Magisches
Bildertheater
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Kruso am Schauspiel Leipzig | (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Eine Auseinandersetzung mit dem „Schlüsselmoment der deutschen Geschichte“ nennt das Schauspiel Leipzig sein Unterfangen, mit gleich zwei Romanadaptionen zum Thema Wende und deutsche Wiedervereinigung in die neue Spielzeit zu starten. Pünktlich zum langen Einheitswochenende bringt man hier mit der Adaption von Lutz Seilers Hiddensee-Roman Kruso die zweite Wende-Inszenierung auf die Bühne. Bereits am 16. September hatte die Leipziger Bühnenfassung des Dresdner Wende-Romans 89/90 von Peter Richter in der Regie von Claudia Bauer Premiere.
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Für die Adaption von Kruso konnte man einen alten Bekannten des Schauspiels, der schon unter Wolfgang Engel und Sebastian Hartmann in Leipzig inszenierte, wiedergewinnen. Armin Petras, zurzeit Intendant am Schauspiel Stuttgart, hat hier u.a. 2008 in Koproduktion mit dem Maxim Gorki Theater Berlin den im letzten Jahr verfilmten Roman Als wir träumten von Clemens Meyer erfolgreich auf die Bühne gebracht. Nun also ein weiteres Mal Lutz Seilers Buchpreisgewinner von 2014, der auch schon auf den Spielplänen in Magdeburg, Gera und dem Hans-Otto-Theater in Potsdam steht.
Auffallend ist zunächst die Bühne von Olaf Altmann, die nicht (wie bei ihm gewöhnlich) einen Sperrholzkasten zeigt, sondern einen dichten Wald aus vom Schnürboden gespannten Perlonfäden. Eine Bild-Metapher für Einengung und Verlorenheit wie auch für das unüberwindbare Meer zwischen Hiddensee und der dänischen Insel Møn, auf die es die sogenannten „Schiffbrüchigen“ zieht, die vor der Flucht eine kurze Bleibe auf Hiddensee suchen. Der Chor dieser Schiffbrüchigen wird hier von 6 Schauspielstudierenden dargestellt, die mal in den Fäden hängen oder zwischen ihnen in einer Art choreografierten Bewegung agieren. Einmal stellen sie sich sogar an der Rampe mit kleinen Modellen ihrer „Notunterkünfte“ auf der Insel vor.
Es beginnt aber zunächst vor dem Eisernen Vorhang mit der Vorgeschichte des Literaturstudent Ed (Florian Steffens), der hier aus seinen Erinnerungen an die verunglückte Freundin G. erzählt und den es dann später nach Hiddensee verschlägt, wo er eine Unterkunft in der Gemeinschaft des Urlauberrestaurants „Zum Klausner“ findet. Hier führt der Abwäscher Kruso sein Regime aus Ritualen und der Verheißung von Freiheit, die die vom Festland angespülten Schiffbrüchigen an der Flucht und vor dem sicheren Tod in der Ostsee retten sollen. Armin Petras besetzt diese Rolle mit der Schauspielerin Anja Schneider, was zunächst verwundert, aber letztendlich wunderbar aufgeht.
Man muss dem aber weiter keine große Bedeutung beimessen. Sehr subtil gehen nach und nach die Handlungsfäden von Eds poetischen Naturschilderungen und Begegnungen mit einem Fuchs (Markus Lerch im grünen Pelz und Dreispitz) zu Kruso über, der ihn unter seine Fittiche nimmt. Petras spult die Geschehnisse auf Hiddensee überschaubar ab, ohne stur nacherzählend zu bebildern. Er greift den mal epischen, mal lyrischen Sound der Textvorlage auf und gibt ihn mittels szenischen Dialogen, Einzelvorträgen oder bewegten Gruppenchoreografien wieder. Als Requisiten dienen lediglich Handtücher und ein paar Töpfe für die Speisung mit der „ewigen Suppe“, deren Zutaten in einem traumwandlerischen Defilee über die Bühne getragen werden. Der „Lurch“ aus dem Abfluss der Geschirrspültische hängt an im Bühnenboden eingelassenen Gitterrosten, mit denen Ed kämpft.
