7. September 2012, theaterblackbox Köln
WUT
nach einem Drehbuch von Max Eipp / Film von Züli Aladag
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Detail aus dem Banner zu WUT - (C) http://theaterblackbox.de
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Und plötzlich ist er da, der Moment, in dem das Fass überläuft, in dem die Waffe greifbar und die Wut nicht mehr kontrollierbar ist, in dem Simon nach draußen läuft, zuschlägt und tödlich trifft. Sven, der Neonazi, der Simons Familie drangsaliert und bedroht hat, ist tot. Diese Tat des Herrn Professor steht am Ende einer Gewaltspirale, die damit beginnt, dass seinem Sohn Johannes die Schuhe geklaut werden. Simons Vorstellung, das Problem mit einem Gespräch aus der Welt zu schaffen, erweist sich als irrig. Sein Sohn hängt mit Sven und seinen Kumpanen ab und wird dennoch immer wieder von ihnen verprügelt. Und nicht nur das, auch seine Eltern werden immer stärker angegangen.
Die da draußen, die Schläger, die gefährlichen Typen, und die da drin, die bürgerliche Familie in ihrem behüteten Heim: Dieses Bild setzt die Inszenierung von Heinz Simon Keller eindrücklich um. Der Zuschauer blickt auf einen Lounge-artigen Raum, in dem zwei Cocktailsessel mit Flokatiteppich vor einer Glasfront stehen. Drinnen sitzt Simon und liest, während hinter ihm auf der Straße eien Gruppe Jugendlicher herumlungert, auf die nächste Gelegenheit zum Herumpöbeln lauernd. Diese Spielsituation in einer Bar im Kölner Mediapark hat den Vorteil, immer alles zeigen zu können. Andererseits wirkt es unrealistisch, wenn Mutter Christa und Vater Simon auf den Cocktailsesseln sitzen, sich hinter ihnen Prügelszenen abspielen und keine Interaktion stattfindet, zumal die beiden an anderer Stelle durchaus auf die Bedrohung von außen reagieren.
Das Theaterstück Wut basiert auf dem gleichnamigen Fernsehfilm (Drehbuch: Max Eipp / Regie: Züli Aladag), der 2006 ausgestrahlt wurde und im Vorfeld eine Kontroverse auslöste, weil er erzählt, wie eine linksliberale, bürgerliche Familie von einem türkischstämmigen Jugendlichen bedroht wird. Gegenüber der Vorlage nimmt Keller zwei entscheidende Veränderungen vor: aus dem bürgerlichen Sohn Felix wird der dunkelhäutige Adoptivsohn Johannes, auch Jojo genannt, aus dem türkischstämmigen Can, der die Familie bedroht, der Neonazi Sven. Daraus ergibt sich eine uneindeutige Gemengelage. Das Motiv des Neonazismus erschöpft sich in ein paar Anspielungen auf Jojos dunkle Hautfarbe und ein an die Glasfront geschmiertes Hakenkreuz. Die Motivlage der anderen Schläger um Sven herum? Unklar.
Klar ersichtlich ist aber, dass Sven der Neid treibt. Jojo fühlt sich von Sven bedroht, ist aber gleichzeitig auch fasziniert von dem Zusammengehörigkeitsgefühl, das von der Gruppe ausgeht. Kellers Inszenierung zeigt hier keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern eher das Prinzip von Abstoßung und Anziehung, Macht und Ohnmacht. Sven ist für Jojo das Gegenbild zu seinem Vater, der keine Stärke zeigt, der sich beschimpfen und bedrohen lässt, ohne sich zu wehren, der „keine Eier“ in der Hose hat. Und so spitzt sich das Ganze mehr und mehr zu einem Showdown zwischen dem Straßenköter Sven und dem Herrn Professor Simon zu. Dabei geht es vor allem um gesellschaftliche Anerkennung: meine Stellung, meine Frau, meine Familie, mein Haus. Und das alles will Sven haben.
Arne Obermeyer verkörpert diesen Sven als eine permanente Bedrohung, stets auf dem Sprung, stets gefährlich, stets bereit, zuzuschlagen und die Schwachstellen seines Gegenübers aufzudecken. Und das nicht nur im Infight auf der Straße, sondern auch bei der Antrittsvorlesung von Simon, die er stört. Er bricht in die Welt des Professors ein und nimmt ihm und seiner Familie jegliche Sicherheit. Stefan Gebelhoff dagegen ist als Simon schon rein körperlich ein anderer Typ, schlank und schlaksig. Er hält an seinen linksliberalen Idealen fest, lehnt Gewalt ab, hofft darauf, dass sich alles friedlich klären lässt. Im Grunde möchte er dem Konflikt mit Sven aus dem Weg gehen, aber das gelingt ihm nicht.
Was an diesem Abend deutlich wird, ist das Lauwarme der bürgerlichen Gesellschaft, das der Wucht und der Gewalt der Straße wenig entgegenzusetzen hat. Zur Waffe zu greifen, um sich zu verteidigen, kann dabei keine Lösung sein. Dann vielleicht doch eher auf die Polizei vertrauen, die an diesem Abend ebenfalls einen Auftritt hat, wenngleich unfreiwillig. Die Kampfszenen sind offenbar so gut choreographiert und so überzeugend gespielt, dass sich irgendwann links ein echtes Polizeiauto ins Sichtfeld schiebt, nur um wenig später umzudrehen. Gut zu wissen, dass manche Anwohner hingesehen und sich gemeldet haben, auch wenn es in diesem Fall „nur“ Theater war.
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Foto (C) Gerhard Richter
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Karoline Bendig - 8. September 2012 ID 6200
WUT (Kölnert Mediapark, 07.09.2012)
Regie: Heinz Simon Keller
Ausstattung: Petra Maria Wirth
Kostüme: Lisa Weinbrecht
Musik: Frank Schulte
Licht: Dietrich Körner
Mit: Julia Ludwig, Susanne Seuffert, Piero Cocuzza, Julius Dombrink, Stefan Gebelhoff, Arne Obermeyer, Sam Michaels und Kevin Scharnikow
Premiere war am 31. August 2012
Weitere Termine: 8., 21., 22., 28., 29. 9. / 5., 6., 12., 13. 10. 2012
Eine Produktion von theaterblackbox Köln
Weitere Infos siehe auch: http://www.theaterblackbox.de
Post an Karoline Bendig
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