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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM


von Werner Schwab


Werner Schwab (1958-1994) | Bildquelle: Wikipedia

"Sie waren schuldig, sie haben das Haupt des Herrn umflogen wie Schmeißfliegen einen Scheißdreck. Wir haben sie trotzdem geliebt. Wir haben sie zu uns genommen. Wir haben uns trotz allem ihrer erbarmt..."


... so steht es Schwarz auf Weiß bei Werner Schwab (1958-1994), man nennt den Sound auch "schwabisch", und in allen seiner Stücke ist er drin; so war und ist die Sprache Werner Schwabs in hohem Grade unverwechselbar, und also hat der Schwab - so im Vergleich zu andern Stückeschreibern (heute gibt es, außer Jelinek, "fast nur noch" sprachbemühte Arschgeiginnen oder Arschgeigen, und ihr bemühtes Stückwerkchen = vergessenswertes Arschgeigszeug; ja, schauen Sie sich selber um!) - ein unvergleichliches Gesicht. Es ist, so wie das Jelinek'sche, über alle Maßen schön!

Erinnern wir uns mittels Wikipedia:


"Werner Schwab wurde am 4. Februar 1958 in Graz als Sohn einer Haushälterin und eines Maurers geboren. Kurz nach seiner Geburt verließ sein Vater die Familie und seine Mutter sah sich wegen unterlassener Unterhaltszahlungen gezwungen, in ihr Elternhaus zurückzuziehen. Im Folgenden musste die Mutter, um überleben zu können, ihren Sohn in Pflege geben, lebte selbst in desolaten Unterkünften und arbeitete als Haushälterin in Graz und Semriach, bis sie eine Stellung als Hausmeisterin im Herz-Jesu-Viertel in Graz erhielt, mit welcher eine kleine Einzimmerwohnung verbunden war. In dieser verbrachte Schwab zusammen mit seiner religiösen Mutter eine schwere Kindheit, welche er mit der Einführung seines Alter Egos Herrmann Wurm in Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos zu verarbeiten versuchte."


Ja und viele andre biografische Begebenheiten flossen lustig in das flotte Oevre ihres so begnadeten und wütig so drauf los schreibenden Autors ein... Es ist ein Pech und eine Trauer, dass sich Schwab so frühzeitig dann aus dem Staub gemacht hatte, weil: Seine Welterzählungen und Weltsichten, die heute mehr denn je gelesen und gesehen und gehört sein hätten wollen, fehlen ungemein. Es wäre wohl der Einzige "noch Lebende" gewesen, dem man wahrheitlich vertrauen hätte sollen!!

Und landauf, landab finden sich in den sogenannten etablierten Bühnen resp. ihrer Spielpläne vielleicht mal Präsidentinnen (das harmloseste, unterhaltendste der vielen Schwab-Stücke), welche man unaufwändig, 3personig halt, so spielt. Aber der wunderschöne "Rest"? wer macht sich noch die Mühe, alle andern Texte dieses Wunderschönen den Vergessenheiten zu entreißen?? Elendiges Ignorantenpack.

Das Friedrichshainer Off-Theater unter der Bezeichnung "theaterkapelle 10245" wuchtete allen anderen in Sachen Werner Schwab nunmehr was vor:



Dornröschen und der Prinz, denn Rike Eckermann und Carsten Wilhelm werden gleich, nachdem sie festmahlten, in Walzerseligkeit nach oben schweben... Szenenbild aus Werner Schwabs \"ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM\" - Foto (C) Jim Walker



ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM heißt das Stück und zählt (mit Präsidentinnen und Volksvernichtung und Mein Hundemund) zu den Fäkaliendramen. Das bedeutet, dass es - außer diesem allerliebsten "Schwabisch", was zu hören wirklich eine allerliebste Sause ist - im Zusätzlichen auch latrinenartig, um es höflich auszudrücken, hie und da dann zugeht. Die Geschichte:

Sieben Stammtischgäste einer österreichischen Spelunke (wie gesagt) veräußern reichlichhin privates Philosophisches und Physiologisches aus ihren etwas leicht analkoholisierten Hirnen; es wird also fast nur Scheiße rundherum erzählt. Der Zuschauer erkennt das primitivgestrickte Zugehörigkeitsgeflecht - wer hat mit wem zu tun - sofort und wartet freilich jetzt auf irgendeinen ganz besondern Knall... Ein sogenanntes Schönes Paar, welches höchstselbst mit seinem Liebesturteln unaufhörlich sozusagen vollbeschäftigt ist, gerät den sieben "Untermenschen" als ein Dorn im Aug', als eine Gräte mittendrin im Hals; und also provozieren sie die Turteltäubchen, und als nach wie vor dann keine Reaktion der Turtelnden erfolgt, bemächtigen sie sich der schönen Leiber, vergewaltigen und töten sie, verleiben sie sich als ein Liebes-Mahl letztredend ein. Eine Metapher also: Sieben Liebelose wollen Liebe. Arm trifft Reich. Der Große Neid an sich... Im zweiten Akt des Stückes reflektieren diese sieben Menschenfresser, vollgefressen bis zum Rülpsen, über Wüste und die Wüstenei; das Stück bekommt bedrohlich eine Länge, der Verstand des Zuhörenden mag das Alles nicht mehr umzusetzen; auch dem Schwab gelang die Große Langeweile. Und der dritte Akt, auch nicht viel besser als der zweite, lässt ein anderswie geschöntes Schönes Paar erscheinen; und die Zwei entpuppen sich als echte "Weltenbürger" (Neureiche), die zwischendurch dann mal in den Gefilden unterster Beschaffenheit herumzuwildern trachteten; auch nicht das Allergelbeste vom Ei. Wir halten fest: Im ersten Akt geschieht die Haupthandlung des Stücks, die andern beiden Akte ziehen sich so nach und nach...