Als tragischer Alter und Bewahrer der schützenden Arche tritt der Klausner-Chef Krombach (Berndt Stübner) auf, der mit seinem Schlips Seemannsknoten bindet, was aber wie eine Schlinge aussieht. Er erklärt die Philosophie des Klausners als Poesie und Gastronomie, spricht von Abrechen und Abdriften der Küste, einem Landverlust im doppelten Sinne und rezitiert auch mal Brechts Lob des Kommunismus. Die anderen Figuren der Belegschaft bleiben hier eher im Hintergrund. Zwei Grenzsoldaten mit DDR-Stahlhelmen haben ihren komischen Kurzauftritt mit Pistole.
Viel Raum nehmen dafür Krusos Rituale mit den Schiffbrüchigen und ein wildes aus den Fugen geratenes Sommerfest mit Live-Schlagzeug-Begleitung und archaischen, magischen Tänzen ein. Die immer wiederkehrenden Bemühungen Krusos, Ed von seinen Visionen zu überzeugen, gestaltet Anja Schneider oft anrührend komisch bis improvisiert und slapstickhaft. Die „Karte der Wahrheit“ steckt sie mit Wimpeln ab und erklärt die Phasen des Ertrinkens, wobei der Chor der Schiffbrüchigen magisch in den Schnüren hängt. Kruso führt Ed seine erste Vergabe, die Schiffbrüchige C., zu, schließt Blutsbrüderschaft und predigt vom Kochtopf herunter von den „Wurzeln der Freiheit”.
Nach der Pause beerdigt Armin Petras dann die DDR. Es wird viel gewinkt, ein Grab für den toten Fuchs ausgehoben, und die Stimme von Angelika Unterlauf darf noch mal zum 40. Jahrestag gratulieren. Der verletzte Ed erfährt noch von Rommstedt (Dirk Lange) die Geschichte des Generalssohn Kruso, was im Hintergrund mit einem akrobatischen Soldatendenkmal illustriert wird. Die neue Zeit hält mit Haribo und Flitter Einzug. Ed und Kruso schmeißen ihren „McKlausner“ jetzt allein im Ketchup- und Senftubenkostüm. Bis auch Kruso langsam verstummt und verschwindet, nicht ohne vorher Eds Verrat und die neue Spezies des Einbauküchenmenschen zu beklagen. Das Ende markiert die in der Drehung mit den Perlonfäden verhakte Bühne. Es geht nicht vor und nicht zurück. Ein durchaus eindrucksvolles Bild für das Ende einer Utopie.
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Kruso am Schauspiel Leipzig | (C) Rolf Arnold
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Stefan Bock - 4. Oktober 2016 ID 9601
KRUSO (Schauspiel Leipzig, 02.10.2016)
Regie: Armin Petras
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Patricia Talacko
Live-Musik: Johannes Cotta
Choreographie: Denis Kuhnert
Dramaturgie: Christin Ihle, Clara Probst
Licht: Jörn Langkabel
Besetzung:
Alina-Katharin Heipe (Chor der Schiffbrüchigen), Ellen Hellwig (Monika / Inselärztin), David Hörning (Chor der Schiffbrüchigen), Andreas Keller (Koch-Mike / Rebhuhn), Jonas Koch (Soldat, Chor der Schiffbrüchigen), Dirk Lange (Rimbaud / Rommstedt), Ferdinand Lehmann (Soldat, Chor der Schiffbrüchigen), Markus Lerch (René / Fuchs), Elias Popp (Chor der Schiffbrüchigen), Anja Schneider (Kruso), Nina Siewert (Chor der Schiffbrüchigen), Florian Steffens (Ed) und Berndt Stübner (Krombach)
Uraufführung am Theater Magdeburg: 25. September 2015
Leipziger Premiere: 1. Oktober 2016
Weitere Termine: 29., 30. 10. / 19., 20. 11. / 1., 2. 12. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de
Post an Stefan Bock
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