Thema:
Eifersucht
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Bildquelle: Schauspielhaus Zürich
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Bewertung:
Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett ist die erste Regie-Arbeit Frank Castorfs nach seiner Dethronisation als Künstlerintendant der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Sie erfolgte im putzigen Zürich, 671 Kilometer Luftlinie von Castorfs viertelhundertjährigem Hauptwirkungs- und -ausstrahlungsort entfernt. Sie wies zum Einen das für ihn so unverwechselbar-gesamtkunstwerklich Art-Typische auf, zum Anderen war sie diesmal bestimmt von 'nem gelassen-distanziert wirkenden Gleichmut à la 'Macht doch drüben was ihr wollt, ich kümmere mich hier und heute um was Substanzielleres' - - gesagt, getan.
Zum Generalthema seines Schweizer 3,8-Stünders [der mittlerweile sechsten Castorf-Inszenierung am Schauspielhaus Zürich; zuletzt gab's in 2012 Kafkas Amerika] bestimmte er: die Eifersucht.
"Sankt Petersburg, eine abendliche Straßenszene: ein herrschaftlicher älterer Mann im Waschbärenpelz redet verworren auf einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen ein, der vor einem Mietshaus auf das Erscheinen seiner heimlichen Geliebten wartet. Der ältere Herr bezeichnet sich selbst als Junggesellen und als einen 'Unzurechnungsfähigen, einen fast Wahnsinnigen'. Tatsächlich ist er besessen und nicht minder gedemütigt von seinem Verdacht, alsbald seine Ehefrau mit ihrem Liebhaber in flagranti zu ertappen, und gerät auf seiner Verfolgungsjagd in zunehmend absurde Situationen."
(Quelle: schauspielhaus.ch)
Als Rohstoffquellen dienten zwei Erzählungen von Dostojewskij - nämlich die vom analogen Stücktitel sowie Der Traum eines lächerlichen Menschen. Schon in Castorfs allerletzter Arbeit an der Volksbühne [Ein schwaches Herz] griff er auf Unbekannteres des russischsten aller Seelensezierer zurück; an fasthin allen Großbrocken von seinem Lieblingsdichter hatte er sich nunmehr ja seit 1999 abgekämpft, nach den Dämonen, dem Idioten, Schuld und Sühne, dem Spieler, den Brüdern Karamasow blieb jetzt eigentlich "nur noch" das Totenhaus abzuerledigen - das nimmt er sich mittels der Janáček-Vertonung nächsten Sommer an der Bayerischen Staatsoper in München vor... Was für ein aufreibendes Künstlerleben! Was für eine Hatz!!!
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Seit der Premiere wurde/wird das Stück über drei Wochen lang fast jeden Abend von den sechs Parade-Mimen Kathrin Angerer, Gottfried Breitfuss, Robert Hunger-Bühler, Johann Jürgens (der zudem gut Cello spielt!), Ilona Kannewurf und Robert Rožić (die zudem "ägyptisch" tanzen!!) sowie Siggi Schwientek auf das Kraft- und Lustzehrendste abgespielt - wer das mit und für Castorf tut, muss ihn wohl vorbehaltlos lieben; anders kann ich es mir nicht erklären. Es geht - neben allem Auch-Ernst, den die eine oder andere Passage der gewählten Textvorlagen halt so bietet - diesmal überwiegend heiter und beschwingt zu; Castorf ist ja auch ein meisterlicher Slapsticker.
Meine Top-Lieblingsszene, die wahrscheinich auch die Schlüsselszene zum Gesamtverständnis jenes theatralischen Gesamtertrags zum Thema Eifersucht darstellen sollte: Unten Hunger-Bühler/Jürgens, der durch körperliche Enge wie zwei Siamesen aussehende Doppel-MANN UNTER DEM BETT - oben Schwientek & Angerer, der schwindsüchtige alte Gatte & seine DIE FREMDE FRAU-Gattin - - dazwischen bellt ein dicker weißer Schoßhund, der wie eine Mutation aus Hund von Baskerville und Schweigen der Lämmer-Pudel aussieht. Und das alles hochperfektionistisch durch Andreas Deinert's Live-Kamera-Leute in perfekten Nahaufnahmen passgenau (mit je 3 Einstellungen, mindestens) auf Castorfs obgligatorische Großleinwand gepinnt. Zum Brüller, ja, da blieb kein Auge trocken!!!
Star-Bühnenbildner Aleksandar Denić baute stilecht eine von ihrer Terrasse aus begeh- und bewohnbare Datsche in die Zürcher Schiffbau-Box. Rechts in der Ecke stand dann noch ein kleines Wohlfühl-Holz-Klo, wo die Darstellenden ab und zu geschützt verweilen konnten. Top-Clou allerdings, dass urplötzlich der Fußboden in der Ummaßung eines Doppelkreuzes aufgebrochen werden konnte und die selbige Vertiefung einen futuristisch aussehenden Swimmingpool (mit reichlich Wasser drin!) frei legte; hierin planschte dann als erster Gottfried Breitfuss, der die unergiebig-ellenlangen Traum-Passagen des ihm anvertrauten Lächerlichen Menschen Stück um Stück zu deklamieren hatte; Angerer und Rožić taten sich was später ebenfalls im Doppelkreuzerbad noch kurz erfrischen...
Ja und als man irgendwie dann keine rechte Lust mehr auf die Weiterausfransung aller noch möglichen Ver-Handlungen verspüren wollte, meldete sich Castorf höchstpersönlich (via abgespultem O-Ton) märchenonkelhaft zu Wort, indem er Dostojewskijs Schlusssatz aus der Fremden Frau zitierte - ich zitiere aus der 1981er Werkausgabe des Berlin-Weimarer Aufbau-Verlags:
"Doch hier verlassen wir unseren Helden bis zum nächsten Mal, denn hier beginnt ein völlig neues und andersartiges Abenteuer. Irgendwann, meine Herrschaften, erzählen wir Ihnen all die Nöte, all die Schicksalsschläge, die ihn trafen, zu Ende..."
Es klang fast wie eine Drohung.
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Andre Sokolowski - 14. Oktober 2017 ID 10315
DIE FREMDE FRAU UND DER MANN UNTER DEM BETT (Schiffbau/Box, 11.10.2017)
nach der gleichnamigen Erzählung sowie der Erzählung Der Traum eines lächerlichen Menschen von Fjodor M. Dostojewski in einer Bühnenfassung von Frank Castorf
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Videokonzept und Live-Kamera: Andreas Deinert
Zweite Live-Kamera: Seraina Scherini
Live-Schnitt: Andi A. Müller und Vanessa Püntener
Tonangel: Mira Hirtler
Licht: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Amely Joana Haag
Souffleur: János Stefan Buchwardt
Inspizienz: Ralf Fuhrmann
Mit: Kathrin Angerer, Gottfried Breitfuss, Robert Hunger-Bühler, Johann Jürgens, Ilona Kannewurf, Robert Rožić und Siggi Schwientek
Premiere am Schauspielhaus Zürich: 1. Oktober 2017
Weitere Termine: 15., 22.-24., 26.10.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielhaus.ch
http://www.andre-sokolowski.de
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