Vulpius
& Kowalski
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(C) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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Giuseppe Verdi war nicht nur ein weltberühmter Komponist, sondern auch sehr sozial. Er stiftete - was ihm vom Finanziellen her gewiss nicht schwer gefallen war - die Casa di Riposo per Musicisti (s. Foto unten), die als Altersheim für Opernsänger und Musiker auch heute noch in Mailand (s. URL unten) existiert. Man nennt sie auch die Casa Verdi.
Dieser Fakt allein war dem aus Kärnten stammenden Tanz- und Theaterstörer Johann Kresnik, der die letzten Jahre mehr in der Provinz seine Projekte feil bot (wie z.B. seine vor drei Jahren am nicht weit von hier gelegnen Staatstheater Cottbus mit viel Hui-Geschrei einher gekommen seiende Fürst Pücklers Utopia), Stoff und Inhalt gleichermaßen, um als Villa Verdi uraufführungsmäßig in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Raum zu greifen; Kresnik hatte in den Anfangsjahren nach der sogenannten Wende eine Art von künstlerischer Heimstatt in Berlin gefunden, bis ihn Der, der ihn einst holte, nicht mehr ausbezahlen konnte und die Truppe (rund um Kresnik, der nämlich zu der besagten Zeit mit seiner Company aus TänzerInnen und BewegungskünstlerInnen hier am Hause Hof hielt) wieder gehen musste - das verzieh er Castorf sicher nie...
Nun also diese späte Rückkehr - nun also die Möglichkeit des späte(re)n Triumphs; doch weit gefehlt!
Das Stück, das sich als "frei nach dem Film 'Il Bacio di Tosca' von Daniel Schmid" bezeichnet, kriecht als nervtötende Ostalgie-Orgie zutage:
Ganz im Mittelpunkt des Eindreiviertelstündlers stehen justament die Eins-zu-eins-Biografien der zwei Ex-Berliner-Opernstars von vovorvorgestern und vorvorgestern - Jutta Vulpius (geb. 1927 in Erfurt) und Jochen Kowalski (geb. 1954 bei Nauen); die treten zwar unter veränderten Namen, nämlich als Katerina Skolonski und Max Wallstein, auf, aber sie plaudern halt ganz eindeutig von Zeiten aus den schönen frühen alten (Ostberliner) Tagen. Und so hauen sie uns nacheinander dann die Namen von zig Opernhäusern oder Operndirigenten, wo oder mit wem sie (fern von Ostberlin) je aufgetreten waren, um die Ohren, und wir kriegen freilich so am Besten mit - ja und der Stückkreis schließt sich dahingehend auch fast wieder logisch - , was ein Lebensabend resp. Lebensende in so einem Altersheim für Opernsänger und Musiker schlussendlich bedeutet: Er/sie sind das ausgeblutet Leere, was dann allenthalben noch mittels Erinnerungen sauerstoffzelthafter Weise Animierungen erfährt; das Warten auf den Tod, der sich (wenn man das Alles hört) als wahrer Glücksbringer heretablieren könnte oder sollte, wird zum Sprintziel lustig auserkoren...
Doch es gibt, außer den Vuplius & Kowalski (die dann ihren Doppelpart genialisch singen/spielen!!), auch noch Heiminsassen aus dem deutschsprachigen Sprechtheater oder aus der Tanzbranche schlechthin; hier stechen die zwei Ex-Volksbühnenstars Hildegard Alex (die, aus dem Zusammenhang heraus, Das Judentum in der Musik von Wagner rezitiert) und Annekathrin Bürger (die, was sie schon immer konnte, ein Chanson nach einem Brechttext [?] in die Runde seuselt) oder auch die West-Diseuse Ilse Ritter (die sich, ganz im Wiener Burgtheater-Stil, an ihre Ex-Regiezuchtmeister Strehler oder Bondy rückbesinnt) sowie das TänzerInnen-Paar Yoshiko Waki (die sich mit der Kreissäge den rechten Fuß abtrennt, auf dass das Blut in Kresnik'scher Manier dann nur so rumspritzt) und Osvaldo Ventriglia (der sich sein Unterhemd und seine Strumpfhose, während zwei wunderschöne Youngstars aus der Staatlichen Ballettschule Berlin [Alisa Bartels & Ronan Dos Santos] "klassisch" vortanzen, mit einer Schere auseinanderschneidet) namentlich hervor.
Die Villa Verdi stünde also kurz vor ihrer Schließung, da es keine Gelder mehr für ihre Weiterhaltung gäbe, und ihre BewohnerInnen sind so arg besorgt um sie und ihre Lebensabend-Zukunft... Eine Gala [sicherlich zum diesjährigen Verdi-Jubiläum] soll die sie besuchenden staatlich Verantwortlichen oder Stiftungsmitglieder womöglich umstimmen... Das Italienische (= ein italienisches Problem) wird in das Deutsche (zum deutschen Problem) kopiert, auch findet pausenlos ein Austausch irgendwelcher Stammtisch-Allgemeinplätze à la 'Die Oben machen unten alles platt', was freilich völlig unterbutternswerte "Qualitäten" aufweist, statt; der Text an sich hat dahingehend literarisch einen absoluten Null-Wert.
Sehenswerte Teil-Choreografien. Großartiges Bühnenbild (von Marion Eisele!) - die höchstwahrscheinlich original-historisch nachempfundene Decken-Dekoration der Casa Verdi schwankt finalig mit herabstürzendem Lärm und krachendem Getöse hin und her und rauf und runter, dass man als Zuschauer Müh' und Not hat, nicht in Panik zu verfallen.
Kresnik hat sich künstlerisch nicht einen Millimeter fortentwickelt.
Großer Beifall für das ausführende Personal.
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Casa di Riposo per Musicisti, auch Casa Verdi genannt, um 2006 - Foto (C) Franco Folini
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Andre Sokolowski - 4. Mai 2013 ID 6734
VILLA VERDI (Volksbühne Berlin, 03.05.2013)
Regie: Johann Kresnik
Text: Christoph Klimke
Komposition/Arrangements: Walter Haupt
Bühne: Marion Eisele
Kostüme: Erika Landertinger
Konzeptionelle Mitarbeit/ Musikdramaturgie: Joachim Rathke
Licht: Torsten König
Dramaturgie: Sabine Zielke
Besetzung:
Johanna Edel ... Hildegard Alex
Nora Melrose ... Sarah Behrendt
Ebba Kühn ... Annekathrin Bürger
Anni Schmidt ... Cornelia Kempers
Max Wallstein ... Jochen Kowalski
Antonio Ristuccio ... Roland Renner
Maria Janson ... Ilse Ritter
Karl Grün ... Andreas Seifert
Katerina Skolonski ... Jutta Vulpius
Hans Borowski ... Harald Warmbrunn
Tänzer ... Osvaldo Ventriglia
Tänzerin ... Yoshiko Waki
Musikdirektor Kurt Leider ... Frank Maus
Sandor Farkas (1. Geige), Karl-Heinz Brößling (2. Geige), Erhard Starke (Bratsche) und Daniel Roither (Cello)
Studenten der Staatlichen Ballettschule Berlin und 30 Bewohner der Villa Verdi
Uraufführung war am 24. April 2013
Weitere Termine: 10., 18. 5. / 6., 25. 6. 2013
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de
http://www.casaverdi.org
http://www.andre-sokolowski.de
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