Gertrud
nach Einar Schleef
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Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Ich bins deine Mutter heißt ein Solotheaterabend, den Regisseur Jakob Fedler mit dem bekannten DT-Schauspieler Wolfram Koch 2015 für die Ruhrfestspiele Recklinghausen und das Schauspielhaus Bochum kreiert hat. Koch spricht darin Texte aus Erzählungen des eigenwilligen Schriftstellers und Dramatikers Einar Schleef und zitiert auch aus Briefen von dessen Mutter Gertrud. Nun haben die beiden ihre fruchtbare Zusammenarbeit am Deutschen Theater (wieder in Koproduktion mit dem Bochumer Schauspielhaus) fortgesetzt. Ihr neuer Abend könnte auch Ich bins deine Mutter II heißen, oder besser noch Ich bins deine Mutter hoch 3, hat doch Fedler den Text von Schleefs eintausendseitigem Mutterroman Gertrud gleich auf drei Stimmen verteilt. Neben Wolfram Koch stehen noch die Ex-BE-Schauspielerin Antonia Bill und Almut Zilcher vom DT-Ensemble auf der Kammerspielbühne, die Dorin Thomsen mit einer schrägen, kupferfarbenen Grabplatte mit Sargdeckel dekoriert hat.
Und auch die Kostüme gleichen dem aus dem ersten Schleef-Abend. Die drei stecken in bräunlichen Uniformjacken und -röcken und bilden einen kleinen Schleef-Chor. „Der Chor-Riß, die Chor-Sprengung, die Trennung von Chor und Einzelfigur ist die Tragödie des Einzelnen, dessen Tragödie sich demnach nur im Wechsel mit dem Chor abbilden läßt.“ schrieb Schleef 1997 in seinem großen Theateralmanach Droge Faust Parsifal. Sowas Ähnliches muss wohl auch Jakob Fedler vorgeschwebt haben, als er auf diese Dreierkonstellation gekommen ist. Für seinen Roman Gertrud hat Schleef noch selbst an einer Bühnenfassung gearbeitet, bevor er 2001 plötzlich an Herzversagen starb. Ein Jahr später kam der Roman dann mit dem Untertitel Ein Totenfest in der Fassung von und mit Edith Clever am Berliner Ensemble zur Uraufführung. Eine Andacht, bei der sich die ehemalige Schaubühnendiva sogar das Husten verbat. 2007 hat Armin Petras am Schauspiel Frankfurt gemeinsam mit seinem Dramaturgen Jens Groß eine weitere Adaption des Romans für vier Schauspielerinnen erstellt, die lebte und dann auch prompt zum THEATERTREFFEN nach Berlin eingeladen wurde.
„Meine Kindheit fiel ins Kaiserreich, der Sportplatz in die Weimaraner, die Ehe auf Hitler unds Alter in die DDR. Wohin mein Kopp. Viermal Deutsches Reich, das 5. ist 2 Meter lang. Das 1 000-jährige Gottes erleb ich nimmer.“ ist wohl der Schlüsselsatz des Romans, der in den Kammerspielen auch mehrfach chorisch wiederholt wird. Ansonsten ist nicht mehr viel mit Chor. Spiel und Text teilen sich hier wieder in drei Gertrud-Individuen, die sich das Tragische im Leben der Schleef-Mutter mit viel Slapstick vom Hals halten und gelegentlich auch abrennen, wenn Antonia Bill die junge Sportlerin Gertrud darstellt. Almut Zilcher barmt die meiste Zeit und hat die klagenden Briefe an die nicht heimkommen wollenden Söhne Hans und Einar vorzutragen. Für die Komik ist Wolfram Koch zuständig, der von den Bauchbeschwerden und Kloanstrengungen Gertruds berichtet und sich dabei den Hintern im Kupfer der Grabschräge spiegelt, oder auch mal mit seinen Beinen kokettiert.
Gemeinsam geben sie einige Spielszenen wie den Besuch der Mutter bei ihrem ersten abtrünnigen Sohn im Westen. Ihrem Einar folgt Gertrud zu Theateraufführungen nach Berlin und beschwert sich über dessen Frauengeschichten. Irgendwann ist auch der weg, und die Mutter lebt allein in ihren Erinnerungen. Die junge Gertrud (meist von Antonia Bill gesprochen) nimmt nicht viel Raum ein in diesem recht wahllosen Zusammenschnitt des in einem kunstvollen Telegrammstil verfassten Gedankenstroms. Der Abend kreist doch meist um den Mann Willy, der früh erkrankte und starb. Die Witwe treiben aber immer noch Gelüste, die sie nur in einer kurzen Affäre mit einem Nachbarn im Provinzstädtchen Sangerhausen befriedigen kann. Das Städtchen in der Nähe des Kyffhäuser-Denkmals, einem Schleef‘schen Angelpunkt für die Verschränkung mit der deutschen Geschichte, wird nur kurz erwähnt. Für Schleef selbst war es von ganz zentraler Bedeutung. In seiner Berliner Wohnung hatte er sich beim Schreiben sogar einen Grundriss der Stadt auf dem Boden angelegt.
Fedlers Bühnenfassung erschöpft sich zumeist in privaten Anekdötchen, wirklich nahe kommt einem Schleefs Mutter dabei aber nicht. Und so zieht sich der Abend bis zu seinem plötzlichen Ende langsam dahin. Viel Neues ist hier nicht zu erfahren. Was den Regisseur angetrieben hat, dieses Mammut-Werk auf die Bühne zu wuchten, bleibt dem Publikum weitestgehend verborgen. Eigentlich schade.
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Gertrud am DT Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 18. Dezember 2017 ID 10434
GERTRUD (Kammerspiele, 15.12.2017)
Regie: Jakob Fedler
Ausstattung: Dorien Thomsen
Dramaturgie: Ulrich Beck
Mit: Antonia Bill, Wolfram Koch und Almut Zilcher
Premiere am Deutschen Theater Berlin: 15. Dezember 2017
Weitere Termine: 21.12.2017 // 04., 23.01.2018
Eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
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