Requiem
aus Staub
|
Aenne Schwarz ist Antigone am Burgtheater Wien | Foto (C) Georg Soulek
|
Bewertung:
Zur Rezeption der Antigone des Sophokles gehört neben den vielschichtigen Ansätzen der Interpretation auch immer die gewählte Übersetzung als Grundlage zum Verständnis der antiken Tragödie über die Ödipus-Tochter, die entgegen dem Verbot König Kreons ihren toten Bruder Polyneikes beerdigt und dafür in den Tod geht. Trotz ihrer Fehler hat sich die Übertragung Friedrich Hölderlins mittlerweile durchgesetzt. Sie hat nicht nur Bertolt Brecht zu seinem Antigonemodell inspiriert, sondern gilt als die gängige Textbasis für fast alle Inszenierungen im deutschsprachigen Raum. Für das Regiedebüt Jette Steckels am Burgtheater Wien hat ihr Vater, der bekannte Theater-Regisseur Frank-Patrick Steckel, eine neue Übertragung erarbeitet, die aber ebenfalls auf der Übersetzung Hölderlins fußt.
Textfassung und Regie versuchen die Antigone wieder mehr in die Nähe des antiken Stoffes zu rücken. Frank-Patrick Steckel bezieht sich dabei laut Programmheft auf einen Vortrag des Religionswissenschaftlers Klaus Heinrich (Der Staub und das Denken), in dem er den Staub, aus dem wir sind und zu dem wir wieder werden, als das Zentrale in Sophokles‘ Tragödie der Antigone begreift. Dieser Staub ist durch seine Unerklärbarkeit das eigentlich „Heilige“. Er trägt das Wohl der Menschheit und den Schrecken der Zerstörung gleichermaßen in sich. Und das wiederum weicht die bisherige Position der Erklärung von Gut und Böse für die Unterscheidung von Recht und Unrecht auf. Antigone unterscheidet nicht zwischen gutem und schlechtem Toten, Freund und Feind, wie es Kreon tut, für sie sind beide Brüder gleich, und damit ist ihr die Pflicht der Bestattung heilig. Sie tut das, was sie tut, aus vollster Überzeugung und nimmt dafür die Bestrafung auf sich.
*
Den Staub mitzudenken, also das Wissen um den Widerspruch, nicht die Kanonisierung einer Meinung, wäre demnach das Heutige in der Antigone-Rezeption. Und so ziehen sich denn Staub und Denken gleichermaßen durch Text und Inszenierung. Das zeigt schon das Bühnenbild von Florian Lösche, das eine mit rötlichem Staub bedeckte Leere darstellt, mit einem Rampensteg ins Publikum. Und nachdem Martin Schwab als blinder Seher Teiresias den Leonard Cohen Song "The Futur (baby: it is murder") zum Besten gegeben hat, fährt eine riesige Lichtwand auf, die das Publikum noch mehrmals an diesem Abend blenden wird. Im Gegenlicht trägt Aenne Schwarz als Antigone den nackten Körper des Polyneikes auf die Bühne und beginnt im Trockeneisnebel mächtig Staub aufzuwirbeln. Im Disput mit ihrer herbeigeeilten Schwester Ismene (Marvi Hörbiger) bekräftig sie ihr Vorhaben ob Staatsfeind oder Bruder, ihr Blut zu achten. Hier prallen die moralische Rebellion der Antigone und die Ohnmacht Ismenes gegenüber der Herrschgewalt der Männer aufeinander.
Im Kampf um die Krone Thebens hatte sich der Ödipus-Sohn Polyneikes gegen den Zwillingsbruder Eteokles gestellt und die Stadt angegriffen. Der sich nach dem Sieg der Verteidiger selbst zum Herrscher ausrufende Kreon (Joachim Meyerhoff) mit Krone und schwarzer Stola schwört, nachdem er seine Lanze zerbrochen hat, das Volk Thebens an der Rampe auf die neue Ordnung ein. Kreon erklärt Eteokles zum Freund der Stadt und Polyneikes zu deren Feind, der nicht bestattet werden dürfe. Bei Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetzes droht der Tod durch Steinigung, ein unerlässliches Gebot, für den Erhalt der Gemeinschaft. Das ist der Konsens der Polis, den der Chor mit Chorführer Oliver Masucci im Zuschauerraum stehend gern bekräftigt.
