Anja Silja
auf dem Weg
zu Udo Walz
Gespräch mit
Andre Sokolowski
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Anja Silja in THE MURDER FROM »DEAFMAN GLANCE« von und mit Robert Wilson an der Staatsoper Unter den Linden - Foto © Monika Rittershaus
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Anja Silja – hoch und stolz – radelt nach einem halbstündigen Interview, wozu wir uns soeben trafen, vom Schiller Theater aus in Richtung S-Bahnhof Savignyplatz knapp neben mir vorbei... Sie simst und surft, gab sie mir zu verstehen. Sie hat beispielsweise auch ihr Buch Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren - Wege und Irrwege auf dem PC geschrieben. Sie scheint also sehr modern zu sein... Ich plauderte etwas mit ihr. Ich sagte ihr danach, dass ihre Haare schick sind. Ich erfuhr in dem Zusammenhang, dass sie sich ab und zu von Udo Walz frisieren ließe... / Hier unser Gespräch:
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© Anja Silja (privat)
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Stichwort Internet - eine halbe Million Einträge weist Google aus, wenn "Anja Silja" eingetippt wird - ist zwar bloß ein technisches Indiz und liest sich sicher imposant, aber: Lastet der Ruhm auf Sie? oder belastet es Sie nur noch, weltberühmt zu sein??
Anja Silja: Weder noch. Ich empfinde mich eigentlich gar nicht als berühmt. Ich bin immer ganz erstaunt, wenn mich jemand wiedererkennt - nein, das hat mich nie belastet. Ich bin ich, und ich bemühe mich, ein ganz normaler Mensch zu sein, ein ganz normales Leben zu führen - und nebenher singe ich dann... Also das kommt auch aus meiner Biografie, weil ich das Singen eben mit sechs Jahren begonnen hatte, das ist sozusagen mit der Muttermilch in mir, ich habe mich um Ruhm nie weiter gekümmert; das wird einerseits bemängelt von manchen Leuten, dass ich zu leger damit umgehen würde, andererseits beneiden mich dann Leute, dass ich das so locker sehen kann; also das ist, glaube ich, meine Spezialität... sozusagen.
Können Sie heute noch was mit der Senta anfangen?
Anja Silja: Ich hab' die Senta nie gemocht - das ist ja gerade das Komische an meiner Karriere, dass ich ausgerechnet damit so bekannt wurde. Das war die einzige Rolle, die ich nicht studiert hatte. Mein Großvater war ja ein großer Wagnerianer, mein einziger Lehrer übrigens; er hatte mir das Alles beigebracht, auch das Schulische... Bis zu meinem elften, zwölften Lebensjahr konnte ich den gesamten Wagner auswendig, nicht nur die Rollen für meine Stimme, sondern auch Wotan und Alberich und... alles konnte ich! Nur die Senta hatte ich nie studiert und mich auch nie für sie interessiert, aber gerade die wollte nun Wieland Wagner damals mit mir besetzen. Das war wirklich schicksalhaft, dass ich nun ausgerechnet Senta überhaupt nicht konnte und dann so berühmt durch sie geworden war... Aber ich habe sie eigentlich nie gemocht – ja, als ich sie dann sang, schon. Weil sie natürlich auch was aussagte darüber, was ich damals selber war, also mit neunzehn Jahren, als mich Wieland Wagner engagierte (bis ich sie sang, war ich gerade mal knapp zwanzig) - also ein Mädchen, das sich aufopfert für ein Bild ihrer Teenager-Vision und für dieses Bild wirklich willens ist, in den Tod zu gehen; so was macht man ja nur als ganz junger Mensch, dass man sich so schwärmerisch für etwas interesssiert... Aber ich war ja immer mehr an diesen heroischen Figuren interessiert als junges Mädchen, und das war die Senta nicht. Die ist keine heroische Figur.
Wen hatten Sie mehr geliebt, Wieland Wagner oder André Cluytens??
Anja Silja (lacht): Nein, das kann man wirklich so nicht sagen, das gehört auch irgendwie zusammen. Das ist ja das Merkwürdige, dass... Wieland war sehr befreundet mit André Cluytens, und als Wieland starb, war André da, sozusagen ein Teil von Wieland und ein Teil von mir, und daraus erwuchs dann natürlich auch eine wirklich echte Beziehung zu der Person und nicht nur zu einem Replaysement von Wieland Wagner, selbstverständlich – doch mehr war mir nicht vergönnt, das war nur ein Dreivierteljahr mit André, und dann starb auch er.
