3. November 2013 - Staatsschauspiel Dresden
KLAUS IM SCHRANK ODER DAS VERKEHRTE WEIHNACHTSFEST
von Erich Kästner
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Erich Kästners Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest - uraufgeführt am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) David Baltzer
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Familienaufstellung nach Kästner
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Ja, Uraufführung eines Kästner-Stücks. Welt-Uraufführung. In Dresden. So was gibt’s.
Aber die Vorgeschichte ist in den einschlägigen Medien schon ausführlich behandelt worden, ich begnüge mich hier mitzuteilen, dass der Theater-Erstling von Kästner lange als verschollen galt, dann aber in einem Nachlass auftauchte und Robert Koall in die glücklichen Hände fiel. Beiden hätte nichts Besseres passieren können.
Ich möchte ein Eisbär sein, auf Klopstocks Fußboden. Dieses Gefühl befällt mich in der ersten Minute und lässt mich nicht mehr los.
„Wer Prügel kriegt, spürt wenigstens, dass er Eltern hat“, so weit ist es gekommen in Bankdirektors Hause.
Vernachlässigung ist kein Unterschichtenproblem.
„Aus, Klaus!“, so heißt es dann, wenn der Elfjährige sich nicht mit seiner Statistenrolle in der Familie abfinden will. Überhaupt will er lieber Hauptrollen als zur Schule gehen, Jackie Coogan, an der Seite von Charles Chaplin Kinderstar in den Zwanzigern, hat es ihm angetan.
Seine jüngere Schwester Klaire ist da eher rational, aber auch sie kotzt die nicht nur emotionale Abwesenheit von Vater und Mutter an.
Jene sind mit sich selbst beschäftigt. Ein Bankdirektor will zu Hause vor allem Ruhe, und seine Gemahlin fühlt sich als spätes Glamourgirl, mit Eintänzer an der Seite. Zwar hat sie zwei Kinder an der Backe, ignoriert das aber geflissentlich.
Die Liebe zwischen den Eheleuten Klopstock kam abhanden mit den Jahren, so was soll es geben.
Verdammt modern, dieser Kästner, fast subversiv. Von dem wird man noch viel hören.
So ein Stück braucht aber auch einen Guten: Onkel Altenberg, frau- und kinderlos, nimmt sich der Gören an, und sicher ist er es auch, der im Hintergrund die Fäden zieht, als sich eines Abends, als Klaus und Klaire manchmal immer alleine sind, der Schrank öffnet und die beiden auf eine Reise lockt.
Zuvor gibt es aber noch tänzelnde Aufzieh-Kinder zu bestaunen und einen grandiosen Videoeinsatz (Petra Zöpnek).
Dann verwandelt sich die Bühne (Aurel Lenfert) und gibt ein weiteres wunderbares Bild frei. Klaus und Klaire im Zauberland, und das ist lange noch nicht abgebrannt. Ein tanzender Schokohund (ein Artist vor dem Herrn: Philip Lehmann), Auftritt Coogan (Kilian Land) und Chaplin (Atef Vogel). Man hat die Kinder hergebeten, um einen Film zu drehen, mit ihnen in den Hauptrollen, als ihr Elternpaar. Die Kinder geben praktischerweise die Nun-nicht-mehr-Erziehungsberechtigten. Famose Idee.
Der Beruf des Kindes ist einer der schwersten, das wird bei den Dreharbeiten schnell klar. Die ehemaligen Kinder haben es da leichter, sie müssen ja nur nachspielen.
Schon jetzt wird das Stück immer wieder von Szenenapplaus unterbrochen. Es ist eine wahre Pracht, was da stattfindet, ein Filmdreh auf der Bühne, ständig wechselnde Szenerie, jedes Detail passt. Ganz ganz großartig bis hierhin. Pause.
Es folgt: Das Familiengericht. Jackie Coogan als Richter will die Eltern wegen wiederholter Pflichtversäumnisse zur Trennung verurteilen, nachvollziehbar. Doch die Delinquenten und die Zeugen rebellieren, der Plot platzt.