Dazu singt immer wieder zwischen den Szenen ein echter Chor aus den Logen und Rängen des Burgtheaters wunderbare Choräle zu den Standliedern aus der Tragödie. Die Musik stammt von Anja Plaschg (Soap&Skin) und Anton Spielmann (1000 Robota), die schon am Thalia Theater Hamburg mit Jette Steckel zusammengearbeitet haben. Aus Hamburg hat sie auch den Schauspieler Mirco Kreibich mitgebracht, der hier, gleich seiner Braut Antigone, einen ebenfalls recht widerständigen Haimon gibt. Doch bevor sich Sohn und Vater Kreon in die Haare bekommen, bringt noch der Bote (Phillipp Hauß), selbst ganz mit Staub bedeckt, als linkischer Running Gag die Botschaft von der Gebotsübertretung und schleppt wenig später auch die Frevlerin herbei.
Antigone wie Kreon berufen sich als Grundlage für ihr Handeln auf Gesetze. Während Kreon dabei das Wohl seiner Stadt im Auge hat und sich immer mehr in Rage redet, hält ihm Antigone die Übertretung des Gebots des Hades vor, das gleiche Rechte für die Toten fordert. Sie klammert sich dabei zunächst noch ängstlich an ihren Onkel und rückt dann immer mehr von ihm ab, bis sie selbst ganz Starrsinn vor Kreon ausspuckt. Die Konfrontation der Argumente lässt Jette Steckel auch im Disput des Vaters mit seinem Sohn Haimon eskalieren, der Kreon falsches Denken vorwirft und seine Alleinherrschaft anzweifelt („Das ist kein Staat, dem wenige befehlen“). Während Antigone, immer mehr in die Enge getrieben, schließlich ganz weggesperrt hinter der großen Lichtwand verschwindet, die hier das Göttliche und Unerklärbare wie das restriktiv Scheidende symbolisiert, mutiert Meyerhoffs Kreon immer mehr zum Staatsmann und Politiker im Anzug.
Trotz der Widersprüche, in die sich Kreon angesichts des kommentierenden Chores und des Fluchs des Tereisisas immer wieder verwickelt, beugt sich der König schließlich nur dem Zwang der Prophezeiung des blinden Sehers, der ihm ob seines anmaßenden Götterfrevels eine Tüte blutiger Innereien hinwirft. Allerdings scheint Jette Steckel dem diskursiven Denkansatz und den Worten des Textes doch etwas zu misstrauen und lässt zum Schluss noch mal ganz gewaltig die archaische Bühnenüberwältigungsmaschinerie anwerfen. Das Scheitern des Denkens, das hier unweigerlich in die Katastrophe führt, bebildert die Regisseurin wieder mit ordentlich Gegenlicht, Bombast-Sound und einer am Seil vom Bühnenhimmel hängenden Antigone, die auf den Schultern Haimons schwankt, bis dieser selbst zusammenbricht und sich in den Armen des Vaters tötet. Das lässt einen im Lichtschein zuckenden Kreon zurück, der sich aber nach seiner Klage schließlich den Schlips umbindet und vermutlich zur alternativlosen Tagesordnung übergeht. Da lugt ein moderater Tyrann um die Ecke. Die letzten Worte: „Kein Mensch soll mich begraben“, sind da sicher auch metaphorisch gemeint.
|
Antigone am Burgtheater Wien | Foto (C) Georg Soulek
|
Stefan Bock - 2. Juni 2015 ID 8683
ANTIGONE (Burgtheater Wien, 31.05.2015)
Regie: Jette Steckel
Bühne: Florian Lösche
Kostüme: Pauline Hüners
Musik: Anja Plaschg (Soap&Skin) und Anton Spielmann (1000 Robota)
Licht: Peter Bandl
Dramaturgie: Florian Hirsch und Carl Hegemann
Chorleitung: Hannes Marek
Besetzung:
Antigone ... Aenne Schwarz
Ismene ... Mavie Hörbiger
Kreon ... Joachim Meyerhoff
Haimon ... Mirco Kreibich
Teiresias ... Martin Schwab
Bote ... Philipp Hauß
Chorführer ... Oliver Masucci
u.v.a.
Premiere war am 31. Mai 2015
Weitere Termine: 3., 21., 23., 27. 6. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.burgtheater.at/
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|