Marcus Borja inszeniert Thêâtre mit 50 Akteuren auf der Bühne im Rahmen des Pariser Festivals IMPATIENCE 2016
|
Théâtre von Marcus Borja | Foto (C) Diego Bresani
|
Bewertung:
„Ich zeige Ihnen jetzt das Bühnenbild“, sagt der Regisseur Marcus Borja den rund 90 Zuschauern. Das Licht geht aus, was man sonst nur von Lichtproben im Theatersaal kennt. Für Sekunden befinden sich die Zuschauer in kompletter Dunkelheit, welche auch fast einschüchternde Stille mit sich bringt. Als das Licht kurz vor dem Beginn des Spektakels wieder angeht, bietet er den Zuschauern an die Bühne zu verlassen, falls sie sich von dieser künstlich erzeugten Ohnmacht bedroht fühlen.
Das Stück beginnt mit ohrenbetäubendem Lärm. Minutenlang werden aneinandergereihte Sequenzen aus allmöglichen Lebenssituationen gespielt, als wenn jemand überhastet versucht den richtigen Radiosender zu finden. Im direkten, fast nahtlosen Anschluss fangen die 50 Akteure an martialische Kampfgesänge zu singen. In den ersten Sequenzen des Stücks wird der Zuschauer mit Stress und Angst konfrontiert, denn die Akteure sind ständig in Bewegung und orientieren sich ausschließlich an kleinen Markierungen am Boden.
Die Zuschauer sitzen in drei kreisförmig angeordneten Reihen. Unterbrechungen der Sitzreihen ermöglichen den Akteuren nicht nur hinter den Zuschauern zu agieren, sondern auch in der Mitte. Anders als bei klassischen Theaterstücken sind die Zuschauer nicht durch die 4. Wand von den Akteuren getrennt – alles spielt sich auf der Bühne ab. Aufgefangen werden die Zuschauer immer wieder durch melodische und beruhigende, aber zusammenhangslose Chorgesänge und Tiergeräusche, unterstützt durch Gitarre, Akkordeon und Nyckelharpa.
Man hat das Gefühl, dass Borja Natur und Kultur als Gegensatz darstellt und letztlich miteinander vereinen will. Die auditive Choreographie aus rund 30 in dem Stück vorkommenden Sprachen, Klängen aus Natur und Kultur verleihen dem Stück verschiedene Dimensionen: die der Nacht, der unserer Welt, unserer Nationen, dem was die Menschheit vorgefunden hat und was sie daraus gemacht hat und der des Universums. Am Ende des 90 Minuten dauernden Stücks kreisen die Akteure die Zuschauer ein und beleuchten in willkürlicher Reihenfolge ihre eigenen Gesichter. Dieser Moment wirkt fast gespenstisch, da die sitzenden Zuschauer nun die angeleuchteten Akteure sehen, aber auch zum ersten Mal vage sich selbst. Es vermittelt den Eindruck, dass die Menschheit eigentlich nur ganz klein ist, umkreist von etwas, was sie noch nicht richtig verstanden hat.
Théâtre im Rahmen des Festivals ist der krönende Abschluss einer großartigen Theaterspielzeit am Théâtre National de la Colline. Das Pariser Publikum bedankt sich bei dem abgewanderten Intendanten Stephane Braunschweig und ist gespannt, was die neue Direktion unter Wajdi Mouawad in der nächsten Spielzeit auf die Beine stellt.
|
Théâtre von Marcus Borja | Foto (C) Diego Bresani
|
Tobias Marian Wollenhaupt - 10. Juni 2016 ID 9371
THÉÂTRE (Théâtre National de la Colline, 08.06.2016)
Regie: Marcus Borja
in Zusammenarbeit mit Vahram Zayran
Mit: Jérôme Aubert, Astrid Bayiha, Roch Amedet Banzouzi, Sonia Belskaya, Marcus Borja, Lucie Brandsma, Sophie Canet, Antoine Cordier, Etienne Cottereau, Belén Cubilla, Mahshid Dastgheib, Alice Delagrave, Simon Dusigne, Rachelle Flores, Michele Frontil, Ayana Fuentes Uno, François Gardeil, Haifa Geries, Lucas Gonzalez, Lola Gutierrez, Jean Hostache, Hypo, Magdalena Ioannidi, Matilda Kime, Cyrille Laik, Malek Lahmraoui, Feng Liu, Hounhouénou Joël Lokossou, Yuanye Lu, Esther Marty Kouyaté, Laurence Masliah, Jean-Max Mayer, Romane Meutelet, Tatiana Mironov, Makeda Monnet, Rolando Octavio, Wilda Philippe, Ruchi Ranjan, Andrea Romano, Tristan Rothhut, Théo Salemkour, Charles Segard-Noirclère, Olivia Skoog, Aurore Soudieux, Ye Tian, Isabelle Toros, Raluca Vallois, Gabriel Washer, Sophie Zafari und Vahram Zaryan
Uraufführung am Jeune Theatre National: 17. Februar 2016
Premiere war am 7. Juni 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.colline.fr/fr/spectacle/impatience-2016
Post an Tobias Marian Wollenhaupt
14h15dumat.com
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|