2045 im HAU
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Bewertung:
Wie die jüngere Künstlergeneration mit Heiner Müllers Erbe umgeht, ist beim laufenden Hebbel am Ufer-Festival HEINER MÜLLER! v.a. im HAU 2 und 3 zu sehen. Als „Mensch-Maschine“ ist die Stimme des toten Dichters in der Telefonzellen-Installation Die Müllermatrix von Interrobang zurückgekehrt und spricht auf Tastendruck in zusammengesampelten Textfetzen über ganz gegenwärtige Themen wie Migration, den Untergang Europas oder das zeitgenössische Theater. Ein Müller für jede Gelegenheit.
Noch fast komplett analog ist da die Installation Transitraum goes HAU von Kristin Schulz und Chasper Bertschinger. Die Literaturwissenschaftlerin und Müller-Expertin Kristin Schulz hat dafür Teile des originalen Müller-Transitraums aus der HU Berlin in den 2. Stock des HAU 2 transferiert. Hier kann man nun ganz Old School haptisch in Werken, Manuskripten und Typografien Müllers blättern oder sehen, was in seiner Bibliothek stand und den Dichter inspirierte. Neben Sideboards mit Büchern von Bertolt Brecht, Alexander Bek, William Faulkner und Steven King sind aber auch einige Hörstationen aufgebaut, die einladen, Müller selbst beim Lesen zuzuhören oder gar in den Film-Gesprächen mit Alexander Kluge beim Zigarre-Paffen und Verfassen von Gedanken zuzusehen.
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Die digitale Müller-Brille auf hat das Performance-Kollektiv andcompany&Co. mit ihrem Lecture-Konzert 2045: Müller in Metropolis im HAU 3. Hier wird nun Heiner Müller gänzlich zum Cyborg aus der Zukunft. „WIE FRÜHER GEISTER KAMEN AUS VERGANGENHEIT / SO JETZT AUS ZUKUNFT EBENSO“ heißt es in Brechts Fatzer-Fragment, das Müller bearbeitet hat. Ein Gedanke, der ihn bewegte und wohl auch Einzug in diese 45minütige Tischperformance mit Video und Musik gefunden hat. Der andcompany-Mastermind Alexander Karschnia und seine Cooperanten Nicola Nord und Sascha Sulimma scheinen ebenfalls die Kleistrede von Heiner Müller gelesen zu haben. Reichlich wird daraus zitiert. Aber v.a. die vorausschauende Äußerung zur „Hochzeit von Mensch und Maschine“ hat es ihnen angetan. Als Kind der 80er freut es einen natürlich immer, alte Elektrohelden mal in einer Theaterperformance verwurstet zu sehen. Hier ist es Anne Clark mit ihrem titelgebenden Hit Sleeper in Metropolis. Und Nicola Nord performt dann auch den deutschen Text zu Fritz Langs berühmten Stummfilmbildern mit ordentlich Nebel aus der Trockeneismaschine.
Sind wir nicht alle digitale Schläfer? Eine Frage, der andcompany&Co. nachgegangen sind und mit einer Exkursion in die technologische Singularität und ins Silicon-Valley aufwarten. Auch Müller war in Kalifornien, wenn auch nicht in einer Garage in Palo Alto. Spaß haben und unheimlich reich werden ist die Maxime der digitalen Hippies, der neuen 68er Generation, die sich Mitte der 1980er Jahre aufmachte, um das World-Wide-Web zu erobern. Aus der Starre des Beobachtens in die Genickstarre der digitalen Kommunikation. Alles ist möglich, das „Ich“ zur Adresse geworden. 1 oder 0 ist wie Sein oder Nichtsein. Das Arbeiten an der Differenz geschieht im On-Off-Modus. Das permanente Lauschen im digitalen Rauschen der täglichen Informations- und Kommunikationsflut.
Wie ein roter Faden zieht sich die Kybernetik, auch ein Hobby Müllers, durch die Eröffnungsveranstaltungen des Festivals im HAU. Man muss den turbo-philosophischen Ausführungen von Alexander Karschnia nicht unbedingt folgen, um hier etwas mitzunehmen. Die Menschheit hat den ersten Schritt zur technischen Evolution längst getan. Wir drücken im Internet auf den Unsterblichkeits-Button. Die Aufhebung des Menschen in seiner Schöpfung, der Technologie, wie es Müller formulierte. Vorbild ist wie immer Amerika, wo ein Transhumanist zum Präsidentschaftswahlkampf antritt, ein Terminator-Filmstar Gouverneur werden kann und man sich beim Burning Man in der Wüste Nevadas mit Mutantenfahrzeugen vergnügt. Der Mensch versucht aus der Geschichte herauszufallen, heißt es bei andcompany&Co. Sein Ziel ist die ewige Gegenwart.
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Foto (C) Dorothea Tuch
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Stefan Bock - 5. März 2016 ID 9185
Weitere Infos siehe auch: http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/festivals-und-projekte/2015-2016/heiner-mueller/
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
Hans-Jürgen Syberberg's Für Heiner Müller
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