Wie finden Ihre Enkel Sie als Star der Stars in der Familie?
Anja Silja: Naja, das sage ich ja gerade, die kennen das gar nicht - ich bin die Großmutter, und fertig-aus. Und sie haben auch noch nicht viel von mir gesehen. Sie wissen zwar, dass ich viel singe und "wo singst du jetzt" und "was singst du"... Also mein großer Enkel, der Älteste, der ist jetzt gerade fünfzehn geworden, und er sagt: "Was machst du denn jetzt eigentlich gerade?" - "Ich mache Candide." - "Ach", sagt er, "von Voltaire, das kenne ich." Ich war vollkommen fassungslos; also wir stampeln hier noch durch den Inhalt dieses Stückes, und er kannte das bereits; sie machen das tatsächlich in der Schule, und insofern weiß er dann, was man so macht... Die Enkel sind ja nie in der Nähe, die haben nicht viel gesehen - meine Kinder eigentlich auch nicht. Der eigentliche Star, von dem sie viel mehr mitbekommen haben, war und ist natürlich mein Ex-Mann Christoph von Dohnányi; da sind sie immer in den Konzerten gewesen, weil er ja viele in Hamburg gegeben hatte, wo die Kinder leben, und der eine Sohn lebt zum Teil in Peking und zum Teil in der Schweiz, und da ist dann Christoph auch... also die haben mehr Kontakt zu ihm durch die Konzerte.
Wieviel Enkel haben Sie eigentlich?
Anja Silja: Meine eigenen: drei. Aber es gibt dann noch drei weitere aus der ersten Ehe [Christoph von Dohnányis, AS].
Werden Erinnerungen an die Kinderzeit mit zunehmendem Alter wirklich stärker, wie behauptet wird? (Bei mir zum Beispiel ist es so.)
Anja Silja: Ja, also gewisse Sehnsüchte - Erinnerungen würde ich gar nicht mal so sagen. Aber die Sehnsüchte nach was Intaktem, nach was Geordnetem, nach was Schönem, ja, nach so was... Nach so Sachen, die man nicht mehr machen kann - so Rollschuhlaufen oder so gefährlichere Dinge, Baumklettern; wenn ich das dann sehe, denke ich "ach, das habe ich auch gemacht, und das und das", ja, solche Sachen kommen natürlich, ja, das stimmt schon... Und wenn man dann wieder zurückkommt in eine Stadt, wo man lange nicht war, mit so bestimmten Gerüchen - das haben wir, glaube ich, alle gemeinsam... Wenn beispielsweise Hitze war im Sommer - da fällt einem dann wieder ein, wie man zum Strandbad ging, und der Geruch von Wasser und Sumpf... Gerade hier, da gibt es diese Seen, die noch so bisschen sumpfig sind; sonst erlebt man das ja gar nicht mehr... Sumpfgerüche und so, das kennt man gar nicht mehr in unseren Breiten.
Ihren vorletzten Geburtstag wollten Sie "in der Mitte des Ozeans auf einem Schlauchboot" verbringen, habe ich im Web gelesen...
Anja Silja: Nein, nicht meinen vorletzten - sondern meinen sechzigsten.
Und war es ruhig auf Hoher See?
Anja Silja: Es war ganz ruhig. Ich feiere ja niemals meine Geburtstage, eigentlich schon seit Jahrzehnten nicht. Auch diesen jetzt wieder nicht, auch den siebzigsten nicht. Und wenn man mich dann gefragt hat, "wo waren Sie", weil die immer denken, da wird ein großes Fest gefeiert, da habe ich gesagt, ich war "in der Mitte des Ozeans" - ich war auf der Überfahrt mit dem Auto vom Dover nach Calais oder umgekehrt... Also ich war tatsächlich auf dem Schiff, aber nicht mit dem Schlauchboot, das war natürlich ein Gag, aber ich war halt nicht erreichbar - und auf der andern Seite, als ich dann ankam, hatte ich 60 oder 70 Messages auf dem Telefon... Aber sonst, wie gesagt - ich feiere meine Geburtstage nicht. Ich vergesse auch jeden Geburtstag, von jedem, weil ich meine eigenen Geburtstage vergesse... Ich werde ja auch so älter, ich muss das nicht noch feiern.