Zurück in der Familienvilla, Weihnachtsabend. Irgendwas ist passiert, man weiß nicht genau was. Doch Pauline Klopstock ist auf einmal unschlüssig, soll sie nun, äh, „Gesang studieren in München“ mit Robert, dem Gigolo? Sie schickt jenen in die Wüste, als dieser sich ob der verschwundenen Kinder ungerührt zeigt und sinkt weinend in den massiven Bauch des Gatten, welcher die Polizei ruft. Sicher entführt, die Bälger.
Doch langsam dämmert beiden, dass die wohl schlicht weggelaufen sind, und dass es dafür Gründe gibt. Eine zarte Szene, Oda Pretzschner und Holger Hübner sind nicht nur hier ein Dreamteam. Ganz starke Leistung von beiden.
Onkel Altenberg soll es richten und richtet es. Die Kinder kullern aus dem Schrank. Jan Maak gibt jenen als freundlichen Igel, keinen Deut böse diesmal.
Das Happy End beginnt, die Familie findet sich, auch wenn es anfangs noch holpert. Als Bankdirektor kuschelt man per Handschütteln, herzlich natürlich. (Diese eine ganz kleine, aber sehr feine Szene mag als Beweis für den schier unerschöpflichen Ideenreichtum von Regie und Dramaturgie dienen.)
Eine schwere Ansprache der Elternteile, die Kinder fürchten das Schlimmste, doch nein, man will es noch einmal versuchen miteinander. Möge das re-gefreshte Glück halten, man wünscht es allen.
Kindgerecht kriegt dann sogar der Onkel noch eine Frau: Fräulein Elfriede, gegeben von Matthias Luckey, der zuvor einen famosen Stummfilm-Schurken gab und sich nun verdientermaßen in die Kinderherzen zurückspielen darf.
Ein kaum beschreibbares Finale, man muss schon bei den Proben Tränen gelacht haben. Und Schluss.
Fast der ganze Saal steht am Ende, ungelogen. Und feiert fünfzehn Minuten diesen neuen Theaterstern am Himmel.
Was bleibt zu sagen: Ein Kinderpaar aus Nina Gummich und Jonas Friedrich Leonhardi, die zwar dankbare Rollen haben, aber auch richtig was draus machen, Glückwunsch. Eine ergreifende Musik (Gilbert Handler), fetzige Kostüme (Marie Luise Lichtenthal), ein sehr feines Licht (Andreas Barkleit).
Bedaure, ich habe nichts zu bekritteln.
Aber ich hab mal hochgerechnet: Schon in etwa fünfzehn Jahren, wenn man die alsbald fälligen Deutschland-, Europa-, Welt- und Marstourneen hinzuzählt, könnte die tausendste Aufführung stattfinden. Dann rollt mich bitte nochmal in den Saal.
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Erich Kästners Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest - uraufgeführt am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) David Baltzer
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Bewertung:
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Sandro Zimmermann - 4. November 2013 ID 7329
KLAUS IM SCHRANK ODER DAS VERKEHRTE WEIHNACHTSFEST (Schauspielhaus, 03.11.2013)
Regie: Susanne Lietzow
Bühne: Aurel Lenfert
Kostüm: Marie Luise Lichtenthal
Musik: Gilbert Handler
Video: Petra Zöpnek
Licht: Andreas Barkleit
Dramaturgie: Robert Koall
Besetzung:
Klaus ... Jonas Friedrich Leonhardi
Kläre, Klaus' Schwester ... Nina Gummich
Die Mutter ... Oda Pretzschner
Der Vater, ein Bankdirektor ... Holger Hübner
Altenberg ... Jan Maak
Herr Bongardt / Fräulein Elfriede ... Matthias Luckey
Jackie Coogan ... Kilian Land
Charlie Chaplin ... Atef Vogel
Ein Hund ... Philip Lehmann
Uraufführung war am 3. November 2013
Weitere Termine: 10., 16., 24. - 28. 11. / 8. - 15., 18. - 23., 25., 26. 12. 2013
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de
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