BAYREUTHER FESTSPIELE 2014
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Plaste und Elaste aus Schkopau
Plaudereien auf dem Grünen Hügel
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Dramaturg Patric Seibert und Bühnenbildner Aleksandar Denić im Interviewraum des Pressebüros der Bayreuther Festspiele - Foto (C) Andre Sokolowski
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Wir hatten es 2006 schon instinktiv erahnt, dass der Berliner Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz irgendwann dann auch auf dem Bayreuther Grünen Hügel einen künstlerischen Zwischenaufenthalt verbringen würde. Unsere Satire Kleiner Lauschangriff gegen die Wagners, die am Tag nach der Premiere bei den "Meistersingern" in der Volksbühne in Ostberlin zugegen waren konnte das zu ihrer Zeit zwar nicht direkt und eindeutig thematisieren, aber so ein Bauchgefühl war allenthalben da... Im letzten Jahr wurde er für die Inszenierung "seines" Ring des Nibelungen aufs Brachialste ausgebuht, die Kanonade soll weit über eine Viertelstunde angedauert haben.
Nunmehr [dieses Jahr, 2014] knallte Castorf abermals auf eine ziemlich aufgebrachte Wagnerianer-Wand, blieb freilich unverletzt und zeigte sich von der Krakeelerei sehr unbeeindruckt-frohgemut, wie das so seine lustig-schöne Art ist; und er streute sogar Handküsse auf das Charmanteste in Richtung des Parketts - wo justament die Bundeskanzlerin am Absitzen (nach einer beinah 6stündigen Götterdämmerung) gewesen war. Was trotz der allgemeinen Großaufregung allerdings - wenigstens nicht in unserer Berichterstattung - völlig untergehen sollte, war und ist: Frank Castorf scheint sich mittlerweile auch so einer Art von Fan-Gemeinde "seines" Ringes sicher sein zu dürfen, denn die jubelte und klatschte, dass es letztlich auch recht hörbar wurde. Ob die Stimmung in paar Jahren wieder kippt? [So wars ja auch beim Schlingensief'schen Parsifal.]
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Frank Castorf hätte ich sehr gern in diesem Jahr zu einem Interview verführt - es war mir leider nicht vergönnt; Freundin und Kinder hätten für ihn (an dem von mir vorgeschlagenen Termin; einem der wenigen spielfreien Tage während der Premierenwoche) absoluten Vorrang - - und so schlug mir Patric Seibert, Castorfs Assistent und Dramaturg und Schauspieler, alternativ einen Termin mit Bühnenbildner Aleksandar Denić vor. Wir trafen uns zwei Stunden vor Beginn der Wiederaufnahme der Götterdämmerung und plauderten so über Dies & Das...
"Wie wir sehen", schrieb Patric Seibert 2013 in einem lesenswerten Einführungs- und Aufklärungstext zum Ring-Konzept, "gibt es kein 'Ende der Geschichte' nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten, vielmehr ist ein neuer Krieg ausgebrochen und an die Stelle des Kalten Krieges getreten. Ein Krieg um Ressourcen, die immer knapper werden und auf die der Zugriff um jeden Preis gesichert werden muss. In diesem Krieg, der auch ein Informationskrieg ist, sind alle Mittel erlaubt, denn die Interpretationsgewalt über die Geschichte behält der Sieger - so werden Fakten veränderbar, Bilder retuschierbar - die Realität fragwürdig.
Deshalb ist Geschichte auch nicht unbedingt linear zu denken. Wie beim Zappen oder Surfen, wird das Fragment immer mehr zum Fanal der Freiheit [...] nur eine diskontinuierliche Erzählstruktur kann einer so fragmentarisierten Welt gerecht werden." (Quelle: bayreuther-festspiele.de)
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Mount Rushmore-Motiv im Siegfried-Bühnenbild bei den Bayreuther Festspielen 2014 - Foto (C) Aleksandar Denic
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Lieben Sie Wagner?
