Widerstreitende
Stimme der
Flüchtlinge
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Nina Karimy und Lucas Sánchez in Erschlagt die Armen! am FWT Köln | Foto (C) MEYER ORIGINALS
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Bewertung:
Flüchtlinge haben es schwer. Sie haben viel auf sich genommen, um ihre Heimat zu verlassen. Sie sind geflohen vor Krieg, Verfolgung und Unterdrückung. Sie müssen sich in einer für sie neuen Umgebung anpassen und eingliedern. Doch was ist eigentlich, wenn sie dies überfordert? Was ist, wenn sie für ein positives Asylverfahren Lügen erfinden? Wie geht man damit um, wenn sie sich auch nicht wirklich eingliedern wollen?
Eine indischstämmige Dolmetscherin übersetzt in einer Asylbehörde die Geschichten überwiegend männlicher Asylbewerber. Während die Männer um eine Aufenthaltsgenehmigung kämpfen, kämpft sie mit der traditionell verinnerlichten Frauenfeindlichkeit der Bewerber, die insbesondere ihr als ebenfalls emigrierter Frau in einer Machtposition entgegenschlägt. Wenn sie den Bewerbern ihre Geschichte nicht abkauft und auch eine demonstrative Herablassung ihr und ihrer Chefin gegenüber spürt, fällt es ihr oft schwer, eigene Gedanken, Wahrnehmungen und Meinungen zu zügeln.
Es ist immer wieder erfrischend, wenn sich neues Theater kontrovers und verstörend wichtigen Themen unserer Zeit widmet. Erschlagt die Armen! beruht auf dem gleichnamigen Roman der indisch-französischen Schriftstellerin und Übersetzerin Shumona Sinha. 2016 wurde die literarische Vorlage der Theatervorführung mit dem internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt und der Stiftung Elementarteilchen ausgezeichnet. Die ebenerdige Bühne des Freien Werkstatt Theater in Köln säumen Lautsprecherboxen. Alles dreht sich hier um das gesprochene Wort. Denn glaubwürdige Begründungen entscheiden hier über die Aufnahme in ein europäisches Land und meist auch über ein menschenwürdigeres Leben. Eine Dreieckskonstellation aus Asylbewerber (Lucas Sánchez), vernehmender Beamtin (Lisa Bihl) und Übersetzerin (Nina Karimy) kristallisiert sich heraus. Das Asylverfahren ist für alle Beteiligten schwierig.
Der Asylsuchende erzählt real wirkende Lügengeschichten, die die vernehmende Beamtin mit Hilfe der Übersetzerin enttarnt. Als der Asylbewerber daraufhin jedoch die Wahrheit sagt, richtet sich die Vernehmungsbeamtin auf und verlässt den Raum. Die Dolmetscherin ist nun allein mit ihm und erkennt erschrocken, dass sie ihm in seiner Not nicht helfen kann. Der Asylantragsteller richtet seine Wut auf die Übersetzerin, die selbst augenscheinlich eine Migrantin ist. Seine Geschichte hatte er bereits beim Schlepper geübt, und sie hatte im Alltag funktioniert. Immer wieder entladen sich der Frust und die Aggression der Asylbewerber auf die Dolmetscherin, die zwischen ihnen und der Vernehmungsbeamtin nicht nur als Übersetzerin sondern auch als Vermittlerin unterschiedlicher kultureller Wertvorstellungen fungiert.
Die Inszenierung von Daniel Kuschewski erfrischt durch gelungene Einfälle wie einer Choreografie, in der alle drei Darsteller eine einstudierte Bewegungsabfolge vorführen. Diese Bewegungsabfolge symbolisiert bald mehr und mehr ein Gefangensein in einem krankmachenden System, das die Dolmetscherin an ihre Grenzen und in die Isolation bringt. Bald wird sie die Lautsprecherboxen umwerfen, und trotzdem werden unüberhörbare Stimmen ertönen. Leider fokussiert sich die Vorführung nicht genug auf die zentrale Problematik des Asylverfahrens. So gibt es einige unglaubwürdige weil zu wenig kohärente Nebenschauplätze, wie etwa das ungezügelte Leben, das lesbische Begehren und die Elternbeziehung der Übersetzerin. Doch das Schlussbild ist zum Glück wieder ein starkes. Es zeigt auf, wie schwer es ist, in puncto Migration eine eindeutige Lösung zu finden.
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Lucas Sánchez, Lisa Bihl und Nina Karimy in Erschlagt die Armen! am FWT Köln | Foto (C) MEYER ORIGINALS
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Ansgar Skoda - 16. März 2017 (2) ID 9913
ERSCHLAGT DIE ARMEN! (FWT Köln, 09.03.2017)
Inszenierung: Daniel Kuschewski
Ausstattung: Thomas Unthan
Dramaturgie: Gerhard Seidel
Licht und Ton: Christoph Wedi
Bühnenfassung: Daniel Kuschewski und Gerhard Seidel
Mit: Lisa Bihl, Nina Karimy und Lucas Sánchez
Premiere am Freien Werkstatt Theater war am 3. November 2016.
Weitere Infos siehe auch: http://www.fwt-koeln.de
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
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