Wuttke!
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Martin Wuttke in der Titelrolle der Frank-Castorf-Inszenierung Die Krönung Richards III. von Hans Henny Jahnn am Burgtheater Wien - Foto (C) Georg Soulek
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Bewertung:
Den Romancier Hans Henny Jahnn (1894-1959) empfinde ich - seither ich seine Trilogie Fluss ohne Ufer (bisher) dreimal las - als monolithisch; und ich "kenne" keinen Dichter, nicht von früher und auch nicht von heute, der sich sprachlich mit ihm messen oder gar vergleichen lassen könnte. Jahnn'scher Wörter-Odem hat was Graunebelgeworden-Feuerbreiiges, er wirkt wie protestantische Musik, also er liest und hört sich so als wäre er eine zu Stein erkaltete Materie - aus verbrannten Eingeweiden, beispielsweise.
Auch zig Stücke weist sein Werkverzeichnis aus; mit ihnen fing er eigentlich dann an zu schreiben - für seinen Pastor Ephraim Magnus kriegte er als 25jähriger den Kleist-Preis zugesprochen.
Jahnns künstlerischer Ansatz ist von kreatürlich-animalischer Natur. Es geht in seinem Oevre schwerpunktmäßig um das "Tier im Menschen". Und er hat hierfür ein Subwissen parat, das ihn mitunter mehr als Hausarzt und Human-/Veterinärforscher statt bloßen Literaten (oder Orgelbauer, der er schließlich auch noch war) ausweist. Die Art von Liebe, die er auszusenden meinte, trifft den Menschen wie das Tier zu gleichen Teilen. Seine Fantasie verlor sich auch in Blutaustausche, und sein "späterer" und offizieller Pazifismus hat selbstredend viel mit Lebenskreisläufen zu tun; er resignierte freilich, wenn er sagte: "Es ist wie es ist, und es ist fürchterlich."
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Dem Regisseur Frank Castorf scheint - nicht erst seit heute - ziemlich stark an dererlei [s.o.] inszeniererisch gelegen: "Es gibt so viele Widersprüchlichkeiten in unserer offiziellen politischen Moral, dass mir solche gespaltenen Figuren, und dazu gehört natürlich auch Hans Henny Jahnn selbst, sehr nah sind. Ich finde das Stück einen interessanten Bastard.“ (Quelle: burgtheater.at.)
Gemeint ist Die Krönung Richards III., und Castorf hatte sie im vorigen Jahr am Wiener Burgtheater als österreichische Erstaufführung auf die Bühne gebracht [zu schreiben ist hier über die 2015er Wiederaufnahme dieser Produktion - gesehen am vergangenen Sonntag].
"Man sagt, Richard sei bucklig und hässlich gewesen. Dieses körperliche Bild ist in der expressiven Beschleunigung bei Hans Henny Jahnn auf einer ganz anderen Spur – es ist von der Historie abgelöst und zeigt ein psychisches oder erotisches Phänomen, oder auch ein Zeitphänomen des 20. Jahrhunderts." (Quelle: dto.)
Und der Castorf hebt dann auch, sehr prompt und folgerichtig, auf so Diktatoren-Einzelfälle wie diejenigen von Hitler oder Stalin ab... Und folgert:
"Es gibt immer einen Hauptprotagonisten, aber alleine hätte ein Hitler die industrielle Vernichtung von Menschen nicht geschafft - wenn nicht die Voraussetzung dagewesen wäre, dass so ein hitlerisches Gedankengut vorhanden war. Und deshalb ist auch hier die Frage: Wieviel Gedankengut davon ist in jedem von uns vorhanden? Wie verrückt ist da jemand? Ist das eine Provokation? Passiert einem das? Ist das ein psychopathologischer Zug? Wie sehr sind Richard und die anderen Figuren Herr ihrer Sinne? Ist es das Unterbewusstsein? Etwas Religiöses, was sich im Traum offenbart? Es sind Dinge, die sich unserer einfachen Zuordnung entziehen." (Quelle: dto.)