Aleksandar Denić: Ja. Mein erster Kontakt mit Wagner war, als ich 15 oder 16 war. Es gab damals ein großes und wichtiges Filmfestival in Belgrad, als Jugoslawien zwischen den beiden Blöcken stand. Und die größten Filmstars kamen zu dem Festival. In dem Jahr (ich glaube sogar, ich war da noch jünger) gab es Apocalypse Now, und ich war vollkommen erstaunt über diese Musik [= Hubschrauberanflug als Walkürenritt, a.so.], später habe ich mich dann näher damit beschäftigt und so alle Opern von Richard Wagner kennengelernt, doch Apocalypse Now - das war der Köder am Angelhaken.
Wie haben Sie sich dem Ring genähert, hörend, lesend oder live?
A.D.: Ich habe mir keine anderen Produktionen angeschaut - ich bin sowieso etwas faul, mir das, was so andere Leute machen, anzuschauen. Ich habe mir den Ring viel angehört, ich habe seinen Text gelesen... Ich verhalte mich nicht wie ein sogenannter Künstler. Ich versuche intuitiv an die Sachen heranzugehen, das hat bisher für mich am besten funktioniert. Um es ein bisschen einfacher zu erklären: Wenn man ein Maler ist, und wenn man abstrakte Kunst macht, ist man meistens intuitiv, und man vermag nicht mehr darüber zu sprechen, wie es dazu kam; also ich benutze ganz viel Intuition, wenn ich mich künstlerischen Dingen nähere.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Frank Castorf?
A.D.: Wir sind uns zufällig in Belgrad in Serbien begegnet, ungefähr vor fünf oder sechs Jahren. Er war dort gerade wegen Verhandlungen zu einer Koproduktion zwischen der Volksbühne Berlin und dem Nationaltheater Belgrad. Die dortige Schauspieldirektorin lud mich zu einer Party ein. Normalerweise bin ich nicht so der Party-Mensch, aber ich bin da hingegangen. [...] Und die Themen, über die wir sprechen, sind immer ganz weit entfernt von dem, was wir künstlerisch gerade machen. Und das mag ich sehr, dass es, wenn wir miteinander sprechen, nicht unbedingt um die Arbeit geht, sondern meist um alles andere als die Arbeit.
Hatte Frank Castorf konkrete Wünsche an das Bühnenbild zum Ring, oder waren Sie da völlig frei?
A.D.: Ab dem ersten Moment unserer Zusammenarbeit bemerkte ich, er brauchte einen Impuls. Einen Impuls, um seine Fantasie zum Arbeiten zu bringen. Er verliert nie Zeit, und vom ersten Moment an macht er konkrete Dinge, also er probiert nicht groß herum. Auch ist er Jemand - und das mag ich so sehr - mit einer starken Intuition und intuitiven Kraft. Ich versuchte also, für ihn einen Spielplatz zu [zimmern], einen gut eingerichteten Spielplatz mit Millionen von [spielerischen] Möglichkeiten. Und selbst wenn es eine Million Möglichkeiten dort für ihn gibt, findet er immer noch die eine Million und einste Möglichkeit, die man zusätzlich mit ihnen spielen kann. Das alles ist ein großer Spaß für ihn und mich, und das mag ich sehr.
Stichpunkt Alexanderplatz: Waren Sie früher als Kind oder als Jugendlicher mal in der DDR und in Ostberlin?
A.D.: Nein, nein. Aber ich habe [freilich] einen ähnlichen Hintergrund, ich komme aus Jugoslawien, und unser Alltag war eine Mischung aus Ost und West, und ich erinnere mich noch gut an all die Plasteprodukte aus der DDR, die auch in Jugoslawien ein Teil unseres Haushaltes waren und die alle aus der DDR stammten. Meine Erfahrung aus der Filmindustrie ist, dass, wenn ich irgenwie einen konkreten geografischen Punkt oder eine Zeit beschreibe, ich vorher eine sehr gründliche Recherche mache über diese Zeit und über diesen Ort.
Und trotzdem die Frage jetzt, wie ist es zu dem Bühnenbild vom Alexanderplatz gekommen, wenn Sie das nicht aus der früheren Zeit kennen - haben Sie sich das aus Fotos oder Filmen geholt, weil: es scheint ja über alle Maßen stimmig!
