12. Januar 2014 - Maxim Gorki Theater
SMALL TOWN BOY
Ein Projekt von Falk Richter
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Small Town Boy von Falk Richter am Maxim Gorki Theater - Foto (C) Esra Rotthoff
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Während Gorki-Schauspieler Thomas Wodianka zu Beginn von Falk Richters neuem Theaterprojekt Small Town Boy gerade provokant erotisch über die Achseln und das Loch von Mitspieler Alexander Radenković referiert, will er plötzlich das Wort „Schwuchteltheater“ vernommen haben. Unvermittelt fällt er hier erstmals an diesem Abend aus seiner Rolle und schimpft ins verdutze Publikum. Nun ist diese Szene gestellt. Aber - „wie homophob ist Deutschland wirklich auf einer Skala von 1 bis 10?“ Das fragte zumindest in dieser Woche anlässlich des Outings von Ex-Fußballer Thomas Hitzlsperger der RBB-Sender Radio eins.
Die Medien sind mal wieder voll von Glückwunschdepeschen und Liberalitätsbekundungen. Prominenten-Outing macht sicher Mut, bringt aber noch nicht allzu viel für einen normalen, unaufgeregten Umgang mit Homosexualität und eine breitere Akzeptanz in unserer Gesellschaft. Realistische und kritische Äußerungen zur Lebenswirklichkeit von Schwulen und Lesben in Deutschland sind da eher Mangelware. Aus gutbürgerlichen Gazetten tönt es sogar: „Es sollte nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehört zu sagen: ‚Ich bin heterosexuell, und das ist auch gut so.‘“ (Quelle: F.A.Z.) So viel dazu.
Der letzte halbwegs ernstzunehmende Beitrag, die Lebenswelt Homosexueller in Berlin komödiantisch auf die Theaterbretter zu knallen, fand 2002 just hier am Maxim Gorki Theater statt. Noch unter Intendant Volker Hesse - kennt den überhaupt noch jemand - wurde das Stück Karussell von Klaus Chatten - wer kennt den eigentlich noch - uraufgeführt. Das Stück fiel bei der Kritik eher durch, und die zwei Lederschwulen auf der Premiere wurden vom übrigen normalen Hochkulturpublikum merkwürdig von der Seite beäugt.
Die Welt hat sich zwölf Jahre weitergedreht, der Bürgermeister von Berlin ist immer noch schwul, nur ist deswegen nicht unbedingt alles "gut so" - und besser geworden schon gleich gar nicht. Nun ist der heteronormative Deutsche nicht zwangsweise immer homophob und der Schwule oder die Lesbe natürlich nicht automatisch der/die bessere, liberalere Deutsche. Darum geht es Falk Richter mit seinem Theaterprojekt auch gar nicht. Das schwul/lesbische Selbstverständnis endet nicht mit den überwundenen Schwierigkeiten beim erfolgreichen Coming-Out. Das ist hier lediglich der Anfang.
So nennt dann Falk Richter sein Projekt auch Small Town Boy, nach einem Song der britischen Band Bronski Beat aus den 1980er Jahren, der von einem Jungen handelt, der sein Elternhaus in der Provinz verlässt, nachdem er sich zu seiner Homosexualität bekannt hat. Und es beginnt bei Richter dann genau da, wo es bei Bronski Beat heißt: „Mother will never understand…“. Die fünf Protagonisten des Abends zählen hierbei so ziemlich jedes Klischee männlicher Teenagerpein von unverständigen, überbesorgten und kontrollwütigen Elternteilen auf, was man sich nur denken kann. Dazu ertönt der besagte Song mit dem eindrücklichen finalen Ruf: „Run away, turn away, … cry, boy, cry“.
