Grenzen und
Entgrenzungen
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Raphaël Coumes-Marquet, Jón Vallejo, Michael Tucker, Johannes Schmidt, Jan Oratynski, Fabien Voranger und Francesco Pio Ricci in Faun | (C) Martin Divisek
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Bewertung:
Zärtliche Gesten vergrößern sich zu dynamischen Bewegungen. Einzelne Bewegungsabläufe gehen über in fesselnde, synchrone Formationen einer Gruppe von Tänzern. Vier unterschiedliche Choreographien der Zwillingsbrüder Jiři & Otto Bubeníček entfachen am Bonner Opernhaus ein wahres Fest für die Augen. Das Gastspiel der tschechischen Compagnie Les Ballets Bubeníček erfrischt mit tänzerischer Finesse von enormer Vitalität und Verspieltheit.
Eröffnet wird der Abend durch die etwa 25minütigen Choreographie Le Souffle de l’esprit (dt.: Atemhauch der Seele). Während der Performance werden Werke des Malers Leonardo da Vinci großformatig auf die Bühnenwand projiziert. Vor ihren Hintergrund tanzen Jiři und Otto Bubeníček synchron, präzise und elegant zusammen mit dem Spanier Jón Vallejo. Mehr und mehr bringen sich auch die übrigen neun Tänzer in formidable Formationen zu Musik von Otto Bubeníček, Bach, Roman Hoffstetter und Johann Pachelbel ein. Während der Meister der Renaissance in seinen Porträts den ganzen Kreislauf des Lebens thematisiert, feiern die Tänzer das Leben gemeinschaftlich in all seinen Formen, die man so vielleicht nicht für möglich gehalten hätte.
Nach einer Pause folgt die etwa 24minütige Choreographie Toccata zu minimalistisch anmutender Musik Otto Bubeníčeks. Variationen des Paartanzes thematisieren die elektrisierende Flüchtigkeit möglicher Partnerschaften. In einfallsreiche Figurationen agieren die Tänzer miteinander. Eine Tänzerin (Anna Merkulova) wechselt ihre Partner im Fluge, während zeitgleich drei Tanzpaare dem Publikum unterschiedliche Darbietungen vorführen.
Faun ist mit etwa sechsminütiger Vorführungszeit die kürzeste, zugleich aber auch die eindringlichste und packendste Performance des Abends. Zu Musik von Francis Poulenc und Claude Debussy behandelt die beklemmende Choreographie Übergriffe eines Vorgesetzten an Schutzbefohlenen. Immer wieder folgt das wissbegierige Opfer (Jón Vallejo) bereitwillig einer geistlichen Aufsichtsperson und ahmt seine ausdrucksstarken Gesten tänzerisch nach. Doch bald schreckt es aufgrund der handgreiflichen Begierde des Vorgesetzten zurück und droht später gar zu zerbrechen. Der verführerische Faun (Claudio Cangialosi) selbst personifiziert das wertfreie Prinzip ungehemmte und nicht steuerbarer Lust.
Auch die letzte Vorführung des Tanzgastspiels, Das Bildnis des Dorian Gray, fasziniert durch kraftvolle Bilder. Nach dem gleichnamigen Roman von Oscar Wilde wird zu Musik von Keith Jarrett und Bruno Moretti die Geschichte des Dorian Gray erzählt, der ein Porträt seiner selbst besitzt, das altert und Folgen seiner Missetaten ausweist, während er selbst seine Jugend und Schönheit bewahrt. In dem Stück begegnen sich die bis zur Verwechslung ähnelnden Brüder Jiři und Otto Bubeníček als Ausprägungen einer zerrissenen Persönlichkeit in tänzerischen Variationen. Ihre Einheit wird durch das Zusammentreffen mit einer verführerischen Frau (Anna Merkulova) gefährdet. Tänzerisch ausgefeilt kommen im großen Gestus Meinungsverschiedenheiten zum Tragen und einer der beiden droht nachzugeben.
Eleganz, lyrische Ausdrucksfähigkeit und körperliche Höchstleistungen von formaler Präzision bezeugen die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Compagnie um die in einer Zirkusfamilie aufgewachsenen Brüder. Ein wahrhaft sehenswertes und beflügelndes Ereignis.
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Otto und Jiri Bubeníček in Das Bildnis des Dorian Gray | (C) Costin Radu
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Ansgar Skoda - 19. Februar 2017 (2) ID 9853
LE SOUFFLE DE L’ESPRIT/ TOCCATA/ FAUN/ DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY (14.2.2017, Oper Bonn)
Künstlerische Leitung: Jiri und Otto Bubeníček
Technische Leitung: Fabio Antoci
Bühnenmeister: Stefan Böhm
Inspizient: Jutta Mass
TänzerInnen: Christian Bauch, Jiri Bubeníček, Otto Bubeníček, Claudio Cangialosi, Aidan Gibson, Laurent Guilbaud, Katerina Markowskaja, Arsen Mehrabyan, Anna Merkulova, Jan Oratinsky, Francesco Pio Ricci, Houston Thomas, Michael Tucker, Jón Vallejo und Duosi Zhu
Gastspiel zu den Internationalen Februar-Tanztagen an der Oper Bonn
Weitere Infos siehe auch: http://bubenicek.eu/LBB.html
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
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