Milanoltre –
oltre Milano
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Bewertung:
Liebhaber von zeitgenössischem Tanz kommen in Mailand einmal jährlich ganz auf ihre Kosten. Italien ist im Allgemeinen eher einem traditionell-klassischen Kunstgenuss gewogen, eher wenig innovativ. In Mailand bekommt man hin und wieder etwas Interessantes zu sehen, aber nur Milanoltre bietet im Oktober zwei Wochen lang ein reiches Programm an Vorstellungen, Workshops, Vorträgen. Und heuer erst recht! Das dreißigjährige Bestehen muss gefeiert werden.
Milanoltre ("über Mailand hinaus") - dies der Name des Festivals!
Rino de Pace, künstlerischer Leiter und Begründer von Milanoltre, erklärt es als ein Darüber-Hinausgehen - über das Traditionelle, das Banale, das bereits Bekannte. Inspirierend in diesem Sinne hatte einer der hervorragenden italienischen Schriftsteller der Nachkriegszeit gewirkt. De Pace zitiert Italo Calvino. "Es existiert ein Theater, das über mein Theater hinausgeht."
Aus dem Undergroundflair und der Schockwirkung des Beginns ist längst ein renommiertes Abendprogramm geworden, wo höchstens Einzelne diskret den Saal verlassen, wenn ihnen die Darbietung nicht zusagt.
Ein weiter Weg sicherlich, den dieses Festival in 30 Jahren beschritten hat. Das bedeutendste Festival für zeitgenössischen Tanz in Mailand war und ist immer schon ein gekonnter Mix aus internationalen Stars und einheimischer Szene.
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Rosas, Verklärte Nacht | Foto (C) Anne Van Aerschot
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Rosas/Anne Teresa De Keersmaeker stehen für Kontinuität und Gegenwart. Die Wiederaufnahme ihres 1982 kreierten Meisterstücks Fase for Movements. To the music of Steve Reich ist ein Rückblick auf ihre Präsenz beim Festival seit Anbeginn, während Verklärte Nacht [s. Foto oben] einen Ausblick auf ihr neuestes Schaffen gewährt.
Steve Reichs minimalistische Musik wird mittels obsessiver Wiederholung gesteigert und durch akribische rhythmisch-phasenverschobene Variationsschleifen prägnant versinnbildlicht – mal lyrisch mit hypnotischen Schattenspielen, mal als brutaler Drill schizophrener Bewegungsmechanik. Verklärte Nacht ist vollkommen verschieden: von Keersmaeker als ungeniert romantisch bezeichnet, ist es ein intimes Duett von starker Ausdruckskraft.
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Le Sacre du printemps | Foto (C) Marie Chouinard
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Ein weiterer Schwerpunkt des heurigen Festivals ist Marie Chouinard. An mehreren Abenden konnte sie dem begeisterten Publikum ihre Vielfalt und Einzigartigkeit beweisen. Ihre eindringliche Ursprünglichkeit ist besonders da stark, wo sie in die Sphäre der Kunst eindringt, wo sie Kunstwerke buchstäblich lebendig werden lässt.
Hieronymus Bosch und der Garten der Lüste, das Triptychon mit seinen starken Gegensätzen das irdische Paradies mit seinen melancholisch-diaphanen Figuren und die düsterste Hölle, abgrundtiefes Chaos völliger Disgregation: alles wird lebendig.
Bedeutende italienische Choreographen kommen auch zum Zug. Susanna Beltrame, die ihre Performance auf verschiedene Stationen innerhalb des Theatergebäudes aufteilt; Roberto Zappalà, der unterstreicht, dass zeitgenössischer Tanz für ihn eine philosophische Ausdrucksform ist, die dem Zuschauer weiten Raum zur Selbsterkenntnis lässt. Und Raum für Neueinsteiger braucht es auch. Mit Vetrina Italia domani/Under35in Scena haben auch sie Gelegenheit, sich zu zeigen. Wer bei diesem Festival nichts findet, das ihn irgendwie interessiert, der hat einfach kein Verständnis für zeitgenössischen Tanz.
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Sylvia Schiechtl - 19. Oktober 2016 ID 9624
Weitere Infos siehe auch: http://www.milanoltre.org
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