7. September 2013 - Staatsschauspiel Dresden
101. SAISON
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Und jedermann erwartet sich ein Fest
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Es ist völlig ohne Belang, dass das taggenaue Jubiläum „100 Jahre Schauspielhaus“ und die erste Saisonpremiere auf Freitag, den 13. fallen. Das Staatsschauspiel Dresden in seinem jetzigen Lauf halten auch solche verrufenen Daten nicht auf.
Besagte erste Premiere ist klug gewählt: King Arthur, eine Semiopera von John Dryden und Henry Purcell - in Kooperation mit der Semperoper (musikalische Leitung: Felice Venanzoni) und unter der Regie von Tilman Köhler - knüpft an die musiktheaterliche Tradition des Hauses an und weist dann sicher auch weit in die Zukunft. Sogar die Sachsen spielen eine Rolle darin, wenn auch keine rühmliche, wie ein souveräner Intendant Wilfried Schulz schelmisch anmerkt.
Nach dem ersten Szenenausschnitt freu' ich mich wie Bolle auf die Inszenierung.
Und es geht gleich Schlag auf Schlag weiter: Tags darauf hat Rimini Protokoll Statistik für uns, in lebenden Bildern aus 100 Dresdenern. Na, schaunmermal, ob da mehr als Zahlenhuberei herauskommt.
Die drei tollen Tage beschließt die deutschsprachige Erstaufführung von Supergute Tage nach dem Roman von Mark Haddon, auch hier machte der Ausschnitt große Lust auf die Arbeit von Hausregisseur Jan Gehler.
Die nächsten Hochlichter - ohne die anderen Produktionen gering zu schätzen – wären Emilia Galotti von Lessing in der Regie von Sandra Strunz und Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth, auf die Bühne gebracht von Barbara Bürk. Bei letzterem geriet die kurze Vorschau zu einem eigenständigen kleinen Kunstwerk, das zu Recht begeisterten Applaus erntete.
Dazwischen schiebt sich mit Susanne Lietzow die dritte Regie-Dame, die mit Kästners Klaus im Schrank nicht weniger als eine Welturaufführung inszenieren darf. Jaja, Welt-Ur-Aufführung, kleiner haben wir es momentan nicht in Dresden. Robert Koall, Chefdramaturg, erzählt launig die Findungsgeschichte dieses Frühwerks. Wir sind neugierig.
Wolfgang Engel hat sich Karl Kraus vorgenommen, Die letzten Tage der Menschheit. Die Lesung der Damen Hoppe, Piontek und Koch ist beklemmend, man darf gespannt sein, wie dies dann auf der Bühne wirkt.
Das ganze Gegenteil wird eine quietschbunte Musikrevue der Bürgerbühne: Die Nase von Gogol, die Chefin Miriam Tscholl regissiert höchstselbst. Der gezeigte Ausschnitt lässt das Beste hoffen.
Dann eine Zuschaltung per Video: Herr Kriegenburg lässt zunächst wissen, dass er in Tokyo weile (und erbringt den Beweis durch einen Schwenk zum Hotelfenster) und macht dann viel Lärm, um nichts zu Was ihr wollt zu sagen. Es bleibt zu hoffen, dass er diesen Job ernster nehmen wird als die unvollendeten Fliegen vom letzten Jahr.
Ich weiß auch gar nicht, ob Dresden diesen Wanderzirkus der Großregisseure überhaupt nötig hat. Mein Petitum: Verzicht auf die vorgeblichen Stars der Szene und Re-Investition in hauseigene Projekte. Und für die, die K. & Co. unbedingt sehen müssen, Bus-Charter nach Frankfurt/M., Hamburg, München oder sogar Berlin.
Torsten Ranft erspart uns dann nichts, als er mit dem Ödipus-Monolog Sophokles Antigone einführt. Harter Stoff, bei der Regie von Sebastian Baumgarten bleibt aber zu hoffen, dass man nicht völlig depressiv das Theater verlassen wird.
Einem ganz anderen harten Stoff nimmt sich dankenswerterweise Lutz Hübner an: Dem mitunter seltsamen Gebaren der sächsischen Justiz, wenn es politisch wird. Da wird man nicht viel Spaß dran haben in der Behörde, aber vielleicht ergibt sich ja zuvor Gelegenheit, Herrn Hübner zu verhaften und das Unheil damit abzuwenden.
Die beiden Moderatoren Ahmad Mesgarha und Philipp Lux sind dem Parasiten entstiegen, jenem Schiller zugeschriebenen Lustspiel, das ich offenbar als einziger auf Erden misslungen finde. Aber sie machen ihre Sache gut und dürfen dann auch noch die zweite Auflag jenes Landschaftstheaters ankündigen, das in der Vorsaison als Ko-Produktion mit dem Theater Aspik so fulminant startete. Da kommen wir ab Juni 2014 alle mal wieder an die frische Luft.
Noch viel mehr ist geplant, Gastspiele großer Theater, ein Festival europäischer Bürgerbühnen und eine Stückfolge zu den Geheimdiensten. Ein volles Programm.
Zuletzt die Personalia:
Mit Yohanna Schwertfeger gibt es – ins Fußballerische übersetzt – einen Neuzugang vom FC Bayern zu verzeichnen, das muss Dynamo erstmal nachmachen. Die junge Dame wusste beim Krieg und Frieden–Gastspiel derart zu überzeugen, dass Wilfried Schulz sie nicht mehr gehen lassen wollte. Und er tat wahrscheinlich gut daran.
Auch aus dem eigenen Nachwuchs gehört nun jemand zur Stammelf: Lea Ruckpaul wird Mühe haben, ihre großartige letzte Saison als Elevin heuer zu toppen. Allerdings reicht es völlig aus, dieses Niveau zu halten.
Jan Maak, der Schmierige aus Fabian, ist jetzt auch fest im Kader, schön. Und die Ungenannten mögen mir verzeihn und sich freispielen. Toitoitoi für alle.
Abgänge gibt es natürlich auch, so ist das Business. Dank neuer Intendanten in Stuttgart und Köln haben Annika Schilling und die Herren Höppner, Michalek und Hanushewsky ihre Spinde geräumt, ein Verlust jede(r) einzelne, wobei es mich beim Urviech Michalek und beim Käthchen Ophelia am meisten schmerzt. Zum Trost sehen wir sie alle – soweit ich das überblicke – als Gast gelegentlich wieder.
Es endet in Herzenswärme:
Albrecht Goette hat sein vierzigstes Bühnenjahr in Dresden vollendet - Ehre, wem Ehre gebührt. Ca. 4.300 Vorstellungen nach seinem Debüt, lässt er selbst seine großen Rollen noch einmal Revue passieren und endet selbtironisch bei der Arbeitsmaus aus Reineke Fuchs. Lang anhaltender, herzlicher Beifall, so hieß das früher auch schon, nur mit dem Unterschied, dass jener heute tatsächlich aus den tiefen Seelen der Dresdner Theaterfreunde kommt.
Auch Hannelore Koch hätte die Ehrung verdient, aber das Dienstrecht ist streng. Ein kurzer Ausflug zur Volksbühne vermasselt ihr zwar den Einkaufsgutschein, nicht aber die ebenso herzlichen Ovationen und den Händedruck des Intendanten.
Zusammengefasst: Der Rausch der Hundertsten ist vorbei, freuen wir uns auf den der Einhundertundersten.
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Großes Eröffnungsfest zum Saisonstart 2013/2014 - Foto (C) Daniel Koch
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Sandro Zimmerman - 9. September 2013 ID 7130
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de/
Post an Sandro Zimmermann
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