darstellern gesprochen, nicht von den Interviewten selbst. Dabei gelingt es den vier Schauspielern Petra Kalkutschke, Rudolf Schlager, Katharina Waldau und Oleg Zhukov gut, den schmalen Grad zwischen Schauspiel und Fakten-/Meinungspräsentation zu treffen.
Der Titel Wegschließen – und zwar für immer ist zwar plakativ gewählt, der Abend bezieht aber differenzierter Position und lässt interessanterweise die Befürworter und sicherlich mitunter auch polemisch zu Werke gehenden Verfechter der Sicherungsverwahrung oder des Maßregelvollzugs nicht zu Wort kommen. Der Tenor der Beiträge ist eindeutig: Für die Freiheit unserer Gesellschaft ist das jahrelange, mitunter jahrzehntelange Wegsperren von Straftätern in der Sicherungsverwahrung ein hoher Preis. Mit Wegschließen – und zwar für immer ist am FWT Köln ein eindrücklicher und ungewöhnlicher Theaterabend entstanden, der sich mit einem wichtigen Thema auseinandersetzt. Es ist ihm zu wünschen, dass er sein Publikum findet.
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Rudolf Schlager, Katharina Waldau, Oleg Zhukov und Petra Kalkutschke (v. l. n. r.) in Wegschließen - und zwar für immer am FWT Köln - Foto (C) MEYER ORIGINALS
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Karoline Bendig - 9. September 2012 ID 6202
WEGSCHLIESSEN – UND ZWAR FÜR IMMER (FWT Köln, 05.09.2012)
Inszenierung: Nico Dietrich
Dramaturgie: Inken Kautter
Bühne/Kostüme: Giovanni de Paulis
Mit: Petra Kalkutschke, Rudolf Schlager, Katharina Waldau und Oleg Zhukov
Premiere war am 1. September 2012
Weitere Termine: 12., 19., 20. 9. 2012
Weitere Infos siehe auch: http://www.fwt-koeln.de
Post an Karoline Bendig
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