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Rosinenpicken (280)

15. Februar 2014 - Schaubühne am Lehniner Platz

ATMEN

Regie: Katie Mitchell


Atmen in der Schaubühne am Lehniner Platz - Foto (C) Stephen Cumminskey


Katie Mitchell Superstar! Ich mag sie. An der Staatsoper setzte sie letztes Jahr Le Vin herbé von Frank Martin in Szene; in der Schaubühne staunte ich kurz davor nicht schlecht über ihre Gesamtsichtweise auf Charlotte Perkins Gilmans Die gelbe Tapete - kurz und gut, und wie gesagt: Ich mag sie mittlerweile außerordentlich, obgleich es (eigentlich) ja meistens immer "nur" diegleiche Masche ist, mit der sie Dinge ihrer Wahl in (meistens) videohafter Überlagerung behandelt und erschließt...

"Die Gegenwart. Ein Paar, er und sie, Ende zwanzig. Beide leben in einer großen Stadt, sind gut ausgebildet, haben interessante Jobs. Kaffee kaufen sie nur fairtrade, und grundsätzlich nichts in großen Ladenketten, sie schauen Arthouse-Filme im Original mit Untertiteln und lesen Bücher über aktuelle politische Themen. 'Wir sind doch gute Menschen' – versichern sich beide immer wieder." (Quelle: schaubuehne.de)

Um Dieses (s.o.) geht es also in dem Stück, das schlicht und einfach Atmen heißt. Zwei elitäre Nicht-mehr-Jugendliche resp. Noch-nicht-allzu-Alte - Lucy Wirth und Christoph Gawenda leihen jenem ein- und ausatmenden Pärchen ihre schauspielernd-sportive Subpräsenz - fahren weit über eine Stunde Fahrrad, um schön fit (und jung) zu bleiben und nicht allzu ungelenk (und alt) zu werden; ja und "elitär" sind sie halt, weil: sie gilt als Promovierte, er als Musiker, und deshalb nennt sie ihn wohl auch "mein Süßer", und er lässt sich das bis ultimo gefallen... So!

Der Witz, d.h. der fast schon hochgeniale Mitchell-Einfall bei dem Ganzen war und ist, dass der gesamte Saalstrom, den man für die 75minütige Performance brauchte, durch das Fahrrad-Strampeln der zwei Schaubühnen-Protagonisten plus vier weiterer und extra hierfür engagierter sportlich-konditionierter (stummer) Jungmenschen "erzeugt" würde; ja und so hatte also Ausstatterin Chloe Lamford auch noch mit hochelektrotechnischem oder dynamomäßigem Fachzeugs zu tun gehabt, um jene physikalischen Gesetze in die Praxis umgesetzt zu kriegen. War schon spannend für mich zu beobachten, wie sich die körperliche Beinkraft ausdauernd auf "Und so werde Licht!" auswirken tat!

Zudem: "Mehr als 7 Milliarden Menschen bevölkern die Erde, jede Sekunde 2,6 mehr – bald 10 Milliarden. Nahrungs- und Trinkwasserbedarf, Energie- und Rohstoffverbrauch steigen, der Platz wird knapp", macht mir spaßbremserisch - um das Geatmetsein der beiden Schauspieler herum - der einführende Web-Text Angst. So vom Konzept her, spekuliere ich, steckt also jede Menge auf das Atmen zugemünzt-bezüglicher gesellschaftlicher Zünd- und Sprengstoff drin.

Auf jeden Fall wünschte und wünscht sich unser Paar ein Kind und kriegte/kriegt auch eins. Zwar erst 'ne Fehlgeburt. Danach aber was richtiges Gesundes. Vorher/anschließend verlieren sich die Lucy und der Christoph über Dies & Das (beim Fahrradfahren und zwischen dem Ein- und Ausatmen) in ausufernden Zwie- und Selbstgesprächen. Was halt so zwischen zwei Liebenden oder Gewohnheitsliebenden thematisch und emotional so abgeht: teils recht Wichtiges, doch größtenteils ein Riesen-Blablabla... Die Zeitsprünge werden dann immer größer, um nicht gar zu sagen: heftiger. Schließlich ist seinerseits von irgend 'nem Routineeingriff nebenbei die Rede, und dann hört der Christoph einfach auf zu strampeln, und der Platz mit seinem Fahrrad taucht in Dunkelheit. Sie ihrerseits (erneuter heftig-großer Zeitsprung) monologisiert, dass sie inzwischen in 'nem Heim, wo Kunstkurse stattfinden, sei; und ganz zuallerletzt macht sie sich, dem Vernehmen nach, zu seiner Grabstatt auf, um ihrem Ewigliebsten Blumen hinzulegen; "weiß ja nicht, wie lange ich das so noch machen kann" o.s.ä.

Peng - black out.

Da stockte mir dann doch der Atem, und ich kämpfte mit den Tränen.

Eine sehr metapherschwere Hymne auf Vergänglichkeit.

[Duncan Macmillan hatte dieses Stück verfasst - die deutsche Übersetzung schrieb Corinna Brocher.]




Lucy Wirth und Christoph Gawenda beim Atmen in der Schaubühne am Lehniner Platz - Foto (C) Stephen Cumminskey



Bewertung:    

Andre Sokolowski - 15. Februar 2014
ID 7602
ATMEN (Schaubühne Berlin, 15.02.2014)
Regie: Katie Mitchell
Bühne und Kostüme: Chloe Lamford
Sounddesign: Ben und Max Ringham
Dramaturgie: Nils Haarmann
Licht: Jack Knowles
Fahrradkonstruktion: Colin Tonks/electric pedals
Mit Christoph Gawenda und Lucy Wirth
Premiere der DSE war am 30. November 2013
Weitere Termine: 17., 22. 2. / 2. 3. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de


http://www.andre-sokolowski.de



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