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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Hüter der

Schwelle



(C) Theater Bonn

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Der Landvermesser K. soll seine Dienste in einem Schloss verrichten. Im Vorort des Schlosses angekommen, zweifeln die Dorfbewohner daran, dass er im Schloss vorgelassen wird. Lange wartet K. darauf, dass Dorfbewohner ihm Obdach für die Nacht gewähren. Stattdessen werden ihm viele irrsinnige Geschichten erzählt, und er wird mit unentwirrbaren Verwicklungen der Figuren miteinander konfrontiert und in diese alsbald einbezogen. Die Ausweglosigkeit seines Wartens und Stehenbleibens scheint endlos.

Franz Kafka (1883-1924) schrieb nie klassische oder konventionelle Dramen für die Bühne. Es sind seine Romanefragmente, Erzählungen und Briefe, die bis heute auch für die Bühne adaptiert werden (z.B. Kafkas Die Verwandlung am Düsseldorfer Schauspielhaus bzw. Der Prozess dortselbst) und in ihrer beklemmenden und schwebenden Uneindeutigkeit eine Art Parallel- oder Metawelt eröffnen. Für seine surrealen Geschichten bürgerte sich der Ausdruck kafkaesk nicht nur im deutschsprachigen Raum ein. Gerade aus dem inhaltlich Uneindeutigen und nüchtern Beklemmenden in Verbindung mit Kafkas Sprache entsteht eine Atmosphäre des gedanklichen Zwischenraums.

Regisseurin Mirja Biel und Dramaturgin Johanna Vater zeigen nun nach ihrer Inszenierung von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther mit Kafkas Roman Das Schloss (1923) erneut einen literarischen Klassiker und stellen sich wieder einer auch sprachlich komplexen Herausforderung.

Eine atmosphärische Kälte liegt über dem vollständig mit Kunstschnee bedeckten, mehrebigen und assoziationsreichen Bühnenbild (von Ausstatterin Petra Winterer), das jedoch – anders als der Stücktitel vermuten lässt – kein Schloss andeutet. Vielmehr gibt es mehrere kleine und nicht eindeutig zuordenbare Objekte auf einer sich mehrmals drehenden Bühne. Links befindet sich eine Art Bungalow, dessen Fenster mit Jalousien verschlossen sind und nur Schatten der Akteure etwas erahnen lassen. In der Mitte steht ein rundum verglaster Kubus, der wie eine Grenzstation anmutet und später als surreales Wirtshaus fungiert. Rechts vorne liegt schließlich eine Art metallene, großräumige Kapsel, die wie eine Notunterkunft im Gebirge oder Polargebiet erscheint. Wenn die Figuren innerhalb dieser Kapsel agieren, erhält der Zuschauer über großformatig in der Bühnenmitte übertragene Videoprojektionen Einblick. Zu guter Letzt ist in der linken vorderen Ecke ein Auto platziert, das so wirkt, als sei es im Schnee stecken geblieben.

In den Objekten und Bauten und um sie herum halten sich verschiedene Figuren auf, die oft eher unmotiviert auf- und dann wieder abtreten. K. (ausdrucksstark: Hajo Tuschy) erblickt zusammen mit anderen Figuren das Schloss, als er mit ihnen an den Bühnenrand herantritt und ausdruckslos über das Publikum hinwegguckt. Die Ferne des titelgebenden Schlosses vermittelt sich, wenn die anderen Figuren mit lauter Stimme behaupten, dass das Schloss ihm nicht gefalle, weil es niemanden gefällt.

Undurchschaubare Loyalitäten, Hierarchien, Berichte und Gebräuche erzeugen eine verwirrende, hoffnungslose Stimmung. K. versucht sich immer wieder mit viel Energie in dieser Welt zurechtzufinden, um in das Schloss zu gelangen. Seine Absichten bleiben so unklar, wie alles andere auch.

Gleich zu Beginn wird geradezu choreografisch die kalte, lauernd-abwartende Distanz der Dorfbewohner inszeniert. Ihr argwöhnisch erwartungsvolles Beobachten von K. wirkt durchaus komisch. Das Ensemble verleiht den Figuren auf eindrucksvolle Weise Eigentümlichkeiten und rätselhafte Ausdrucksweisen. Plötzlich auftauchende, brav-bieder und altertümlich gekleidete Kinder beurteilen die Hauptfigur abgeklärt. Daniel Breitfelder spielt K.s vorgebliche Gehilfen Artur und Jeremias in einer Person lustvoll herumdrucksend mit laszivem Körpereinsatz. Benjamin Grüter verkörpert als Momus akkurat anzugtragend und wortreich die undurchdringliche und unerbittliche Bürokratie der Schlossverwaltung. Ausgerechnet ein großer Bär erscheint auf der Bühne als einziges Wesen, das K. beinahe tröstend umarmt, bis er inmitten des Schnees einschläft.

Am Deutschen Theater Berlin verblüffte Andreas Kriegenburg in seiner Kafka-Inszenierung Ein Käfig ging einen Vogel suchen mit seinem kolossalem mehrebigen, schrägen Bühnenbild mit vier jeweils gleich aussehenden Zimmern, in denen jeweils gleichgekleidete Figuren das Gleiche tun. Auch Mirja Biels Kafka-Inszenierung lebt von überraschenden Verfremdungseffekten. So erscheint etwa plötzlich Bernd Braun in der Rolle eines Wirtes und sieht dabei genauso aus wie zuvor Birte Schrein als Wirtin. K. redet mit ihm ähnlich beiläufig wie zuvor mit der Wirtin. Diese steht nun plötzlich wie ein Schatten mit dem Rücken zum Wirt. Wenn man die Inszenierung aufmerksam verfolgt, dürfte man stets neue, feine und komische Ungereimtheiten entdecken.



Das Schloss am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Ansgar Skoda - 12. Juni 2016
ID 9378
DAS SCHLOSS (Kammerspiele Bad Godesberg, 10.06.2016)
Regie: Mirja Biel
Bühne und Kostüme: Petra Winterer
Musik: Richard von der Schulenburg
Licht: Max Karbe
Dramaturgie: Johanna Vater
Besetzung:
K … Hajo Tuschy
Schwarzer, der Lehrer … Robert Höller
Wirtin vom Brückenhof … Birte Schrein
Artur und Jeremias, die Gehilfen … Daniel Breitfelder
Barnabas … Sören Wunderlich
Olga … Mareike Hein
Wirt vom Herrenhof … Bernd Braun
Frieda … Johanna Falckner
Momus … Benjamin Grüter
Die Schüler … Sina Hamelmann, Till Hormann, Alma Jürgens, Simon Lögler, Clemens Risse, Janina Sander, Rea Simon und Mika Wegner
Premiere am Theater Bonn: 10. Juni 2016
Weitere Termine: 12., 25. + 29. 6. / 7. + 9. 7. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



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