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Debatte

Klischeeverbot

Einfache Antworten und Vulgärfeminismus



1.

Dass sich im Film in seiner 125jährigen Geschichte rassistische, nationalistische, frauenfeindliche Klischees gefestigt haben, ist keine neue Erkenntnis. Neu ist, dass man darüber streitet, ob man Filme mit solchen Klischees in den Giftschrank sperren, sie verbieten soll, ob man sie in ihrer historischen Bedingtheit kommentieren soll, oder ob man auf die Urteilsfähigkeit heutiger Zuschauerinnen und Zuschauer vertrauen und hoffen soll, dass sie keine unerwünschte Wirkung ausüben.

Bemerkenswert freilich ist, dass der Konsens unter den Befürwortern von Verboten selektiv ist. Was gerade abgelehnt, bekämpft, bei jeder Gelegenheit rhetorisch beschworen wird, scheint zeitabhängig, von – wohlmeinenden oder auch populistischen – „Opinion Leaders“ vorgegeben zu sein. Das Nachplappern von gerade konjunkturaffinen Forderungen kommt dem Bedürfnis nach einfachen Antworten entgegen, entspricht dem schlichten Denken der „zweiten Generation“, die komplexere Analysen der Vorkämpfer weder begreifen, noch anzunehmen bereit sind.

Man sehe sich einmal die zahllosen Verfilmungen von Robert Louis Stevensons Dr. Jekyll und Mr. Hyde an und achte auf die Maskenbilderei. Der „gute“ (und promoverte!) Dr. Jekyll sieht stets blendend aus. Der „böse“ Mr. Hyde, in den er sich verwandelt und in dessen Gestalt er Verbrechen verübt, ist „hässlich“, hat alle möglichen „Verunstaltungen“, von vorstehenden Zähnen über dichte Augenbrauen bis zum wirrem Haar. Den üblen Charakter erkennt man, nicht nur bei diesem Stoff, sondern in Tausenden von Filmen jedes Genres, am Aussehen. Die Physiognomik eines Lavater, die die Nationalsozialisten so erfolgreich reanimiert haben, lebt im Film bis heute fort. Dass sie „hässliche“ Menschen diskriminiert und denunziert, scheint kaum jemanden zu stören. Jedenfalls fordert niemand das Verbot von Filmen und auch Büchern, die hässliche Menschen als böse darstellen. Nach wie vor wachsen Kinder mit dem Bild von der „hässlichen Hexe“, also der hässlichen alten Frau auf. Nach wie vor sehen sie im Fernsehen Filme und Serien, in denen man den Bösewichten augenblicklich anmerkt, dass sie zu Mord und Totschlag, zu Betrug und Hinterlist, zu Vergewaltigung und Verrat fähig und bereit sind.

Man kann sich darauf einigen, Mammy und Vom Winde verweht aus den Kinos zu verbannen. Wie wäre es, wenn man zugleich darauf verwiese, dass Gangster und Giftmörderinnen aussehen können wie Schönheitskönige und -königinnen und dass „hässliche“ Menschen, oder was man gemeinhin dafür hält, edel, hilfreich und gut sein können, ganz ohne Sentimentalitätsbonus wie der Glöckner von Notre-Dame oder wie Cyrano de Bergerac (nicht zu reden von King Kong). Die diskriminierende Klischeebildung, das vorurteilsfördernde Stereotyp beginnt nicht erst bei der Hautfarbe und beim Geschlecht.

Es klingt wie eine Satire, ist aber wahr: Apple hat durchgesetzt, dass Filmbösewichte keine iPhones verwenden dürfen. Die Firma fürchtet einen Imageschaden. Offenbar glaubt also zumindest Apple daran, dass Filmbilder eine Wirkung haben.

Und wenn wir gerade dabei sind: Kürzlich wurde im Spiegel beklagt, dass „in Märchen oder Prinzessinnengeschichten nie oder nur sehr selten Children of Color in die Hauptrolle genommen“ werden. Recht so. Aber wo bleiben die Klagen darüber, dass in Kinderbüchern die Prinzessinnen fast immer zu den „Guten“ zählen, es aber kaum gute Revolutionärinnen gibt? Wo bleiben die Beschwerden darüber, dass in diesen Kinderbüchern Eltern stets heterosexuell sind und dass die Kinder abends zum lieben Gott beten, statt über die wahren Ursachen von Unrecht und Diskriminierung aufgeklärt zu werden? Klischees sind hartnäckig. Nicht nur in Kinderbüchern.


2.

Lady Macbeth stiftet ihren Mann zu Verbrechen an, um Karriere zu machen. Claudia Galotti schwärmt von den Aussichten ihrer Tochter Emilia: „Hier, nur hier konnte die Liebe zusammen bringen, was für einander geschaffen war. Hier nur konnte der Graf Emilien finden; und fand sie.“ Frau Miller sieht den möglichen Aufstieg ihrer Tochter Luise durch den Sohn des Präsidenten mit Wohlgefallen. Julie liebt Liliom, obwohl der sie schlägt.

Ist das Ausfluss der misogynen Frauenbilds der Autoren, oder ist es Realität um 1600, von 1772, von 1784, von 1909? Kommt es heute nicht vor, dass Frauen ihren gesellschaftlichen Aufstieg über Liebschaft und Heirat betreiben? Stellt keine Mutter die Frage, was der Freund der Tochter verdiene und ob er sie denn auch erhalten könne? Und gibt es heute keine Frauen, die Männer lieben, obwohl sie von ihnen misshandelt werden? Dass das nicht wünschenswert ist – geschenkt. Aber die Wirklichkeit ist nicht immer wünschenswert. Und in den Künsten führt die Ersetzung des Tatsächlichen durch das Wünschenswerte geradewegs in den Sozialistischen Realismus der primitivsten Sorte.

Warum das so ist, lässt sich historisch und soziologisch erklären. Die Mühe erspart man sich, wenn man die Tatsachen einfach leugnet oder als Erfindung von Frauenfeinden deklariert.

Das Bedrückende am Vulgärfeminismus ist, dass auch er, und zwar in besonderem Ausmaß, einem schlichten Denken einfache Antworten auf komplexe Fragen liefert. Sie sind von Verschwörungstheorien nicht weit entfernt. Ihre scheinbare Plausibilität gewinnen sie dadurch, dass, was sie als Quelle allen Übels gefunden zu haben glauben, ja tatsächlich existiert. Nur: es ist nicht universell und taugt nicht als Erklärung für alle Missstände. Weil es Antisemitismus gibt, heißt das nicht, dass jede Kritik an einem Juden antisemitisch ist. Weil es Homophobie gibt, heißt das nicht, dass jede Kritik an Homosexuellen homophob ist. Und weil es Misogynie gibt, heißt das nicht, dass jede Kritik an Frauen misogyn ist. Das Bild vom Patriarchen, der Frauen hasst, gehört zu den Bestsellern unter den aktuellen Klischees. Die Männer, gegen die sich #Me Too richtet, dürften zu einem großen Teil Patriarchen sein. Ach könnte man ihnen doch nur vorwerfen, dass sie misogyn seien. Wie der Prinz, der Emilia nachstellt?
Thomas Rothschild - 14. September 2020
ID 12461

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