Dokufiktionales
Frauenstück
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What if Women Ruled the World? in der Volksbühne Berlin | Foto (C) Birgit Kaulfuss
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Bewertung:
Seit dem 25. Januar 2018 steht die Doomsday Clock (Atomkriegsuhr) auf 2 Minuten vor zwölf. Der Tag des Jüngsten Gerichts ist nah, nicht erst seit Donald Trump Syrien und Russland mit Atomraketen droht!
Zu Beginn des dokufiktionalen Stücks What if Women Ruled the World? (Was wenn Frauen die Welt regieren?) von Yael Bartana, das gestern in der Volksbühne seine Berlin-Premiere feierte, werden die Worte einer Atomwissenschaftlerin mit einem Rückblick auf des atomare Wettrüsten und Bildern aus dem Kalten Krieg untermalt. Mindestens ebenso kritisch steht es aber auch um die Volksbühne selbst und ihren Intendanten Chris Dercon, der just einen Tag nach der Premiere nun doch noch vor Ende der ersten Spielzeit das Handtuch geworfen hat. Bartanas zwischen Rauminstallation, Videokunst und Dokutheater angelegtes Stück ist leider auch wieder ein gutes Beispiel dafür, warum Dercons Konzept, theaterfernen Kunstgattungen zu Lasten des Schauspiel- und herkömmlichen Repertoiretheaters eine Bühne zu bieten, nicht aufgegangen ist.
Bereits in der letzten Volksbühnenproduktion des spanischen Filmregisseurs Albert Serra, Liberté, war das Problem überdeutlich spürbar. Eine installativ überladen wirkende Bilderbühne mit viel zu statisch und kammerspielartig agierenden DarstellerInnen ließ das eigentliche Schauspiel inhaltlich nicht richtig zur Wirkung kommen. Wie die letzten Auslastungszahlen von unter 50 Prozent zeigen, scheint zudem das Interesse an solchen Produktionen auch nicht besonders stark zu sein.
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Das Stück der aus Israel stammenden Medien-Künstlerin Yael Bartana, die sich mit Foto- und Videoarbeiten auf der Documenta Kassel und der Kunstbiennale in Venedig einen Namen gemacht hat, setzt wieder auf ein starkes Bühnenbild, das dem War-Room aus Stanley Kubricks Filmklassiker Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben) von 1964 nachempfunden ist. Ähnlich wie im Film wird hier von einem geistesgestörten US-Militär, der die damalige Sowjetunion angreifen will, die Welt von einem chauvinistischen Macho-Präsidenten mit Atomwaffen bedroht. Am Runden Tisch in der Schaltzentrale (die hier Peace-Room heißt) einer feministischen Regierung eines fiktiven Landes diskutieren ausschließlich Frauen, wie man diesem Bedrohungsszenario begegnen soll.
Yael Bartana nutzt für ihre Kunstproduktion u.a. auch gezielt Propagandaformen und politische Symbolik. Ihr Video-Beitrag And Europe Will Be Stunned für den polnischen Biennale-Pavillon 2011 in Venedig war 2012 auch auf der Berlin-Biennale in den KunstWerken und als Bühnenversion im HAU zu sehen. Im Video fordert im Warschauer Olympiastadion unter wehenden Fahnen ein Jewish Renaissance Movement in Poland (JRMiP) die Rückkehr von 3.300.000 Juden nach Polen. Vermutlich heute in der aktuellen politischen Situation Polens undenkbar. Auch What if Women Ruled the World? setzt auf Provokation, wenn auch etwas subtiler. Im größenwahnsinnigen Präsident Twittler ist aber nicht nur in der auf Video gezeigten Silhouette der US-amerikanische Präsident Trump zu erkennen.
Kostproben des deutlich frauenfeindlichen Twittergebarens dieses fiktiven Präsidenten und Warheads Twittler werden von der Präsidentin der Frauenregierung zum Besten gegeben. Olwen Fouéré ist als Präsidentin eine von fünf festen Darstellerinnen, die wechselnd von fünf weiteren Expertinnen aus Politik und Wissenschaft unterstützt werden. Für die Berliner Premiere sind das die deutsche Botschafterin und Außenamtsmitarbeiterin Patricia Flor, die Assistenzprofessorin am Royal Danish Defense College in Kopenhagen Dr. Carina Van Meyn, die Vizepräsidentin der Petitionsplattform change.org Paula Peters, die Sozialwissenschaftlerin und feministische Aktivistin May Zeidani und Heather Linebaugh, die als Soldatin am Antiterror-Drohnenprogramm der USA beteiligt war und nun Literatur und Linguistik studiert. Geballte weibliche Kompetenz in Sachen Abrüstung also.
