20. März 2013 - Premiere im Freien Werkstatt Theater (FWT) Köln
ZIMMER NUMMER SECHS
nach Anton Tschechow
|
Franziska Schmitz und Kai Hufnagel in Zimmer Nummer Sechs am FWT Köln - Foto (C) MEYER ORIGINALS
|
Über die Fragwürdigkeit der Normalität
|
Ein Staubschleier hängt über der Bühne und diverse Requisiten von der Decke. Einen altmodisch-verstaubten Raum hat Erik Salvasen den Insassen der Irrenanstalt aus Tschechows Novelle Zimmer Nummer Sechs auf die Bühne gestellt. Da gibt das Gurkenglas, aus dem der Arzt Andrej Jefimitisch Ragin zu Beginn nascht, noch etwas moribiden Charme hinzu. Sieht es doch aus, als könnten die Gurken auch in Formaldehyd konservierte Gliedmaßen sein.
In der Irrenanstalt herrscht ein stark regulierter Ablauf, über den jeden Tag die Wärterin Nikita wacht und den sie durch gemeinsame Gebete strukturiert. Heraus kommt aus dieser Anstalt niemand mehr. Wer drinnen ist, ist verrückt, gehört weggeschlossen, alle anderen sind normal. Auch Arzt und Wärterin scheinen auf der Kippe zum Verrückten, nur stehen sie – zumindest zu Beginn – noch auf der gesellschaftlich akzeptierten Seite. Ragin beginnt, sich mit einem seiner Patienten auszutauschen, und über die Situation und die Einordnung in normal/verrückt nachzudenken. Und so ist es nur konsequent, dass auch er schließlich als Patient in seiner eigenen Anstalt landet.
Dramaturg Gerhard Seidel hat eine stringente Bühnenfassung der Novelle geschrieben, die 90 Minuten lang trägt, und zudem Tschechows Erzählung Die Dame mit dem Hündchen hineinverwoben. Ragin wird auf diese Weise in Moskau ein Techtelmechtel mit einer Frau gegönnt. Das Ganze ist gut gespielt (vor allem Kai Hufnagels melancholischer Doktor Ragin und Till Brinkmanns intensive Darstellung des Insassen Gromow sind hier zu nennen) und flott erzählt. Dennoch schnurrt vieles zu glatt ab, bleibt zu sehr an der Oberfläche. Zu einem schockierenden und unerwarteten Moment kommt die Aufführung erst ganz am Ende, wenn die Wärterin Nikita Ragin, dem sie zu Beginn jeden Wunsch erfüllt, prügelt. Hier stockt einem kurz der Atem. Von diesen Irritationsmomenten hätte man sich mehr gewünscht an diesem grundsoliden Abend.
|
Doris Plenert und Kai Hufnagel in Zimmer Nummer Sechs am FWT Köln - Foto (C) MEYER ORIGINALS
|
Karoline Bendig - 5. April 2013 ID 6662
ZIMMER NUMMER SECHS (FWT, 20.03.2013)
Inszenierung: Ulrich Meyer-Horsch
Bühnenbild: Erik Salvasen
Mit: Kai Hufnagel, Till Brinkmann, Doris Plenert, Lucas Sánchez und Franziska Schmitz
Premiere war am 20. März 2013
Weitere Termine: 6., 10., 11. + 27. 4. 2013
Weitere Infos siehe auch: http://www.fwt-koeln.de
Post an Karoline Bendig
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
THEATERTREFFEN
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|