Es heißt, man könnte sich was wünschen, wenn man eine Sternschnuppe am Himmel sieht, aber man dürfte nichts verraten, weil es sonst nicht in Erfüllung geht - erinnern Sie sich, wann Sie Ihre letzte Sternschnuppe am Himmel sahen?
Anja Silja (überlegt): Also ich habe jetzt schon lange keine mehr gesehen. Es gab ja mal so ein Jahr, da fielen die alle zwei Sekunden vom Himmel. Und da muss man eigentlich an einem Ort sein, wo es wenig Licht gibt, also keine Straßenbeleuchtung... Das war das letzte Mal, glaube ich, in Dänemark, also da flogen die wirklich alle zwei Sekunden vom Himmel, das war wirklich sensationell, Hunderte von denen, weil - die haben keine Straßenbeleuchtung auf dem Land, es gibt nichts, und die Häuser waren da auch extra dunkel gehalten, damit man's noch besser sieht... Und ohne jede Straßenbeleuchtung können Sie nur mit einer Taschenlampe durch die Straßen gehen, und dann hat man diese... Hunderte von Sternschnuppen, es war wirklich sensationell!! Und voriges Jahr, als es auch angeblich so viele gegeben hatte, da waren nur lauter Wolken, da habe ich keine einzige gesehen, sie fallen zwar durch die Wolken, aber ich habe keine...
Das ist immer so: Wenn es dann groß angekündigt wird, da richtet man sich darauf ein - naiv, wie man ist - und steht auf dem Balkon und wartet, guckt und guckt und fragt sich "ja was ist denn nun, kommt jetzt mal endlich..."
Anja Silja: Ja, jaja...
...und verwundert sich, dass nichts geschieht...
Anja Silja: Ja und da guckt man in der Sekunde gerade weg, wo wirklich eine kommt... - Ja und das hatte ich so toll erlebt, ja, wie gesagt, ja, schlack schlack schlack, alle aufeinander... Und auch diesen Kometen damals - da war ich auch in Dänemark - das war vor 30 Jahren, und das sah man alles so toll, und das gibt es eben nur in den Ländern, wo wenig Licht ist.
Liebe Anja Silja, als ich Sie zum ersten Male live auf einer Bühne sah - in Leipzig, wo Sie die Herodias gaben - musste ich, wie unter Zwang, auf Ihre Gangart schauen; und Sie trugen da ein enges und geschlitztes grünes Abendkleid, und Salome (die Inga Nielsen, als sie da noch lebte, spielte) wurde offensichtlich immer kleiner, wie Sie auf sie zugekommen waren, und ich dachte mir da so: Die Frau besteht aus mindestens zwei Beinen. Alle guckten übrigens nach Ihnen, Männer, Frauen, Kinder...
Anja Silja: Wirklich?
Wirklich, ja - wie halten Sie sich fit?
Anja Silja: Ich habe immer sehr viel Sport gemacht. Ich fahre auch jetzt immer noch, zu allen Proben, mit dem Rad; ich mache alles mit dem Rad, wenn es die Stadt erlaubt und es nicht allzu hügelig ist. Und früher ging ich natürlich auch noch ins Fitness-Center - aber dazu bin ich heute zu faul, ehrlich gesagt. Also diese Sachen, die man ab und zu noch machen kann... Ich fahre auch noch hin und wieder Rollschuhe, aber da habe ich dann doch ein bisschen Angst, dass ich mir was antu - da muss man dann schon in Städten sein, wo man am Wasser entlang fahren kann; das geht zum Beispiel in Paris an der Seine ganz gut, das mache ich auch noch gerne, und Fahrradfahren, wie gesagt, das hält mich dann fit... Und außerdem bin ich ja dauernd noch auf der Bühne am Rumtoben.
Sie sehen übrigens blendend aus.
Anja Silja: Danke - ja, jetzt sehe ich vielleicht ein bisschen erschöpft aus von dem Wetter und den Proben, es ist wirklich anstrengend bei der Hitze...
Und wann waren Sie mit Ihrem Aussehen in welchem Alter eigentlich mal völlig unzufrieden? Meistens hat man das ja in den jungen Jahren.