Das weit über 200seitige Stück liest sich, so wie alle Jahnn-Dramen, als prosaische Orgie. Seine Dialoge sind so derart bildlich (filmisch!), dass sich eine "Illustration" auf offener Bühne eigentlich erübrigen könnte - und dennoch muss ihr Dichter sie ja für die Bretterböden ausbedungen haben; sonst hätte er sie nicht als Stück verfasst. Könnte man meinen.
Castorf sollte eine Lösung für sich finden, um aus all dem Wust an Text (und aus dem Überangebot des Odems Sprache!!) das nach seiner Meinung "Übertragenswerteste" ins Heute & zu uns herauszufiltern...
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Markus Meyer, Marc Hosemann und Martin Wuttke in Frank Castorfs Wiener Inszenierung Die Krönung Richards III. von Hans Henny Jahnn - Foto (C) Georg Soulek/Burgtheater
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Und so ließ er "seine" Volksbühne-Protagonisten Martin Wuttke (als Richard III.), Sophie Rois (als Elisabeth) und Marc Hosemann (als ?) in die Burg einfliegen, dass sie ihm zuvörderst und in der vertrautesten Manier zu Hilfe sind und mit ihm sehen/nachgestalten, was denn dieser Jahnn mit seinem Richard wirklich will...
Was diesmal völlig ungewöhnlich - und doch eigentlich abhold der Castorf'schen Ästhetik - war: Der O-Text resp. der von Castorf ausgewählte O-Text Jahnns blieb (gottlob!) unbeschadet! Diesbezüglich machte er's auch den vereinzelt eingesetzten Wiener Burgtheater-Stars nicht schwer, sich seinem unfertigen-fertigen Regie-Konzept mit spielerischen Verves und vortragstechnischen Brillanzen anzudienen - all'n voran die Burgtheater-Leuchtikone Ignaz Kirchner (als Narr Marc und Orgelbauer Urban Heußler)!!
Ja und weil an einer klitzekleinen Stelle aus dem Ersten Akt der Jahnn-Tragödie beispielsweise kurz von Afrika die Rede ist, erweiterte der Zauberregisseur die Vorlage um imposante Voodoo-Bilder und -auftritte Moussa Baba's oder and'rer Gäste aus dem Schwarzen Kontinent; es war dann mehr und mehr aus Heiner Müllers Auftrag zu erlauschen, wo es ja z.B. auch um Jamaikanerinnen oder Jamaikaner geht...
Grandiose Drehbühne und Haute Couture Bert Neumanns!!!
Und den Wuttke hatte ich noch nie so erstklassig erlebt.
[Ich fragte in der Pause die Souffleuse, ob die von mir kurzweilig erlebten und noch zu erlebenden 4,5 Spieldauer-Stunden in der Vorjahrsfassung auch "so kurz" gewesen waren, worauf sie zu antworten sich nicht authorisiert fühlte; ich dachte aber schon, dass ich im Vorjahr was von 5 bis 6 Spieldauer-Stunden mit 2 Pausen irgendwo dann aufgelesen hätte, oder?]
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Andre Sokolowski - 10. Februar 2015 ID 8424
DIE KRÖNUNG RICHARDS III. (Burgtheater Wien, 08.02.2015)
Regie: Frank Castorf
Bühne und Kostüme: Bert Neumann
Licht: Lothar Baumgarte
Sounddesign: Raimund Hornich
Dramaturgie: Amely Joana Haag
Mit Martin Wuttke, Ignaz Kirchner, Fabian Krüger, Jasna Fritzi Bauer, Oliver Masucci, Marcus Kiepe, Hermann Scheidleder, Dirk Nocker, Sophie Rois, Markus Meyer, Marc Hosemann sowie Moussa Baba, Azamat Chabkhanov, Jovita Domingos-Dendo, Robin Furlic, Simon Jung, Anasiudu Kenechukwu, Tobias Margiol, Bernhard Mendel, Adam Nakaev, Marie-Christiane Nishimwe, Christoph Prochart und Philipp Schwab
Premiere war am 12. März 2013
Weiterer Termin: 1. + 15. 3. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.burgtheater.at
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
CASTORFOPERN
Pastor Ephraim Magnus (Deutsches Schauspielhaus Hamburg)
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