4. Oktober 2013 - Deutsches Theater Berlin
GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD
Regie: Michael Thalheimer
|
Uraufführungzettel des Deutschen Theaters Berlin vom 2. November 1931 | Bildquelle: Wikipedia
|
„Wahrhaftig und unerbittlich“ fand man Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald in der historischen Niederung ihrer Uraufführung am Deutschen Theater 1931. Das Dritte Reich klopfte an die Tür der Weimarer Republik. Der Autor schildert eine europäische Epoche im Niedergang am Beispiel der grausamen Gemütlichkeit. Felix Austria! In dieser abgetakelten Welt gibt es nur noch desavouierte Charaktere. Das sind Darsteller obsoleter Haltungen und Professionen. Gezeigt wird der Mensch als Hut- und Kleiderständer, leerer Kultur- und voller Saubeutel als Dreschflegel und als Schleimspur auf dem Beton des bigotten Verhaltens. Prototyp ist der Vertreter ohne Verdienst – ein Schmierenkomödiant – das arme Schwein als Klinkenputzer im geborgten Anzug der zünftigen Volkstümlichkeit. Ihm zur Seite steht die verzweifelte Braut wie Gott sie schuf – und „wie ein Schatten hat Gott den Menschen erschaffen, wer kann ihn richten, wenn die Sonne untergangen ist.“ (Bertolt Brecht)
In Michael Thalheimers Wiener Wald-Inszenierung bleibt die Bühne lange kalt – wie zur Hochzeit der Hendl-Hysterie, französisch poulet frit à la viennoise, die deutsche Hausfrau. Wir erinnern uns: „Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.“ – Während An der schönen blauen Donau das Deutsche Theater orchestral überschwemmt. Die Walzerflut evoziert Herbert von Karajan im Schützengraben mit dem Reigen ringend. Die Materialschlacht musikalisch. Johann Strauß im Kugelhagel, bei vollem Saallicht. Die im Dunklen (auf der Bühne) sieht man nicht.
Endlich geht das Licht da an, wo es brennen soll. Der gutartige Fleischhauer Oskar hat lang genug getrauert und gefreit. Jetzt will er Hochzeit halten mit einer Marianne, die sich was Ausgefalleneres als einen Gesellen aus der Metzgerei vorstellen kann.
„Ideen sind die großen Verderber der Menschheit“, sagt Céline in einem Plädoyer für schlichte Lösungen. Mariannes Eigensinn geht auf ein Klischee: den Spitzbuben von der Rennbahn, mit viel Raum zur Entfaltung auch bei einer Witwe. In der „Stillen Straße“ führt Witwe Valerie ihren Laden. Was will man mehr.
Marianne wird schwanger von Alfred, dem Angeber. Die Angelegenheit bricht dem frommen Schlachter das Herz. Davon ist er überzeugt: Marianne „kann meiner Liebe nicht entgehen“.
An einer Stelle im Stück muss sich Valerie als „fünfzigjähriges Stück Scheiße“ beschimpfen lassen von einem Angelus Novus des Nationalsozialismus. Moritz Grove spielt den Knilch als zu seinem Vergnügen exerzierenden Ersatzliebhaber. Interessant ist, wie Almut Zilcher als Valerie die Beleidigung wegsteckt, der Mann wird nicht ernst genommen.
Alfred ist kein Schlechter, das Kind kommt. Er gibt „den Bankert“ ab bei seiner Mutter (Katrin Klein), die unter der Fuchtel einer Grantigen steht. Simone von Zglinicki spielt den bösen Besen, während Marianne auf den Stationen einer Verliererin den Nullpunkt ergründet. Katrin Wichmann spielt sie mit blankem Busen auf einer abweisenden Ferse der Gesellschaft. Es gibt auch Längen im Stück, wenn Peter Moltzen als Oskar mit einer Bonbonnière so herum macht als sei er im Varieté für eine Umbau-Überbrückung bestellt. Am besten gefällt mir Andreas Döhler als Alfred und tüchtiger Strizzi. Er tritt seine Ansprüche ab, damit die Spießer aus ihren Fehlern Traditionen schmieden können.
|
Schlussbeifall für die Wiederaufnahme der Geschichten aus dem Wiener Wald am DT - Foto (C) Jamal Tuschick
|
Bewertung:
|
Jamal Tuschick - 6. Oktober 2013 (2) ID 7223
GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD (Deutsches Theater, 04.10.2013)
Regie: Michael Thalheimer
Kostüme: Katrin Lea Tag
Musik: Bert Wrede
Dramaturgie: Sonja Anders
Mit: Katrin Wichmann, Andreas Döhler, Almut Zilcher, Michael Gerber, Peter Moltzen, Katrin Klein, Simone von Zglinicki, Moritz Grove, Harald Baumgartner, Henning Vogt, Jürgen Huth und Georgia Lautner
Premiere war am 29. März 2013
Weitere Termine: 19., 22., 23. 10. / 1., 13. 11. 2013
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
Post an Jamal Tuschick
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|