Anja Silja: Also als Teenager ist man sowieso mit Allem unzufrieden, aber ob man dann auch speziell mit seinem Aussehen unzufrieden ist - aber wahrscheinlich, ja, da hat man Pickel, und da hat man Dieses und Jenes, da ist man über Alles unzufrieden; also daran erinnere ich mich... Und dass ich ziemlich bockig war, und dass ich nicht Alles machte, was ich sollte - aber ab meinem fünfzehnten Lebensjahr war ich ja schon am Theater, und da war nicht mehr die Zeit zum Bockigsein, und seitdem habe ich mich also nicht mehr mit dem Bockigsein beschäftigt... Nein, ich will nicht klagen, was mein Aussehen, was meine Größe und meine Figur betrifft.
Wie groß sind Sie eigentlich?
Anja Silja: Ich bin gar nicht so groß für heutige Verhältnisse, ich bin eins achtundsiebzig, aber damals...
Zwei Zentimeter größer als ich - unglaublich!
Anja Silja: Damals war ich immer die Größte! Ich war ja schon als Zwölfjährige gut und gern eins siebzig... Ich war also immer groß, aber das hat sich jetzt ja doch etwas verspielt... Meine Mädchen sind genauso groß, mein Sohn ist fast zwei Meter...
Oi!!!
Anja Silja: Aber die Mädchen sind Gott sei Dank nicht größer als ich. Aber ich glaube, meine Enkelin wird größer, ja, das sieht man jetzt schon.
Sie sind gebürtige Berlinerin, Sie wohnen wieder in Berlin...
Anja Silja: Nein, ich wohne nicht in Berlin! Ich habe hier Freunde... Eine Freundin, wo ich immer wohne. Ich habe nur ein Jahr hier gewohnt, und dann hat es mir gar nicht mehr gefallen (entschuldigt, Berliner, dass ich das sage!) - ich bin das alte Berlin gewöhnt, und das jetztige hat nicht mehr so viel mit mir zu tun, und deshalb bin ich dann nach einem Jahr wieder von hier weggezogen... Aber dennoch bin ich eine begeisterte Berlinerin, also als Mensch, ja, durch und durch, das muss ich sagen – doch die Stadt ist mir fremd geworden.
Sie haben zwischendurch die ganze Welt bereist, wenn man so sagen will. Und können Sie, aus der Erfahrung, zwischen Kosmos und Provinz noch trennen?
Anja Silja: Ich liebe die Provinz. Ich bin ein großer Fan von Keinstädten - war ich immer. Ich bin in Glienecke aufgewachsen, bei Katow Gladow, es war immer alles sehr klein, da kam natürlich noch die Grenze dazu, halb durch den See geteilt... Und in Hamburg war ich auch, also außerhalb, in Rissen, auch mehr oder weniger auf dem Lande... Und in Dänemark habe ich lange auf dem Lande unter Bauern gelebt... Also ich liebe Kleinstädte und überhaupt Land und Natur... Und die Großstädte gehören zum Beruf, aber nicht zu meiner Begeisterung, ich bin keine Großstädterin... Vielleicht ist das auch der Grund, weswegen ich von hier weggezogen war - und Berlin wird ja immer größer, und der Ostteil ist auch wirklich wunderschön, aber es ist so riesig, dass man da ewig und ewig und ewig... also man ist immer noch in Berlin, und man fährt und fährt und fährt...
Da fluchen ja sogar die Taxifahrer...
Anja Silja: Ja, es ist unglaublich.
Ich komme zum Beispiel aus dem äußersten Südosten, am Müggelsee, und ich habe eine eineinhalbstündige Reise bis hierher [nach Charlottenburg, AS] gehabt.
Anja Silja: Und ich wollte mir den Scharmützelsee mal angucken, und ich fuhr und fuhr und fuhr und sagte mir, "das kann doch nicht sein, ich muss doch gleich da sein", aber ich war immer noch in Berlin. Es ist schon faszinierend, natürlich, es ist toll, aber - ich hab's lieber, wenn ich die kurze Strecke habe und Alles so rund um mich herum... Das liebe ich, und demzufolge - meine Erholung liegt in den kleinen Städten, oder in dem Dörflichen.
Haben Sie Angst vorm Tod?