Nach Kritik am Stückkonzept seitens der britischen Presse nach den Vorstellungen beim mitproduzierenden Theaterfestival in Manchester (die Produktion lief 2017 auch noch im dänischen Aarhus) hat Yael Bartana die dort monierten Eingriffe durch die Darstellerinnenriege wohl deutlich verringert, was den theatralen Wert dieser Veranstaltung aber auch nicht wirklich zu heben vermag. Zu erleben ist eine recht statische Gesprächsrunde, bei der Fragen der atomaren Abrüstung und Mittel zur allgemeinen Bekämpfung männlich chauvinistischer Machtpolitik diskutiert werden. Unterbrochen wird das immer mal wieder durch Einwürfe der als Außenministerin fungierenden Schauspielerin Anne Tismer, die mit kurzen Vorträgen zur matriarchalen Gemeinschaftsstruktur der Bonobos im Gegensatz zur patriarchalen der Schimpansen referiert. Auch empfiehlt Tismer den Einsatz von gezielter Hormonbehandlung gegen zu viel männliches Testosteron. Eine Anspielung auf Kubricks Film, in der die angenommene Fluoridierung des amerikanischen Trinkwassers zur Zersetzung der Körpersäfte der US-Bürger durch die Sowjetunion karikiert wird. Spaßig torpediert wird die Verhandlung auch durch einen Anruf von daheim, bei dem die von Noa Bodner dargestellte Generalstabschefin ihrem Kind ein Einschlafliedlichen singen muss. Als dann auch noch ein Teaboy mit nacktem Oberkörper auftaucht und Früchte verteilt, wirft ihm schließlich Vizepräsidentin Antje Stahl ihr Jackett über. Genderklischees karikiert auch Olwen Fouérés Zigarre qualmende Präsidentin.
Wer der englischen Sprache nicht wirklich mächtig ist, wird an der Diskursrunde um feministische Defence-Strategien, multilaterale Verhandlungen, die Abwehr von Maskulinums und das Fördern bürgerinitierte „Graswurzelbwegungen“ eher wenig partizipieren und dem so schon nur mäßig interessanten Abend kaum folgen können. Wer momentan noch den größeren roten Knopf hat, zeigt sich erst am Ende, wenn Präsident Twittler beim Anruf der Damen am roten Telefon einfach auflegt und das Atomszenario dröhnend und Trockeneis nebelnd seinen Lauf nimmt. Aber bei aller durchaus gegebener Diskurstiefe, was passieren könnte, wenn Frauen tatsächlich mal die Welt regieren würden, davon scheint dieser Abend kaum eine Idee zu haben.
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What if Women Ruled the World? in der Volksbühne Berlin | Foto (C) Birgit Kaulfuss
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Echte Vorstellungen zum nach dem Abgang von Chris Dercon nun von Kultursenator Klaus Lederer angestrebten „Neustart“ der Volksbühne scheint es allerdings auch noch nicht wirklich zu geben. Er hat Klaus Dörr zum Nachlassverwalter und Übergangsintendanten ernannt, der Lücken im Spielplan füllen sollen. Ob der auch Statthalter für seinen langjährigen Chef am Maxim Gorki Theater und Stuttgarter Schauspiel, Armin Petras, sein wird, ist möglich, aber nicht sicher. Auch Namen wie Matthias Lilienthal, der seinen Vertrag als Intendant der Kammerspiele nach Querelen mit der Münchner CSU nicht verlängern will, der von Gorki-Intendantin Shermin Langhoff oder des Dortmunder Intendanten Kay Voges sind im Gespräch. Die Verträge für die Produktionen der nächsten Spielzeit dürften aber schon geschlossen sein. Lederer wird diese auch nicht antasten, hat er verkündet. Man will sich bei der Suche nach einer Neubesetzung der Volksbühnenintendanz Zeit lassen. Das klingt angesichts des damaligen Schnellschusses von Tim Renner nur vernünftig. Bis dahin wird die Volksbühne weiter Ort für Spekulationen und Gerüchte sein. Der einzige Raum, den Chris Dercon in Berlin besetzen konnte.
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Stefan Bock - 14. April 2018 ID 10640
WHAT IF WOMEN RULED THE WORLD? (Volksbühne Berlin, 12.04.2018)
Konzept, Text, Regie: Yael Bartana
Bühne: Saygel & Schreiber
Kuratorin: Elodie Evers
Dramaturgische Mitarbeit: Alan Twitchell
Expertinnen Auswahl: Phoebe Greenwood
Künstlerische Produktionsleitung: Chris Barrett
Licht: Jackie Shemesh
Ton: Daniel Meir
Besetzung:
Präsidentin ... Olwen Fouéré
Vize-Präsidentin ... Antje Stahl
Friedensministerin ... Jo Martin
Generalstabschefin ... Noa Bodner
Außenministerin ... Anne Tismer
Expertinnen ... Patricia Flor, Dr. Carina Van Meyn, Paula Peters, May Zeidani und Heather Linebaugh
Uraufführung beim Manchester International Festival war am 6. Juli 2017.
Berliner Premiere: 12. April 2018
Weiterer Termin: 14.04.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne.berlin
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