14. Oktober 2013 - Hochschule für Musik und Theater "Felix Meldelssohn Bartholdy", Leipzig
DER GROSSE MARSCH
von Wolfram Lotz
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Der große Marsch - Foto (C) Sandro Zimmermann
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Die Wahrheit ist hart, Mann!
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Das Theater ist ein Ort in der Wirklichkeit. Der Netto nebenan übrigens auch, aber was der nicht hat, ist die Fiktion.
Hat sich der Hartmann dann doch durch die Hintertür ins aktuelle Leipziger Programm geschmuggelt. Soweit ich das überblicke, ist Der große Marsch“, jene – ich darf es vorwegnehmen – wahnwitzig gute Produktion des Schauspielstudios, sein letzter Fußabdruck am Hause. Und das ist gut so, Genossinnngenossn!
Wolfram Lotz, dekorierter Jungdramatiker und mir bislang unbekannt (aber ich bin ja auch nicht vom Fach), hat ein Stück geschrieben, das 2010 den Publikumspreis des Berliner Stückemarkts gewann und 2012 auch beim Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft reüssierte. Die scheinen Ahnung zu haben.
Lotz „schreibt gegen die Zumutung der Wirklichkeit an, gegen die herrschenden Konventionen und damit auch gegen den Tod als letztgültige Wahrheit“ (Programmheft). Kleiner hammer‘s nicht, aber das ist auch nicht nötig.
Schwer zu beschreiben, worum es da eigentlich geht. Es tanzt, es spielt, es schreit, es stöhnt, es singt, dass es eine wahre Pracht hat. Zehn Studierende verausgaben sich über fast zwei Stunden völlig, das ist harte Arbeit und kommt doch so wunderbar leicht rüber. This is the next Generation, mir ist nicht mehr bange um die Zukunft.
Wir lernen einiges:
Akermann singt Opern unter der Dusche, aber kein zeitgenössisches Theater. Nicht gutt.
Armut ist konkret, Krieg ist real. Die gereichte Bulette auch, etwas mehr Salz hätte jener aber gut getan.
Die Würstchen, die die Wahrheit brät, schmecken nicht.
Statistisch sind die Kinder aus Inzestbeziehungen behindert, das ist nun mal so.
Letztere Erkenntnis entsprang der für mich ergreifendsten Szene, die Debatte wurde P18 illustriert, aufregend.
Überhaupt, die Aufregung: Zehn schöne Menschen (ja, auch die Männer) im und um den Käfig herum machten es (mir) gelegentlich schwer, sich auf den Inhalt zu konzentrieren. Auch wenn das Tempo gelegentlich zu Lasten der Verständlichkeit ging: Das soll jetzt ein Kompliment sein.
Ein Auftritt des Regisseurs Petras-Hartmann-Lübbe mit Peitsche, Lösch nicht zu vergessen. Der Papa muss mal wieder ins Theater kommen, zum Inszenieren. Der beste Beitrag zur gerade tobenden Theatervölkerschlacht zu Leipzig bislang.
Die wahre Anarchie: Der Tod wird abgeschafft, die Zeit entmachtet. So soll es sein. Wir müssen nichts glauben.
Und ein großer, ganz großer Monolog am Ende, halb erdrückt vom Walfisch.
Grandiose Kostüme (Adriana Braga Peretzki), ein Käfig als Bühne vom Regisseur selbst, Licht (Carsten Rüger) und Ton (Alexander Nemitz) wunderwunderbar. Und ich hab jetzt eine sehr konkrete Vorstellung, was Video (Kai Schadeberg, Gabriel Arnold) in einer Inszenierung ausrichten kann, wenn man alles richtig macht.
Es wird immer so viel versucht am Theater.
Und manchmal gelingt es auch. So wie hier, in Leipzig, 200 Jahre nach dem großen Schlachten.
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Der große Marsch - Foto (C) Sandro Zimmermann
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Bewertung:
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Sandro Zimmermann - 15. Oktober 2013 ID 7262
DER GROSSE MARSCH (Diskothek des Schauspiel Leipzig, 14.10.2013)
Bühne und Regie: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Dramaturgie: Michael Billenkamp
Mit: Klara Deutschmann, Harald Horvath, Katrin Kaspar, Heiner Kock, Sina Martens, Maximilian Pekrul, Flora Pulina, Jonas Steglich, Dominik Paul Weber und Timo Weisschnur
Uraufführung bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen war am 20. Mai 2011
Premiere am Centraltheater Leipzig: 15. 4. 2013
Weitere Termine: 15. 10. / 27. 11. 2013
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de
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