Anja Silja: Nö. Viele Menschen haben wohl mehr Angst davor, dass man krank wird oder mit Schmerzen irgendwie behaftet ist - aber Angst vorm Tod darf man einfach nicht haben, er gehört zum Leben dazu, und er ist unvermeidlich... Man hat vor allem Angst, wenn man eine Familie, Kinder und Enkel hat. Was wird aus denen und wie kommen die dann mit dem Leben klar. Doch als wir selber jung waren, haben wir uns darüber auch keine Gedanken gemacht, wenn die Eltern nicht mehr da sein würden, und ich hoffe, dass meine Kinder genauso unkompliziert damit umgehen... Aber für den älter werdenden Menschen, der sie dann verlassen muss, ist das, glaube ich, mit das Schwerste, denn man weiß, man lässt sie zurück; es ist mehr die Angst davor.
Vor fünf Jahren schwiegen Sie mit Robert Wilson eine Viertelstunde lang auf offner Bühne...
Anja Silja: Vierzig Minuten hat das Ganze gedauert!
Mit Schönbergs Erwartung zusammen.
Anja Silja: Nein, ohne - das Stummsein hat vierzig Minuten gedauert!!
Tatsächlich?
Anja Silja: Ja! Wir haben uns allerdings so gut wie nicht bewegt, und in den ersten zehn Minuten überhaupt nicht – ja und diese Zeit war für das Publikum das Längste, weil es sich erst an die Stille gewöhnen musste.
Ich sehe Sie noch immer mit dem Küchenmesser in der Hand, und vor Ihnen diese zwei Kinder, und Bob Wilson (wie als wäre er in diesem Stück Ihr Freund oder Ihr Bruder oder Ihr Gemahl) machte so Gestikulationen wie als würde er sich jetzt auf Ihre Überlegenheit als Frau und Mutter instinktiv verlassen können... Was - in Gottes Namen - ging Ihnen bei dieser Tötungsszene durch den Kopf?
Anja Silja: Das war das Medea-Thema, es geht eben um die Tötung der eigenen Kinder. Also da muss man sich ein bisschen abstrahieren und auf solche archaischen Themen irgendwo zurückgreifen - was da wohl war... Ich habe die Medea ja nun auch in der Oper gesungen. Und so kann man sich da ein bisschen hineinversetzen, was das eigentlich soll, was man damit eigentlich ausdrücken kann und will, und wie es dazu kommen konnte - so ähnlich wie der Kindsmord in Jenufa, den man ja nicht eigentlich bewusst begeht - der geschieht plötzlich aus einer Verzweiflung heraus oder weil man glaubt, einem anderen Menschen dadurch helfen zu müssen oder weil man auswegslos nicht mehr weiter weiß - so muss man das für sich interpretieren... Sonst wären das ja alles lauter Hexen, und so darf es nicht rauskommen, das ist dann das, was man als Interpretation bezeichnen kann, wie man selber damit umgehn kann mit solchen Figuren.
Ich fand diese Szene grandios, und diese Verstärkung des emotionalen Aspektes kam vom Licht - es war ja fast alles in Weiß...
Anja Silja: Ich sagte Robert Wilson auch, dass er mich – und als Einziger - durch seine Lichtregie an Wieland Wagner so erinnern würde. Diese Umsetzung von Emotionen und Musik in Licht und Farbe. Wieland Wagner war der Erste, der das so gut konnte...
Sie waren ganz nah dadurch, und Wilson auch, und diese Art Bewegungslosigkeit oder Bewegungsarmut...
Anja Silja (will was sagen)...
...und dann dieses Küchenmesser - ich hatte nur noch auf dieses Messer geguckt, also "um Gottes Willen, was wird sie jetzt mit dem Küchenmesser machen" - es war freilich alles bloß Metapher.
Anja Silja: Ja, na klar. - Und das fand ich auch Alles spannend. Wilson und ich konnten und sollten uns ja eigentlich nicht richtig sehen oder ansehen. Die simultane Aktion entstand dann durch die Vibration des Bodens, und wir hatten nur durch sie – er spielte auf der rechten, ich auf der linken Seite – eine Verbindung zueinander gehabt; und wenn es also dann sozusagen vibrierte, musste man sofort aufeinander reagieren oder sich bewegen, ja, es sollte simultan sein. Das war dann das Schwierige an dieser Kunstform.
Und wie war er eigentlich auf die Idee gekommen, ausgerechnet Sie damit zu besetzen - es war natürlich eine geniale Idee.
