3. August 2012, HALLE TANZBÜHNE BERLIN
anderland
cie. toula limnaios
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Probenbild zu anderland - Foto (C) cyan
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Von einem Tanztheater ist zu schwärmen!
Es heißt anderland, und konzipiert/choreografiert wurde es von der 1963 in Griechenland geborenen und noch im gleichen Jahr mit ihrer Familie nach Belgien immigrierten Toula Limnaios - ihre Compagnie cie. toula limnaios hatte sie vor 16 Jahren mit dem Komponisten Ralf R. Ollertz, der zugleich ihr Produzent (und Lebenspartner) ist, gegründet. Ja, und das von uns beschwärmte Tanztheater-Stück mit diesem doch so weitgeschweiften, "unendlichen" (schönen!) Titel anderland gibt es nun auch bereits seit Jahren; und die Künstler nahmen es jetzt für und in der HALLE TANZBÜHNE BERLIN, die ihre neue künstlerische Heimat wurde/ist, nochmals zur Hand...
Vier Frauen und drei Männer spielen.
Ganz am Anfang - hinter einem den dahinter liegenden Tanzboden gänzlich "abdichtenden" Folienvorhang - wird man ihrer sich nach vorn drängenden Schatten nach und nach gewahr. Dann "kleben" sie sich diese Folie mehr und mehr auf ihre plötzlich "auftauchenden" Antlitze, also man sieht und ahnt in einem Fort ihre Gesichter, Gesten und Geschichten - bis der Vorhang reißt und wie eine sich auflösende weiße Wolke, wie im Zeitraffer, "zusammenfällt"...
Im Backround eine Mischung aus designten Klängen und belanglosem Geschwätz medialen Ursprungs, nur durch einzeln zu vernehmende Stich- oder Schlagwörter ("Lavendel", "Rettungsschirm", "Vertreter der Bundestagsfraktionen" usf.) gekennzeichnet; selbige sind in ihren Herkünften oder Zusammenhängen völlig außen vor gelassen - lauter Müllzeugs, was wohl nur der Einsam(st)e, wenn er vielleicht daheim auf irgendeine Form der Kommunikationen hofft, akustisch (nur akustisch, wie gesagt!) verinnerlicht.
Und darum scheint es auch in dieser doch am Ende traurig-träg stimmenden Trance zu gehen: um Vereinzelungen.
Jeder der Akteure unternimmt in diesem Stück (s)ein Ding für sich. Auch wenn es permanent - im Laufe zunehmend und zunehmender - zwischenmenschliche Beziehungen oder Interaktionen (um es "technisch" zu markieren) gibt: Diese vergruppende Entwicklung fängt mit Amit Preisman an - die Tänzerin löst sich mit einem Mal aus den solistischen Aktionen ihrer Mitstreiter und wird in einer Art Crescendo der Gewalt quasi als Buhfrau/Sündenbock/Hauptschuldige [Amit ist Israelin!] für gelebte oder ungelebt gebliebene Enttäuschungen und Minderwertigkeiten ihres bis dahin eintänzerischen Umfelds drangsaliert; alles in Andeutungen. Ja und wie die Gruppe da mit ihr "rein körperlich" verfährt, ohne ihr nur ein Haar zu krümmen, lässt erstaunen und erstarren!
Überraschendster Aha-Effekt: ein Ventilator! Karolina Wyrwal "spielt" mit ihm. Sie greift sich ein Stück Folie (aus dem Vorhang, zu Beginn); und mit dem Ventilator wirbelt sie die Folie auf, die wie ein Riesenschleier dunstig schwebt...
Ein Bühnenmittel, das mit den akustischen Zitaten (wie "Lavendel", "Rettungsschirm", "Vertreter der Bundestagsfraktionen" usf.) korrespondiert, sind Zeitungsstapel und ein Zeitungsmüllhaufen aus Tausenden zusammengeknüllten Seiten. Auf einen der Zeitungsstapel wird Amit postiert - den losen Zeitungsmüll verteilt sodann der Ventilator, den jetzt Yannis Karalis wie einen Schneepflug vor sich her trägt... Bald ist also Alles unter Zeitungsmüll.
Zu guter Letzt kommt Karolina, die sich auffällig mit einem Lippenstift den Mund bemalt. Zuvor hatte sich Yannis vor ihr ausgezogen, fängt für sich zu singen an... Er wird von ihr beküsst und kriegt am ganzen Körper rote Male... Dämmerung und Dunkel.
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anderland von Toula Limnaios in der HALLE TANZBÜHNE BERLIN - Foto (C) Sabine Wenzel
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So viel Trasparenz und Schwerelosigkeit wie hier hatte es wohl im Tanztheater selten oder überhaupt noch nie gegeben.
Schwirrend schön.
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Andre Sokolowski - 4. August 2012 ID 6128
anderland (HALLE TANZBÜHNE BERLIN, 03.08.2012)
Konzept/Choreographie: Toula Limnaios
Musik: Ralf R. Ollertz
Lichtdesign: Jan Langebartels
Kostüme: Antonia Limnaios und Toula Limnaios
Kreation/Tanz: María de Dueñas López, Annika Lisa Oettinghaus, Karolina Wyrwal, Amit Preisman, Giacomo Corvaia, Yannis Karalis und Kamil Warchulski
Premiere war am 2. August 2012
Weitere Termine: 4./5., 9. - 12. 8. 2012
Eine Produktion der cie. toula limnaios und der HALLE TANZBÜHNE BERLIN
Weitere Infos siehe auch: http://www.halle-tanz-berlin.de
http://www.toula.de
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