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Extrem

verzettelt


RADIKAL von
Yassin Musharbash


Radikal von Yassin Musharbash am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Bewertung:    



Acht Metallzellen säumen die ebenerdige Bühne. Viele Zettel liegen durcheinander auf dem Boden verteilt. Später hängen die Darsteller diese im Akkord an Metallgittern auf. Direkt anschließend werden sie unter lautem Getöse und Theaterrauch mit einem Gebläse gen Publikum geschleudert. Es ist nicht der erste Terroranschlag, der theatral an diesem Abend dargestellt wird. Vier Figuren verkörpern unterschiedliche Rollen in stets variierenden Situationen. Gleich zu Anfang tritt Katharina Hackhausen (in ihrem Debüt am Theater Bonn) als Konvertitin zum Islam hervor. Nach dem Sprechen des Glaubensbekenntnisses gesteht sie, sie habe nie eine wertschätzende Haltung zum Christentum entwickeln können, da sie sich hier einfach nicht geleitet genug gefühlt habe. Die Darsteller fallen sich regelmäßig ins Wort. Unterstellungen der einzelnen Gesprächspartner einander gegenüber deuten Verwicklungen an, die zwar Ärger, jedoch kaum Spannung erzeugen.

Radikal ist ein Stück über den extremistischen Rand sowohl rechts als auch über den islamistischen Terror. Und wie es so ist bei Extrempositionen: In dem Maße, wie sie sich voneinander entfernen, nähern sie sich einander wieder an. Die Wahrheit ist keine Gerade, sondern sie ist der Raum, in dem wir leben, und der ist gekrümmt. Am Ende wird es somit unklar, welche extremistische Gruppe eigentlich für den Anschlag verantwortlich ist. Mindestens so interessant wie der Blick auf die Extreme ist im Stück die Perspektive auf die Mitte der Gesellschaft. Hier rutscht leider eine kritische Betrachtung der Staatsschutzorgane in albernen Klamauk ab. Auch jedwede kritische Position dazu, wie sich ein konservativer Islam in Deutschland ausbreitet, wird ins Menschenfeindliche überzeichnet, mit rechtspopulistischen Parolen karikiert oder einfach durch Klamauk ins Lächerliche gezogen. Über Imame, die geistige Haltung in Koranschulen und die Verfolgung Homosexueller durch Muslime traut sich die Inszenierung jedoch nicht lustig zu machen. Hier beginnt die Inszenierung von Mirja Biel ärgerlich zu werden. Sie geht von einem islamistischen Terroranschlag aus, um sich dann vor allem für den Rechtsruck in der Gesellschaft zu interessieren. Durch ihre Gleichmacherei trivialisiert Biel völlig undifferenziert den Diskurs. Obwohl im wenig aufschlussreichen Programmheft sogar „Mitglieder*innen“ genderneutral und politisch korrekt eingedeutscht wird, spielten bei einem im Vorfeld der Theaterarbeit stattgefundenen Besuch der Schauspieler*innen in einer Moschee und einem Gespräch mit einem Islamlehrer Fragen der Gleichberechtigung von Frauen und sexuellen Minderheiten offensichtlich keine Rolle. Eine durchaus berechtigte Kritik an der Unterdrückung von Frauen im islamischen Kontext wird in der Aufführung beispielsweise dadurch entwertet, dass sie gleich darauf in einem weit ausholenden Monolog in rassistischen Nationalismus mündet.

Eine Auseinandersetzung mit den Problemen, die der in Deutschland von der Mehrheit gelebte Islam mit sich bringt, fehlt völlig. Fehlende Liberalität und ein Mangel an Reformbereitschaft kennzeichnen leider die aktuellen Entwicklungen im Islam. Denn wenn man die muslimische Mehrheit betrachtet, muss man feststellen, dass ein konservativer Islam in den deutschen Moscheegemeinden immer mehr an Bedeutung gewinnt: ganztägig fastende Kinder, aggressive Ablehnung reformorientierter Bestrebungen. Seyran Ateş, die Begründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, steht wegen Morddrohungen aus islamischen Kreisen rund um die Uhr unter Polizeischutz. Auch eine „Nicht mit uns“-Demonstration, wo Muslime am 17. Juni in Köln gegen islamistischen Terror und Gewalt protestieren wollten, fand unter gläubigen Muslimen größtenteils Ablehnung oder Desinteresse. Die Inszenierung von Radikal hat einige pathetisch starke Bilder völkischen Weltschmerzes, wenn sich die Figuren zu atmosphärischen Klängen in weiten Gewändern theatral in Pose werfen. Doch geistig dogmatische Ideologien werden kaum hinterfragt. Insgesamt ist Radikal auch zu klischeehaft, naiv, plakativ, einseitig und platt, um einen wertvollen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten zu können.



Radikal von Yassin Musharbash am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Ansgar Skoda - 8. Juli 2017
ID 10132
RADIKAL (Werkstatt, 06.07.2017)
Regie: Mirja Biel
Bühne: Matthias Nebel
Kostüme: Katrin Wolfermann
Licht: Lothar Krüger
Dramaturgie: Elisa Hempel
Mit: Daniel Gawlowski, Lena Geyer, Katharina Hackhausen und Alois Reinhardt
Uraufführung im Maxim Gorki Theater Berlin war am 13. Oktober 2012.
Premiere am Theater Bonn: 21. Mai 2017
Weiterer Termin: 14.07.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de


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