A.D.: Historische Fotos, Dokumentarfilme... man kann eigentlich alles finden, was man möchte. Mit Beginn des Rheingolds wollten wir die Zuschauer bei der Hand nehmen und mit ihnen eine Reise unternehmen, und unsere Geschichte wurde auch zu einer Geschichte über das Öl; und da gab es keinen besseren Platz als das Texas in den Siebziger oder Achtziger Jahren. Goldene Zeit, große Autos, viel Geld - und dann [in Walküre] schauten wir uns den Anfang [vom Öl] an, gingen nach Aserbaidshan, zurück in die Gründerzeit, in das Land des Feuers, zum Beginn der Industrialisierung und wo alle um das Öl gekämpft hatten. Aufgrund des Geizes und des Hungers nach dem Schwarzen Gold - und da gibt es eben auch politische Anspielungen - ging der Systemwechsel natürlich auch über Aserbaidshan, die russische Revolution, kurzum: Das Ziel ist das gleiche, das Schwarze Gold, nur die Besitzer wechselten... Siegfried wiederum war eine Reflexion auf Gier und Krieg nach und um das Schwarze Gold. Die Welt bestand plötzlich, nach dem Zweiten Weltkrieg, in zwei Teilen. Wer auch immer gegen wen jetzt kämpfte, baute immer irgendwelche Mauern, in Mexiko, im Gaza... überall wurden und werden Mauern gebaut. Aber die erste Mauer war halt in Berlin! Und das ist der Grund, warum Berlin-Alexanderplatz (eine Art Frankenstein-Version einzelnen und berühmter Versatzstücke vom Alexanderplatz) die für mich beste Metapher für die geteilte Welt bedeutete.
Das kommt auch bei den Leute hier [in Bayreuth] sehr gut an, das konnte man dann deutlich hören...
A.D. (lacht): Das ist aber deren Problem.
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Alex-Versatzstücke im Siegfried-Bühnenbild bei den Bayreuther Festspielen 2014 - Foto (C) Aleksandar Denic
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Und ich befragte Aleksandar Denić unter anderem auch nach der atemberaubenden Höhe seines spektakulären Bühnenbildes; es gäbe Teile, die über 15 Meter hoch seien. "Manche, die unter dem Bühnenportal durch müssen, haben 12 bis 15 Meter Höhenunterschied von unten. Als ich zum ersten Mal hier war", erinnerte er sich, "habe ich mir die Bühne genau angeschaut und dachte mir, Herr Wagner würde sehr glücklich gewesen sein über dieses riesige Portal, dass er ja sicherlich absichtlich so gewollt hatte."
"Ich dachte", fragte ich außerdem, "am Ende des 1. Aktes von Siegfried würde es eine Bücherverbrennung geben, zum Anfachen des Schmiedefeuers, und da war ich dann etwas enttäuscht, dass Patric Seibert der Puster war, und jetzt wollte ich fragen, ob unter den Büchern die rote bzw. blaue Marx-Engels- und Lenin-Gesamtausgabe des früheren Dietz Verlages war?"
Patric Seibert: "Mime versucht immer wieder, die Klassiker des Marxismus-Leninismus zu ordnen. Siegfried wirft das dann alles über den Haufen, meint, man käme mit Ideologie hier übrhaupt nicht weiter, es muss also alles weg - und das ist natürlich auch die Dialektik des Bühnenbildes: Auf der einen Seite haben wir Mime mit den Ideologien, und auf der anderen Seite halt den Alexanderplatz als Inbegriff des real existierenden Sozialismus."
Und was das für Zeitungsausschnitte, die Alberich im zweiten Siegfried-Akt geklebt hatte, waren, wollte ich wissen.
Da gehe es eher darum, antwortete Patric, dass Alberich sich auf dem Laufenden halten wollte, "er will natürlich wissen: Was ging [seit ihm der Ring von Wotan abgeluchst war] vor in dieser Welt." Die Zwerge seien ja Technologen, und sie versuchten das Alles über den Intellekt zu lösen...
