Der populäre
Nobelpreisträger
Dario Fo zum 95.
|
Dario Fo | Foto (C) D Frohman; Bildquelle: Wikimedia
|
Wenn jemand den Nobelpreis für Literatur erhält, der nicht den etablierten Vorstellungenvon „hoher Literatur“ entspricht, rümpfen die Möchtegernkritiker die Nase. Das war bei Bob Dylan so und zuvor schon bei Dario Fo.
Dabei verbindet Bob Dylan und Dario Fo das entscheidende Kriterium für Literatur im emphatischen Verständnis: Sie bedienen sich genuin ästhetischer Mittel, inklusive derFiktion, um ihre „Botschaft“ zu verbreiten. Ihre Texte, unterstützt durch Musik oder durch Schauspielkunst, wollen stets mehr sein als Mitteilung. Was, wenn nicht dies, unterschiede einen Nobelpreis für Literatur von einer Auszeichnung für Chemie, Medizin oder Ökonomie?
Der 1926 im lombardischen Sangiano in eine proletarische sozialistische Familie geborene Dario Fo hat zusammen mit der bereits 2013 verstorbenen Franca Rame, mit der er seit 1954 verheiratet war und am Piccolo Teatro von Giorgio Strehler gearbeitet hatte, ab 1959 mit einer eigenen Truppe, die Tradition des neapolitanischen Volkstheaters eines Eduardo De Filippo weiterentwickelt. Zu ihren bekanntesten Stücken zählen Nur Kinder, Küche, Kirche; Offene Zweierbeziehung und Sex? Aber mit Vergnügen! Weitere auch in Deutschland immer wieder aufgeführte Stücke sind Zufälliger Tod eines Anarchisten; Bezahlt wird nicht!; Mamma hat den besten Shit; Hohn der Angst oder Mistero Buffo,dessen Titel auf einen anderen Meister des politischen Theaters, auf Vladimir Majakovskij verweist.
Nicht die Pietät, sondern die Ehrlichkeit fordert die Nennung derer, denen Dario Fo und Franca Rame ihren Erfolg im deutschsprachigen Raum verdanken: den kongenialen Übersetzern Peter O. Chotjewitz und Renate Häfner. Aber die Texte sind nur die eine Hälfte von Dario Fos und Franca Rames Kunst. Wie bei Molière oder Nestroy, war, was man heute Performance nennt, bei ihnen eng mit dem Wort verbunden – die Mimik, die Gestik, auch die Grimasse, wie sie aus der Commedia dell'arte vertraut sind. Und doch ließen sich die Stücke nachspielen, gehörten die schmalen Bändchen des Rotbuch Verlags einst zum Haushalt aller deutschen Linken, für die Sozialismus nicht bloß eineAngelegenheit trockener Theorie war. Wo wären seine Positionen so lustvoll vermittelt worden wie bei und von Dario Fo.
Das plebejische Theater eines Dario Fo, das ihm Konflikte eingebracht hat nicht nur mit der reaktionären Kritik, sondern auch mit einem anderen Großen der italienischen Linken, mit Pier Paolo Pasolini, setzt eher aufs Grobe als auf Differenzierung, auf Typisierung, nicht auf psychologische Einfühlung, auf das Komische, auch im Ernsten, nicht auf den Tiefsinn, auch in der Komik. Wenn eben von Sozialismus die Rede war, so ist das nur die halbe Wahrheit. Was Dario Fos ideologische Haltung mit seiner Ästhetik verbindet, ist eher ein ursprünglicher Anarchismus. In Bezahlt wird nicht! von 1974 zum Beispiel gebührt die ganze Sympathie jenen, die gegen Gesetze verstoßen, deren Funktion es ist, die Reichen zu schützen. Dario Fo gehörte noch zu einer Generation, für die Feminismus und Klassenkampf eine Einheit bildeten. Seine Frauen sind ihren Männern überlegen, aber ihre Gegner teilen sie mit ihnen. Wo die Frau im Schwank und der Farce des 19.Jahrhunderts vertuschen muss, dass sie fremd gegangen ist, verheimlicht sie bei Fo vor ihrem (zunächst) gesetzestreuen Mann die geklauten Lebensmittel aus dem Supermarkt und versteckt diese, wie ihre Vorgängerin den Mann, im Schrank. Der dümmliche Polizist, der hinter Dieben her ist, gehört seit den Keystone Cops zum Inventar des Slapstick und ist eine Chiffre für antiautoritäre Rebellion. So auch bei Dario Fo. Seine ganze Virtuosität beweist Fo, wo die Frauen den Carabinere scheinbar erblinden lassen und der schließlich der heiligen Eulalia für das Wunder einer Schwangerschaft dankt.
Dario Fos Ansätze, in die praktische Politik zu gehen, blieben Episoden. Er war mit Leib und Seele ein Künstler, wenngleich ein politischer Künstler wie Till Eulenspiegel oder, besser noch, wie der Ulenspiegel des Charles De Coster. Weniger bekannt als seine Bühnenkunst ist Dario Fos malerisches Werk. Dazu gehören auch rund 80 gefälschte Picassos, die Fo fabrizierte, als der Sohn des legendären Künstlers unbezahlbare Beträge für die Bildrechte verlangte, die Fo 2012 für sein Stück Picasso desnudo benötigt hätte.
Dario Fo ist 2016 gestorben. Seine Bühnenpräsenz ist ein für alle Mal tot. Sein literarisches Werk aber wird seine Kritiker überleben. Es weist, an der Gegenwart vorbei, aus der Vergangenheit in eine wünschenswerte Zukunft. Darin besteht seine Provokation für die Apologeten des Status quo.Heute wäre Dario Fo 95 Jahre alt geworden.
|
Thomas Rothschild – 24. März 2021 ID 12830
Post an Dr. Thomas Rothschild
Personen
ROTHSCHILDS KOLUMNEN
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeige:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTORENLESUNGEN
BUCHKRITIKEN
DEBATTEN
ETYMOLOGISCHES von Professor Gutknecht
INTERVIEWS
KURZGESCHICHTEN- WETTBEWERB [Archiv]
LESEN IM URLAUB
PORTRÄTS Autoren, Bibliotheken, Verlage
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|