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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Das älteste

Gericht



Die Panne am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) David Baltzer

Bewertung:    



Essen ist nicht nur der Sex des Alters, man kann mit ihm auch eine heilige Messe feiern. Und nebenher zu Gericht sitzen, als Hauptgang sozusagen. Jenes Gericht ist zwar mit allen Zutaten in Pension, aber das MHD scheint noch nicht abgelaufen, zumal es von den Fesseln herkömmlicher Gesetzlichkeit befreit ist. Sogar die Todesstrafe ist hier wieder eingeführt, auch wenn das nicht korrekt ist. Aber mit bzw. im Essen zu spielen, was hier reichlich getan wird, ist auch nicht korrekt. Lassen wir solche Erwägungen beiseite.

Vier sehr alte Herren, denen die Klapprigkeit (Kostüme: Ellen Hofmann) arg zusetzt, halten sich mit dem Spielen ihrer früheren Berufsrollen am Leben. Da sie allesamt im Justizapparat tätig waren, werden allabendlich bei Tisch die großen Fälle der Weltgeschichte nachgestellt. Aber ab und an verirrt sich auch ein Reisender zu ihnen, dann gibt es Gegenwartsbezug. Diesmal ist es der Textilvertreter Traps, den eine Panne [nach der gleichnamigen Erzählung von Friedrich Dürrenmatt] im beschaulichen Alpendörfchen festhält und der arglos-dankbar die Einladung zum gemeinsamen Spiel annimmt.

Nur die Rolle des Angeklagten ist noch zu haben. In jener fremdelt Traps zwar anfangs, weil er sich reinen Gewissens wähnt, aber ihm kann geholfen werden. Am Ende richtet er sich selbst, schwer beladen von seiner Schuld.

Wie es dazu kommt, ist äußerst amüsant zu sehen, vor allem, so lange man nicht auf die Idee kommt, sich nach eigenen Verfehlungen zu befragen (bei Capek gibt es da eine ganz ähnliche Geschichte, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen). Aus für sich genommen nicht strafrechtsrelevanten kleinbürgerlichen Missetaten wird dabei, befeuert vom in Strömen fließenden Wein, die systematische Ermordung eines Menschen. Der Verdächtige mutiert zu seinem schärfsten Ankläger, duldet keine Verteidigung und wird am Ende gar zu seinem Richter.

Dabei ist doch alles nur ein Spiel, ein Dinner für Vier mit Mörder, eine spaßige Altherrenmarotte. Doch wenn der alte Staatsanwalt (herausragend Ahmad Mesgarha, besonders in seinem Schlussplädoyer) bei der Vorspeise einmal am leichtfertigen Geplapper des Angeklagten Blut geleckt hat, gibt es kein Halten mehr. Da mag der Verteidiger (Holger Hübner wirft seine Mahnungen anfangs etwas gleichförmig, hat dann aber auch einen großen letzten Auftritt) noch so entsetzt sein, Traps eitle Erzählung beim Hauptgang von seinen karrierefördernden Maßnahmen einschließlich der Verführung der Gattin seines herzkranken Chefs liefert dem dadurch immer jünger werdenden Strafverfolger genug Indizien, um im Kronleuchter schaukelnd auf die Todesstrafe zu plädieren, den Delinquenten dabei mit Köstlichkeiten fütternd. Prösterchen.

Dem Verteidiger fällt beim Hühnchen sehr viel Entlastendes ein, und eigentlich scheint er der Einzige mit gesundem Menschenverstand zu sein. Aber selbst Angeklagter Traps widerspricht vehement, er hat seine Schuld begriffen.

Der Richter (Albrecht Goette ist und bleibt ein begnadeter Komödiant) sammelt hernach die Reste seiner im Gelage arg beschädigten Würde und verkündet in Pantoffeln das wenig überraschende Urteil. Man kommt zum Nachtisch.

Traps zeigt sich einsichtig und nimmt das Urteil dankbar an, die Sonnen der Gerechtigkeit und der Selbsterkenntnis gehen auf, Cognac wird gereicht, der greise Henker (ein schönes Wiedersehen mit Jochen Kretschmer, der voll auf der Höhe war) greift zum Fischmesser.

Damit endet das Spiel, doch nahtlos beginnt der Ernst, wie oben schon geschildert.

Das alles spielt sich in einer Szenerie ab, die mit Das große Fressen nur unzureichend beschrieben wird (denn noch mehr wird gesoffen). Die einzelnen Gänge werden dabei sakral-weihevoll von Simone (Annedore Bauer) in einem klangvollen Französisch serviert. Sie bleibt über weite Strecken sehr sichtbar unsichtbar, man freut sich auf jeden ihrer Auftritte. Am Ende darf sie noch an der Orgie teilhaben, bei einer Art Nachstellung der Verführungstat, aber Simone ist offenbar Kummer gewöhnt und erträgt das stoisch.

Die klassische Tortenschlacht wird hier deutlich erweitert, die Akteure wälzen sich in allem, was essbar ist, eine Riesen-Schweinerei am Ende auf der Bühne. Wer soll das alles bloß aufwischen?

Jene Bühne (Aurel Lenfert) verzichtet dankenswerterweise auf die Insignien alpenländischer Gemütlichkeit, für die Verortung reicht die Musik (Keith O’Brien) aus, die auch das Finale dramatisch untermalt. Das Geschehen vollzieht sich sehr weit vorn, was dem Saal die ersten sechs Reihen kostet, aber schlüssig ist.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist der Handlungsreisende Traps, dessen Tod auch den Schluss bildet. Ben Daniel Jöhnk führt ihn auf Puntilas Pfaden vom selbstgewissen Cleverle zum ehrlich Bereuenden und balanciert sehenswert auf dem Grat zwischen Komik und Tragik. Auch wenn er sich es in einer Torte gemütlich macht, ist er nicht lächerlich. Für mich seine beste Leistung bislang in Dresden.

Roger Vontobel hat dies alles mit leichter Hand inszeniert, die psychologischen Tiefen des Stoffes gehen trotz des Klamauks nicht verloren. Es ist ein spannender, unterhaltsamer, sehenswerter Theaterabend, auch getragen vom ausgezeichneten Schauspielerensemble. Ich freu' mich.

PS: Ein Bild für die Theatergötter ist der Schlussapplaus. Nicht nur die Schauspieler, auch das Regieteam schlingert vorsichtig durch den Kladderadatsch auf der Bühne, ängstlich bemüht, nicht bäuchlings in den Speiseresten zu landen. Aber da müssen sie dann viele Male durch.



Die Panne am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) David Baltzer
Sandro Zimmermann - 11. Januar 2015
ID 8354
DIE PANNE (Kleines Haus 1, 09.01.2015)
Regie: Roger Vontobel
Bühne: Aurel Lenfert
Kostüme: Ellen Hofmann
Musik: Keith O'Brien
Licht: Björn Gerum
Dramaturgie: Julia Weinreich
Besetzung:
Alfredo Traps ... Ben Daniel Jöhnk
Richter Wucht ... Albrecht Goette
Staatsanwalt Zorn ... Ahmad Mesgarha
Strafverteidiger Kummer ... Holger Hübner
Henker Pilet ... Jochen Kretschmer
Serviererin Simone ... Annedore Bauer
Premiere war am 9. Januar 2015
Weitere Termine: 17., 20., 26. 1. / 2., 10., 18. 2. / 1. 3. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


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