Anja Silja: Wir haben schon zusammen Lohengrin gemacht und uns von Anfang an so gut verstanden, ja und es war das erste Mal, dass er zusammen mit einer Interpretin seiner Stücke oder seiner Inszenierung selber aufgetreten war - und das war freilich eine große Ehre für mich, dass er das mit mir wollte; und er hat immer in den höchsten Tönen von mir gesprochen - also ich will mich jetzt nicht selber loben - aber das hatte er gemacht, und das ist eine große Auszeichnung, dass er sich mit mir auf diese Bühne begeben hat.
Gedankensprung - was war Ihre lustigste Rolle?
Anja Silja: Ich habe ja meist nur diese tragischen Figuren gesungen; also im Genre von dem, was ich jetzt zum ersten Male ausprobiere (nämlich ein Musical), war das Lustigste Die lustige Witwe, die ich damals mit Otto Schenk und Christoph von Dohnányi zusammen machte; und das hatte wirklich sehr viel Spaß gemacht. Das war mein einziger Ausflug in die Operette, die ich übrigens sehr liebe - aber da man Operette heute kaum mehr spielt, ist mir das nie wieder untergekommen... Und den Orlofsky in der Fledermaus, den habe ich auch mal gemacht.
Wo?
Anja Silja: Bei Maurice Bejárt in Brüssel, das war auch eine sehr interessante Aufführung. Aber Die lustige Witwe war, wenn man so will, so ziemlich mit das Lustigste in dieser Reihe meiner vielen Rollen... Und die Opern, die ich sonst so singe, sind zumeist nicht lustig. Proben sind da oftmals lustiger.
Andrej Hoteev, der Sie vor zwei Jahren mal bei einem Liederabend am Klavier begleitete, flogen die Notenblätter unverhoffter Weise um die Ohren; irgendwie kam Zugluft auf; aber er meisterte die Zwangslage grandios - und kriegten Sie das überhaupt, weil Sie ja vor ihm standen und den Blick ins Publikum gerichtet hatten, mit?
Anja Silja: Nein, ich hatte das anfangs überhaupt nicht mitgekriegt. Ich hatte da nur plötzlich gemerkt, dass er was Falsches spielte, also er war ja damit beschäftigt, diese Seiten zu bändigen und hat dann irgendwo auch mal daneben geschlagen, weil er eine Hand dazu brauchte, die fliegenden Blätter einzufangen, und da dachte ich, "was ist denn das jetzt", denn er spielte vorher niemals falsch, ja und da hab' ich zu ihm hingeguckt – er sagte später, "es war Chaos" - und wir mussten tatsächlich den Schluss improvisieren; und zum Ende hin hatte ich dann das Lied noch mal gesungen... Irgendwie war vorher plötzlich diese Aircondition scheinbar angesprungen, und die fegte Alles runter... Solche Sachen sind dann immer erst im Nachhinein sehr lustig.
Jetzt hat die Berliner Staatsoper Sie als Old Lady in dem Bernstein-Musical Candide verpflichtet - und gefällt Ihnen Lacroix' Kostüm? und hatten Sie's schon anprobiert??
Anja Silja: Natürlich, wir haben es schon mehrfach anprobiert.
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»the old lady« © Christian Lacroix – aus Candide an der Staatsoper im Schiller Theater Berlin
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Und macht Old Lady Spaß und Laune?
Anja Silja: Es macht sehr viel Spaß, es ist eine sehr nette Atmosphäre, und der Regisseur hat sehr viele Ideen, also es macht wirklich sehr große Laune. Mal was völlig Anderes, was ich bisher noch nie gemacht hatte. Auch mit sehr vielen Herausforderungen, was das Körperliche betrifft... Und die Kostüme sind eigentlich ganz normal, also von der Länge her, sie gehen bis zum Knie, wie ganz normale Straßenkostüme, allerdings mit breiten Schultern und allen möglichen Schickerien, Hut und Schmuck, und man weiß jetzt noch nicht, wie man sich in ihnen auch tatsächlich bewegt, das haben wir noch nicht ausprobiert... Ich bin sehr neugierig, wie das dann Alles aussehen wird. Ja, die Kostüme sind sehr schön.
Und ich sag' einfach mal jetzt Toi-toi-toi für die Old Lady - und ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch!
Anja Silja: Sehr gern.
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Andre Sokolowski / Anja Silja - 8. Juni 2011 ID 5238
Weitere Infos siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Anja_Silja
http://www.andre-sokolowski.de
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