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Links die New Yorker Börse - rechts Plaste und Elaste aus Schkopau - - das Alles kann man sehen in dem Götterdämmerungen-Bühnenbild zu den Bayreuther Festspielen - Foto (C) Aleksandar Denic
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Ich wollte ferner wissen:
"Dieses Publikum hier besteht ja zu großen Teilen aus Reichen, aus Rentnern und verkappten Nazis. Und das kann ja nicht das Wunschpublikum für Sie gewesen sein. Wenn man sich also jetzt wünschen könnte, vorausgesetzt man würde Freikarten ausgeben, was für ein Publikum könnten Sie sich für Ihren Ring vorstellen - ich weiß, es ist eine absurde Frage, aber ich stelle sie trotzdem."
Aleksandar Denić: "Wenn ich ein Theater hätte, dann wäre ich mir sicher, würde ein Publikum, das ich mag, dorthin kommen. Für mich ist es seltsam festzustellen, dass es ganz klar zu seien scheint, dass es hier [in Bayreuth] Menschen gibt, die es wirklich hassen, was wir da gemacht haben. Als wir uns letztes Jahr vor dem Vorhang 20 Minuten lang verbeugt hatten, fühlte ich einen unglaublich starken Hass aus dem Publikum. Das war keine Kritik an unserer künstlerischen Arbeit, sondern nur Hass. Mein Gefühl ist - und ich weiß nicht Bescheid über die Struktur der Leute, weder politisch noch gesellschaftlich oder was ihr Geld betrifft; ich mache mir da auch keine Gedanken - also mein Gefühl war und ist, hypothetisch (!): Mit dem Ticket, was sie da ausgehändigt bekamen, waren sie sozusagen bewaffnet; und hätte man zu diesem Ticket jeweils auch noch eine Pistole ausgeteilt, hätten sicher zehn Leute nicht gezögert, diese zu benutzen."
Ob er das emotional ausblenden oder verdrängen könnte?
"Als Künstler", meinte er darauf, "ist es unsere Pflicht, Fragen zu stellen. Zu provozieren. Aber wenn das Publikum dadurch irritiert ist, ist es ein Problem des Publikums. Aber Emotionen auszulösen ist [immer] das Beste, was man in diesen modernen Zeiten tun kann. Wir verlieren ja immer mehr die Möglichkeit, unsere Gefühle voreinander auszudrücken. Ob jemand glücklich ist oder traurig, ob er lacht oder weint oder ob er schreit - all das sind Emotionen. Und hier gibt es halt ein paar Leute oder Typen, die jedes Jahr herkommen, um halt das Alles schlecht zu finden und herum zu schreien, und diese Leute sollten auch mal darüber nachdenken, was um sie herum eigentlich so alles vorgeht, in ihrem persönlichen Gesichtskreis, und wo ihre Frustrationen eigentlich wirklich liegen, die sie hier dann rauslassen... Was sonst können sie außer lauthals Buh zu rufen!" Das wäre natürlich ein Ausdruck ihrer eigenen Schwäche... "Oder", spitzte er ironisch zu, "als kleinen Spaß aus unserem postsozialistischen Backround heraus - vielleicht gibt es tatsächlich Jemanden, der extra hierher kommt und die Leute dazu anfeuert, dass sie einen in Gang gesetzten [künstlerischen] Prozess aufhalten oder stoppen sollen?"
Ich verschärfte die Vermutung dahingehend, dass es auch ein deutsch-deutscher Konflikt wäre, der sich hier, speziell an diesem so geschichtsträchtigen Orte, manifestest Luft machen würde à la "Ihr scheiß Ossis - was wollt ihr hier?"
Aleksandar Denić, beschwichtigend: "Aber es ist EIN Land! Ich hatte in der vorletzten Vorstellung eine Kanzlerin gesehen - eine Kanzlerin von EINEM Land. Und ich wäre neugierig darauf, was sie zu dem meinte, was sie sah."
[Das Gespräch fand zweisprachig statt; in das/aus dem Englische/n dolmetschte freundlicher Weise Patric Seibert. Vielen Dank!]
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Andre Sokolowski - 3. August 2014 ID 7984
Weitere Infos siehe auch: http://www.aleksandardenic.com
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
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