Das Schöne Paar (Hagen Geburzi, Sophie Wickert) hat im dritten Akt von Werner Schwabs \"ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM\" gutes Lachen. Keiner ahnt ja, dass es vorher noch als Fraß für sieben Menschenfresser hergehalten hatte... - Foto (C) Jim Walker


Christina Emig-Könning hatte inszeniert. Ihr liegen scheinbar diese Österreicher, sie hat Jelinek hier auch schon produziert; so eine innere Chemie bei ihr. Sie hat sich nun von Bühnenbildner Hamster Damm eine Spelunke bauen oder/und improvisieren lassen. Alles spielt sich zwischen einem Rundum-Tresen ab. Der Zuschauer ist der Spelunkengast, er "fühlt" sich mittendrin.

Die Schauspieler sind eine Sahne-Schlachte-Platte!!!

In dem Tiefgewölbe der zur Spielstätte "geweihten" Ex-Grabkirche ist es bullig warm, man schwitzt wie'n Schwein, es läuft einem die Brühe nur so runter in den Arsch. Die Idealvoraussetzungen, sich "mental" mit all den scheißtriefenden Scheißgeschichten dieser (austauschbaren) Unter- oder Übermenschen zu beschäftigen:

Und Rike Eckermann - zuvörderst sei sie hier genannt - ist eine wahre Königin der Gosse! Ihre Wirtin - also die Figur, die alle anderen "zusammenhält" - ist eine explizite Ziehmutter an desparater Menschlichkeit; sie gibt und nimmt; ihr schlichtes Glücklichsein (sie steht ja permanent im Obstler-Vollrausch) gipfelt dann in einer wunderschönen Walzerszene, die sie an die herrlich schöne Menschenbrust von Carsten Wilhelm, der den Intellektuellen Jürgen Haubenschweiß verkörpert, führt und sich von diesem, fast dörnröschen-und-der-prinz-haft, in den himmlischsten der Himmel transportieren lässt. Zum Heulen schön! - Auch Antje Görner muss sich hyperalkoholisiert der Darstellung ihrer vergleichbar "kleinen" Herta-Rolle widmen; und bei ihr hat man den generellen Eindruck, dass dann wirklich ein Totaldefekt, nicht nur im Hirn dieses von ihrem fickfleißigen Schlägertyps mit Namen Karli (Volker Wackermann ist hier ein Ausbund an gewalttätiger Männlichkeit; dabei strahlt sein so lustiges Gesicht mehr infantilen Frohsinn als berechnendes Brutalsein aus; ich hätte gern einmal mit ihm geschlafen) drangsalierten Mädchenwesens permanent ist, denn ihr Gang und ihre Gangart haben schon so Spuren einer körperlichen Züchtigung. Und Nicole Janze's Fotzi: eine blondperrückige Gestörtheit, die die wirklich ernst zu nehmenden Gespräche dieses Abends unbewusst konterkariert. Die Hasi (Katharina Bellena) sowie ihr Gatte Schweindi (Hannes Schumacher) vermitteln eineindeutig, dass kein Blatt, nicht mal ein Brotkrumen zwischen der Paargeweihtheit ihrerselbst bestehen würde; ja, man meint, die beiden wären auch im wahren Leben dann ein Tandemchen. Hagen Geburzi / Sophie Wickert spielen/sprechen zweimal dann das Schöne Paar; ihr Auftritt in dem dritten Akt gerät zu einer infernalen Bloßstellung der/aller armseligen Schlechten dieser (Unter-)Welt.

Ich bin entzückt.


Hier schmeckt es wirklich allen, wie man sieht. Szene aus Werner Schwabs \"ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM\", das die Theaterkapelle Berlin in einer Inszenierung von Christina Emig-Könning auf die Bühne wuchtete. - Foto (C) Jim Walker


Andre Sokolowski - 3. August 2009
ID 4378
ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM (theaterkapelle Berlin, 02.08.09)
Regie: Christina Emig-Könning
Dramaturgie: Carsten Wilhelm
Bühne: Hamster Damm
Kostüme: Jeannine Simon
Musik & Sound: Simon Vincent
Assistenz: Roxana Jahn
Besetzung: Katharina Bellena (Hasi), Rike Eckermann (Wirtin), Antje Görner (Herta), Nicole Janze (Fotzi), Hannes Schumacher (Schweindi), Volker Wackermann (Karli), Carsten Wilhelm (Jürgen) sowie Hagen Geburzi & Sophie Wickert (Das Schöne Paar)
Produktion der Theaterkapelle Berlin-Fridrichshain



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