Henry Hübchen und 8 weitere Volksbühne-Puppen
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Baumeister Solness - Plakat (C) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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Bewertung:
Vor drei Jahren war ich letztmals Ibsen auf der Bühne sehen - da lief (hier am Hause) Rosmersholm; das hatte damals Haußmann inszeniert...
Im Allgemeinen langweilen mich Ibsen-Stücke, freilich nicht so sehr wie Tschechow-Stücke, aber doch ganz schön. Sie haben "beide" (Lese-)Längen, dass es schon von daher - also rein lektüremäßig - kaum mehr auszuhalten ist. Ich hatte, als ich sie vor Jahren und Jahrzehnten dann noch eifrig lesen tat, dann jedesmal das überwiegend lähmende Gefühl eines (vom Lesen her) Nicht-rasch-genug-zu-Potte-Gekommenseins; ja und ich schuldete und schulde diesen "Vorwurf" halt dem unsäglichen Schriftbrei, der sich da vor meinen (lese-)müden Augen unentwegt-unendlich ausbreitete - o wie wohlsam kurz & knapp da doch allein das Schriftbild von den Müller-Stücken, beispielsweise, ist!
Nichts desto Trotz bin ich selbstredend dennoch ein gelegentlicher Ibsen-Stücke-Seher = Johann Gabriel Borkmann (Schaubühne am Lehniner Platz, 2009), Ein Volksfeind (Nordische Botschaften, 2006) und Baumeister Solness (Maxim Gorki Theater, 2006) hatte ich [um die drei Beispiele zu nennen] schon gesehen...
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Nun also sollte das Kennenlernen einer aktuellen Volksbühnen-Sichtweise von Frank Castorf (frei "nach Henrik Ibsen", wie es in den Ankündigungen zu lesen stand) dazu kommen:
Der Baumeister am Rosa-Luxemburg-Platz ist Marc Hosemann (!), dessen sportives Durchhaltevermögen (während der vier Stunden Spieldauer) sowie vorzüglich durchtrainierten Körper ich bewunderte!! Dass er dann auch - wie alle anderen - Massen an Text (das meiste hiervon sicherlich von Castorf selbst Hinzugefügte und -gedichtete; man hätte sich da spaßenshalber mal das Neu-Skript etwas näher zu Gemüte führen sollen, ja und eigentlich hätte man bloß dann der Souffleuse während ihrer schweißtreibenden lauten Flüstertätigkeiten während der von mir erlebten Aufführung über die Schultern sehen brauchen, hätte man dann vorsorglicher Weise in der 2. Reihe Position bezogen) lernend zu bewältigen und schließlich herzusagen hatte, darf als unbedingtes Sonder-Plus (!!!) noch obendrein Markierung finden...
Kathrin Angerer als Hilde Wangel sowie Daniel Zillmann als Aline Solness [später noch als Ragnar Brovik] sind die beiden WeggefährtInnen von Halvard Solness. Ihre schauspielernde Quasi-Doppelhauptpräsenz muss als ein komödiantisch nicht zu überbietendes Volksbühnen-Highlight der vergangenen und anhaltenden Jahre und Jahrzehnte nachklassifiziert werden - Castorfs Figurenzeichnungen und -aufstellungen werden hier zum absoluten Glücksfall und führen, zusätzlich-insgesamt, zu einer so nie oder selten dagewesenen oder (konkret und aktuell durch mich) erlebten Kurzweil; es ist einfach rampensaufhaft irre-gut gemacht!
"Der Mensch - im damaligen Vokabular von Henrik Ibsen - ist ein Seil, geknüpft zwischen dem Durchschnittsmenschen und dem Baumeister. Wie die Frist nutzen, die uns ein paar kurze Seins-Jahrzehnte auf dem Planeten gewährt? In der Allgemeinheit bis zur Rente mitlaufen, oder selbst das Außergewöhnliche, das Geniale probieren, alle kleinmachenden Bauvorschriften überschreiten und eine Akropolis in der Höhe des Shanghaitowers errichten, deren Spitze den Kosmos berührt?" fragt Castorfs Dramaturg Sebastian Kaiser in dem fulminant geschriebenen Essay, das auf der hausinternen Website zu dem Stück-Projekt zu finden ist.
Und also geht es ca. (mindestens) 50 Prozent in Castorfs Baumeister auch um den unermüdlich und konstant schaffenden Baumeister der Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz sprich den Baumeister und Intendantenregisseur höchstselbst; man spricht sich bald fast nur noch bei den bürgerlichen Vornamen und nicht etwa mehr "so als Rolle" an. Eine der Brüller-Szenen dieser interfamiliären Riesen-Chose war dann beispielsweise jener nachgerade Anbetungs- und Vollverherrlichungsmoment, als Kathrin Angerer es mit der Henry-Hübchen-Puppe (aus der Sammlung mit den 9 "mitwirkenden" Kollegenpuppen in der 1. Reihe im Parkett) rein monologisch trieb - - die Parallele zwischen Hilde/Halvard (12jährige Göhre himmelte den Vatertypen an) wurde selbstredend auch von mir sofort erschlossen und begriffen...
Bert Neumanns naher und zum Schluss in den Orchestergraben rein "versenkter" Bühnenbau mit Küche (links) und Wohn- und Arbeitszimmer (rechts) ist aufregend und imposant; ständig passiert dann irgendwas aus Richtung Wand (mit überraschend sich eröffnenden und abwandelnden Stauräumen!) - zudem seine Kostüme!! Daniel Zillmann, der Frau Solness spielt, bekommt in dem Zusammenhang die meisten und spektakulärsten ab.
Volker Spengler als Knut Brovik hat einen zwar kurzen aber umso einprägsameren Eröffnungsauftritt; er ist arg damit beschäftigt, seine beiden Zahnprothesen kukident-drei-Phasen-haftig zu verkleben... Horst Lebinsky (Dr. Herdal) muss etwas dement herüberkommen; jedenfalls wird ihm sein Sprechtext unaufhörlich und unleise zugeraunt... Jeana Paraschiva (Kaja Fosli u.a.) bringt eine wie auch immer zu verstehende ost-/außereuropäische Gewichtung in das Spiel...
Und wie es halt bei echten großen Opern üblich ist, scheint nun auch diese Castorfoper hier partout nicht aufhören zu wollen; und es zieht und zieht und zieht sich also immer weiter hin / letztlich (indem der Bühnenaufbau, der zuvor erst abgesenkt wurde, nun wieder hoch steigt und das Alles wohl von vorn beginnen soll) sagt Daniel Zillmann sinngemäß: "Wir haben Zeit."
Bloß nicht verpassen!!!!!
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Andre Sokolowski - 1. Juni 2014 ID 7871
BAUMEISTER SOLNESS (Volksbühne Berlin, 31.05.2014)
Regie: Frank Castorf
Bühne und Kostüme: Bert Neumann
Licht: Lothar Baumgarte
Ton: Klaus Dobbrick
Dramaturgie: Sebastian Kaiser
Mit: Kathrin Angerer, Marc Hosemann, Horst Lebinsky, Jeana Paraschiva, Volker Spengler und Daniel Zillmann
Premiere war am 28. Mai 2014
Weitere Termine: 6., 13., 27. 6. / 3. 7. 2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
CASTORFOPERN
Siehe auch: La Cousine Bette (03.05.2014) || Der Geizige (09.05.2014)
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