Richter hangelt sich nun in 25 kurzen Szenen wie Intimität und Sprache, Erste Liebe, Warum Liebe weh tut oder Grenzen überschreiten relativ frisch, frech und mit viel Musik am Thema der homosexuellen Identitätswerdung entlang. Und das erinnert zunächst durchaus auch an sein letztes Projekt For the Disconnected Child an der Berliner Schaubühne. Denn ist der Schwule erst mal in der großen freien Stadt angekommen, dreht sich alles plötzlich auch um Karriere, Beziehungsstress, und/oder das Problem der Einsamkeit in einer durchdigitalisierten Welt. Für allgemeine Heiterkeit sorgt dabei immer wieder Niels Bormann, der bereits bei Chattens Karussell mit von der Partie war, wenn er erst beklagt, als Mitvierziger wiedermal nachts um 4 als letzter seinen Anorak an der Garderobe des SchwuZ abzuholen oder seinem Verflossenen die nie verwirklichten Träume einer glücklichen Beziehung nachwirft.
Dabei bleibt Richter dann aber nicht stehen. Auch wenn es noch einmal hochnotkomisch wird, wenn sich Lea Draeger als taffe Managerin der Rüstungsindustrie nach der Härte des Schwanzes ihres Angestellten Murat sehnt und nach einem Analpfropf sowie ein paar Zeilen aus dem Erotikklassiker Shades of Grey verlangt. Der Abend erschöpft sich beileibe nicht allein im Kabarettistischen. Richter benennt in weiteren Spielszenen, wie der eines schwulen Türken (Mehmet Ateşçí), der seinen Liebhaber nicht zur Hochzeit seiner Schwester mitnehmen will, klar alltägliche Schwierigkeiten schwuler Paare in der Öffentlichkeit: beim Entdecken und Bekennen der eigenen Sexualität sowie bei Eifersucht oder Verlustängsten. Einen großen Raum nimmt das Vater-Sohn-Verhältnis mit den üblichen Enttäuschungen, Vorwürfen und der fehlender Anerkennung ein.
Der Abend kulminiert dann aber schließlich in einem zweiten verbalen Wutausbruch von Thomas Wodianka à la „das musste mal raus“. Falk Richter hat ihm einen großen Anklage-Monolog geschrieben, in dem es um den Russen geht, der nicht nur Birken liebt, sondern auch Homosexuelle verachtet und quält, und dessen Präsidenten Putin, der das nicht verhindert und es vielmehr noch mittels Gesetzgebung forciert. Wodianka versteht sein Volk, die Russen, nicht und beklagt mangelnde Solidarität oder etwa die Unterstützung von Opernsängerin Anna Netrebko für Putins Politik und die Ignoranz dessen durch die deutsche Presse. Auch Äußerungen deutscher, christlich-demokratischer Politiker, wie die der Menschenrechtsbeauftragten der CDU, Erika Steinbach, erregen seinen Unmut. Und wie Klaus Chatten in Karussell einst feststellte: „Die Katholiken ficken und schämen sich nachher, die Protestanten ficken und schämen sich währenddessen“ - kommt auch bei Wodianka die bigotte Kirche nicht gut weg.
Erstaunlicherweise spricht Thomas Wodianka auch von den Homosexuellen als ein Volk, was etwas verstört. Angesichts der offenen Ausgrenzung und Diffamierung durch deutsche konservative Kreise als Homolobby, wie etwa durch die Publikationen der Journalistin Gabriele Kuby, die Homosexualität immer noch als therapierbare Krankheit bezeichnet (Lea Draeger zitiert aus Schriften Kubys), ist das aber durchaus verständlich. Die Verstörung und Provokation ist kalkuliert, aber auch auf ganz emotionale Reaktionen aus. Falk Richters Projekt lebt dabei von seinen guten, engagiert spielenden Darstellern, ist offen, direkt, witzig und regt zum Weiterdenken an. Und das ist dann letztendlich wirklich auch gut so.
Bewertung:
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Stefan Bock - 13. Januar 2014 ID 7501
SMALL TOWB BOY (Maxim Gorki Theater, 12.01.2014)
Regie: Falk Richter
Bühne und Kostüme: Katrin Hoffmann
Musik: Matthias Grübel
Dramaturgie: Jens Hillje / Daniel Richter
Mit: Mehmet Ateşçí, Niels Bormann, Lea Draeger, Aleksandar Radenković und Thomas Wodianka
Uraufführung war am 11. Januar 2014
Weitere Termine: 15., 28. 1. | 25., 28. 2. 2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de
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